ECR 2023

Radiologie, künstliche Intelligenz und Cybersicherheit – im Zyklus des Lebens
Mirjam Bauer
Titelbild des Berichts vom europäischen Röntgenkongress ECR
Abb. 1: Gut gefüllte Hallen beim ECR © M. Bauer
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Es war richtig viel los auf dem Gelände des Internationalen Austria-Zentrums in Wien, nach drei Jahren Coronapandemie. Auch wenn der Kongress im letzten Jahr bereits als hybride Präsenzveranstaltung tagte, im März 2023 konnte man endlich wieder einmal gut besuchte Messestände und überfüllte Sessions erleben.

Der europäische Röntgenkongress (ECR) fand vom 1. bis 5. März statt, und sogar am Freitag waren noch erstaunlich viele Besucher unterwegs, so das Fazit der Industrie. Insgesamt kamen rund 17.000 Teilnehmende in die schöne Donaustadt: Bestes Frühlingswetter zog die Menschen nicht nur in die Hallen, sondern ebenso auf das Außengelände, auf dem verschiedenste Fahrzeuge zu besichtigen waren. Ausgestattet mit Geräten wie MRT, CT, Röntgen, Ultraschall, Mammografie und weiteren Untersuchungsmethoden ermöglichen die Trucks und Trailer mobile Diagnostik sowie Telemedizin auch in der Fläche und in Regionen wie Afrika. Der Lkw von GE Healthcare hatte sich die Frauengesundheit auf die Fahne geschrieben. Unter dem Motto „Women’s Health Roadshow – care that can travel to every woman“ setzt sich das Unternehmen dafür ein, dass möglichst viele Menschen auf der Welt einen Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen erhalten.

Das Motto des European Congress of Radiology lautete „The Cycle of Life“: Dadurch sollte die zentrale Bedeutung der Radiologie und der medizinischen Bildgebung für die Gesundheitsversorgung eines Menschen über das gesamte Leben hinweg verdeutlicht werden. Vom ersten Ultraschallbild auf den Fötus im Mutterleib über diverse Vorsorgen bis hin zu Verletzungen, Krebserkrankungen oder diagnostischen Hinweisen bei unklaren Diagnosen: Die Radiologie bietet zahlreiche Möglichkeiten, Einblicke in den Körper zu erhalten und den Verlauf von Behandlungen zu unterstützen. Insgesamt gab es viel zu sehen und zu hören; die Themen künstliche Intelligenz (KI) und Cybersecurity spielten eine wichtige Rolle, aber bahnbrechende Neuigkeiten aus der Industrie gab es nicht. Das liegt allerdings auch daran, dass die Hersteller nur alle circa drei Monate Updates bereitstellen und nicht ständig Sämtliches neu entwickeln.

 

Cybersicherheit in der Radiologie

Laut Studien erfolgen Cyberangriffe auf die IT-Infrastruktur von Organisationen mittlerweile im Sekundentakt – mit rund 100 Schadstoffvarianten pro Minute. Aufgrund dieser Gefahren verdeutlichte Mark Kämmerer aus Bochum, was Radiologen dagegen tun können: Die Daten der Patientinnen und Patienten müssen in jedem Fall sicher und die Maßnahmen dem Anwendungsfall, dem möglichen Bedrohungsgrad und dem Risiko angemessen sein; dazu sollten sie die Netzwerkkommunikation sichern sowie Systeme, Benutzer und Daten authentifizieren.

Nial Sheehy aus Irland verdeutlichte, was die irischen Gesundheitssysteme aus den Ransomware-Attacken gelernt haben. Denn ihre Verwundbarkeit war insgesamt sehr hoch, weil es unzählige Nutzende, Systeme und veraltetes Equipment sowie Software gab. Neue Patches wurden zu selten eingespielt, Kontrollmechanismen fehlten. Auch E-Mail-Verkehr und andere Kommunikationstools stellten weitere Risiken dar. Die Auswirkungen des Angriffs auf die Krankenhäuser zeigten sich unterschiedlich: Die Reaktion der IT-Sicherheit hatte eine mindestens ebenso signifikante Wirkung wie der Angriff selbst. Das Abgleichen von Berichten und Bildern nach der Systemwiederherstellung war ebenso wie die Kommunikation außerhalb der Radiologie sehr maßgeblich. Wichtiges Learning: Man sollte derartige Ereignisse vorausschauend planen und Notfallszenarien einüben. Final wurden über den Support durch lokale IT-Mitarbeiter und PACS/RIS-Anbieter folgende Dinge neu implementiert: ein signifikantes NIMIS-Upgrade mit deutlich sichererer Architektur, das widerstandsfähig und schneller wieder onlinefähig sein soll, ähnlich wie eine private Cloud. Daneben sind nun Endpunktsoftware und andere Sicherheitsverbesserungen in lokalen und nationalen Netzwerken vorhanden. Ferner gibt es eine nationale Cybersicherheitspolitik. Viele Krankenhäuser verfügen heute über Geräte, die im Notfall eingesetzt werden können, um grundlegende Systeme wieder aufzubauen. Doch einige Schwachstellen bleiben immer noch bestehen – beispielsweise alte Softwareversionen und übermäßig komplexe IT-Arrangements. Immerhin: Die beteiligten Menschen waren und sind sehr anpassungsfähig, freute sich der Ire.

Ausstellung und Industriestatements

Die großen Player der Branche, wie Siemens, Philips, Bayer, GE Healthcare, Canon et cetera, aber auch Start-ups, präsentierten in der Ausstellung ihre jüngsten Erkenntnisse aus dem Bereich der Medizintechnik, auch in Bezug auf die Bereitstellung integrierter Lösungen, Dienstleistungen und Datenanalysen. Dabei ist die KI-Unterstützung oft integriert, aber nicht immer auf den ersten Blick sichtbar. Prof. Dr. Mathias Goyen, Chief Medical Officer EMEA GE Healthcare, erläuterte die drei Ebenen der KI: „Es gibt die Pixel-KI, die radiologische Bilder besser macht, die Non-Pixel-KI – zur Workflow-Verbesserung –, und die Enterprise-KI, die den Patientenfluss in Kliniken steuert. Auch die Technologinnen und Technologen sind integraler Bestandteil bei der Entwicklung künftiger Anwendungen, damit letztendlich Befunde schneller und genauer erstellt werden können. So lagert eine Software einen Patienten genauso, wie er ein halbes Jahr vorher untersucht wurde – und dabei hilft die KI. Bei einer Wiederholungsuntersuchung kann die Schnittführung durch diese Unterstützung genau gleich erfolgen wie bei der Erstuntersuchung.“ (Hier finden Sie die Videointerviews vom ECR: https://www.mtdialog.de/artikel/interviews-vom-ecr-2023.) Sein Kollege Christian Bernhard, Managing Director GE, fügte hinzu, dass die KI auch die Patientensicherheit verbessere und den Radiologen helfe, sich auf die schwierigen Fälle zu konzentrieren.

Für Dr. Gesine Knobloch, Clinical Development Radiologie Bayer, liegen die Vorteile der Digitalisierung in einer stets komplexer werdenden Welt unter anderem in Optimierungen, besseren Therapieentscheidungen und Fehlerminimierung. Die KI unterstützt die Leistung in den medizinischen Teams zum Wohle des Patienten. Für Technologen werden die Workflows verbessert, beispielsweise durch Injektoren, die mit Großgeräten wie dem CT oder MRT verknüpft sind. So können Injektoren zwischen mehreren Patienten schneller gewechselt werden, alles wird automatisch protokolliert.

Mark Woods, Head of Products & Portfolio Marketing – Digital & Automation bei Siemens Healthineers, erklärte, dass sich die KI auf die Datenebene und die Sammlung von Daten konzentriere, um Lösungen für die Pathologie zu entwickeln wie beispielsweise Prostata-MRT oder Lungen-CT. Daneben ging er auf das Remote-Arbeiten ein. Eine Livevorführung zum Thema Remote Scanning mit einem MRT in 800 Kilometer Entfernung zeigte auf, wie durch neuartige Entwicklungen Technologinnen und Technologen bequem von zu Hause aus arbeiten könnten.

Das Start-up contextflow entwickelt KI-Lösungen, die im Bereich Lungenkrebs und COPD unterstützen. „Die Software analysiert Thorax-CTs“, erklärte Geschäftsführer Mark Holzer: „Sie erkennt und quantifiziert krankhafte Bildmuster. Zwei relevante davon sind Emphysema, die mit COPD korrelieren, beziehungsweise Lungenknoten, die wichtig für die Krebserkennung sind. Unsere KI analysiert die Verteilung der Bildmuster, erkennt die Lungenknoten automatisch und misst diese aus. Das trägt zu einer genaueren und schnelleren Diagnostik bei.“ Holzer betonte ferner, die KI werde heute und künftig weiterhin gebraucht, um die Arbeitslast in den radiologischen Teams zu vermindern und gleichzeitig die Qualität zu sichern beziehungsweise zu steigern. Sein Unternehmen wurde im Jahr 2016 als Ausgründung der Medizinischen Universität Wien und der TU Wien gegründet, mittlerweile ist es auf 45 Mitarbeitende angewachsen. In der Ausstellung waren weitere Start-ups wie Qure.ai, Mediaire, Easyradiology und Imagebiopsylab präsent.

 

Fazit von Prof. Dr. med. Konstantin Nikolaou

Prof. Dr. med. Konstantin Nikolaou, DRG-Vorstandsmitglied und designierter DRG-Präsident (2023–2025) sieht die Durchdringung von KI-Lösungen in der Radiologie allerdings noch nicht da, wohin sie vor einigen Jahren projiziert wurden. Für ihn laufen die Entwicklungen eher langsamer als erwartet. Die Angst, dass Deep-Learning-Netzwerke Aufgaben übernehmen oder Radiologen ersetzen könnten, habe sich nicht bestätigt. „Doch es bewegt sich aktuell viel, es gibt Lösungen auf allen Ebenen: der Bildakquise, der Erhebung, Rekonstruktion und Nachverarbeitung beziehungsweise Diagnosefindung. In der letztgenannten Disziplin gibt es allerdings noch die wenigsten Produkte, so richtig in der Routine angekommen sind diese KI-Lösungen noch nicht. Zum einen ist die Implementierung in unsere bereits digitalen Workflows noch nicht erfolgt, hier brauchen wir digitale Plattformen, die alles zusammenführen. Zum anderen sind auch Zertifizierungen beziehungsweise Re-Zertifizierungen ein wichtiges Thema, denn die KI-Lösungen lernen ja immer weiter.“

Ein neues Thema auf dem ECR war neben der Digitalisierung und Automatisierung der radiologischen Befunde auch die Verwertung und Integration von Informationen aus anderen diagnostischen Bereichen. Die Implementierung von Laborwerten sowie genetischen und molekularpathologischen Daten kann hier enorm helfen. „Wir müssen noch lernen, diese Informationen so klug zu integrieren, dass wir daraus Mehrwerte für die Patienten schaffen“, vermittelte Nikolaou, der ferner die Radiologische Klinik im Universitätsklinikum Tübingen als ärztlicher Leiter verantwortet und fügte hinzu: „Auf dem ECR konnte man deutlich sehen, dass das Thema KI sich schon seit Langem breit hält und weiter intensiv diskutiert wird. Doch dabei geht die Diskussion mittlerweile weg von der Ersetzung des medizinischen Personals. Wichtiger ist es, wie die steigende Arbeitslast bewältigt werden kann, vor allem in Routineaufgaben. Wir warten hier noch auf weitere Unterstützung und auf Lösungen, die einen echten Durchbruch und Erleichterungen auch für Technologinnen und Technologen bringen!“

 

Entnommen aus MT im Dialog 5/2023

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