Für den medizinischen Fortschritt: filigrane Arbeit mit anspruchsvoller Hightech

Bericht von der Microscopy Conference
Michael Reiter
Titelbild des Berichts über die Microscopy Conference
Abb. 1: Microscopy Conference Darmstadt 2023: MT sollten sich faszinieren lassen von den beeindruckenden Möglichkeiten der Visualisierung © Michael Reiter
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Aktuelle Anknüpfungen an die rasanten analytischen Fortschritte der letzten 20 Jahre“ versprach die Microscopy Conference. Über 900 Teilnehmende verzeichnete die „MC2023“ in Darmstadt, davon 20 Prozent aus den Life Sciences sowie je 40 Prozent aus Methoden-Technologie sowie Materialwissenschaften (Energie, Magnetismus und Computerbau).

„Die Interdisziplinarität der breit aufgestellten MC2023“, so die veranstaltende Deutsche Gesellschaft für Elektronenmikroskopie, bot „mit dem Austausch führender Wissenschaftler in jedem Spezialbereich und international renommierten Experten gleichzeitig den Blick über den Tellerrand, um andere Aspekte kennenzulernen“.

In den Life Sciences ermöglicht es die Elektronenmikroskopie, biologische beziehungsweise medizinische Prozesse besser zu verstehen. Zum Beispiel, sagte Prof. Dr. Ute Kolb, sei es entscheidend, die Struktur und das Agieren eines Virus zu kennen, um es erfolgreich bekämpfen zu können. In der Materialwissenschaft, fuhr die Professorin der Universität Mainz und TU Darmstadt und Präsidentin der Microscopy Conference fort, „konzentrieren wir uns darauf, die Struktur funktionaler Materialien zu charakterisieren, um Prozesse in den Bereichen Energie und Umwelt zu optimieren und um Werkstoffe effizienter und langlebiger zu machen. Durch die Nutzung der Elektronenmikroskopie in beiden Bereichen entstehen Synergien, da viele der Techniken und Methoden, die in der Life-Science-Forschung entwickelt wurden, auch in der Materialwissenschaft eingesetzt werden können – und umgekehrt.“ Aus dem Arbeitsgebiet „Instrumentierung und Methoden“ erfuhren die Teilnehmenden in Darmstadt über die neuesten Entwicklungen.

 

High-End-Forschung für den Alltag

Licht- und Elektronenmikroskopie kommen in der Pathologie zum Einsatz, um mit Gewebeschnitten Krankheiten zu identifizieren, rief die Kongresspräsidentin in Erinnerung. Die in Darmstadt präsentierte High-End-Forschung arbeite diesen Zielen zu; hier böten moderne Geräte Unterstützung. „So gibt es heute Systeme, die eine Gewebeschicht nach der anderen schneiden und auf ein Grid legen. Diese Ultramikrotome lassen sich scannen und virtuell dreidimensional zusammensetzen.“

Einen Beispielkomplex zur korrelativen Nutzung präsentierte Prof. Dr. Ralf Bartenschlager. „Wir wollten verstehen, welche Veränderungen das SARS-CoV-2-Virus in infizierten Zellen verursacht“, erklärte der Leiter der Molekularen Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg. „Wir haben hierzu konfokale Lichtmikroskopie eingesetzt sowie für die Lebendzellmikroskopie Epifluoreszenz. Ferner haben wir Transmissionselektronenmikroskope und FIB-SEM genutzt – eine Methode, mit der sich mit recht hoher Auflösung eine komplette Zelle rekonstruieren lässt, sodass man einen Gesamtüberblick bekommt, was beispielsweise in einer Virus-infizierten Zelle passiert. Mit diesen Methoden und Geräten konnten wir zahlreiche Veränderungen in von SARS-CoV-2 befallenen Zellen feststellen. Sie betrafen fast alle zellulären Organellen, insbesondere das intrazelluläre Membransystem.

Ganz besonders hilfreich war dabei die korrelative Mikroskopie, bei der man lichtmikroskopische Bilder einer Zelle mit elektronenmikroskopischen Bildern derselben Zellen vereint und somit die subzelluläre Struktur mit sehr hoher Präzision und Auflösung bestimmt.“

 

Das veränderte Membransystem der Zelle nutzt das SARS-CoV-2, um Replikationsfabriken aufzubauen – also spezielle Membranstrukturen, in denen die Virus-Genome vervielfältigt werden, damit sie anschließend in Nachkommenviren eingebaut werden können. „Dabei liefert“, so Bartenschlager, „die Lichtmikroskopie einen eher globalen Überblick über die gesamte Zelle. Sie erlaubt jedoch aufgrund ihrer Auflösung von maximal 200 Nanometer, in der Praxis deutlich weniger, keinen Einblick in die Ultrastrukturen, also etwa die Membrangebilde in einer infizierten Zelle. Um diese sichtbar zu machen, benötigen wir die Elektronenmikroskopie, die Auflösungen von einem Nanometer liefert. Als Untersuchungsobjekte dienen uns im Labor gezüchtete Zellkulturen, also endlos vermehrbare Zellen, die wir mit dem Virus infizieren können. Aber auch Organoide eignen sich; das sind dreidimensionale Zellverbünde, die zumindest teilweise die Eigenschaften eines Organs imitieren.“ Primärmaterial, das unmittelbar von Patientinnen und Patienten gewonnen werde, komme ebenfalls zum Einsatz.

„Das Neue an unseren Erkenntnissen“, resümierte der Virologe in Darmstadt, „ist die Vielzahl an Veränderungen, die das Virus induziert und die in kurzer Zeit den Zelltod auslösen“. Die eingesetzten Geräte sind typischerweise in Core Facilities organisiert – Infrastrukturen etwa auf einem Universitätscampus, wo diese Geräte vereint sind und wo sich ein/e Hauptverantwortliche/r – meist ein/e erfahrene/r Wissenschaftler/-in – um Geräte und Infrastruktur kümmert. Diese Person instruiert die Nutzenden im Hinblick auf die richtige Bedienung, ... um teure Reparaturen zu vermeiden. Häufig sind dort auch MTL, gegebenenfalls auch BTA oder PTA, aktiv, etwa um Nutzer/-innen in eine Methode einzuarbeiten oder um bestimmte mikroskopische Analysen für einen Nutzer durchzuführen. Letzteres etwa dann, wenn dieser Nutzer die Analyse nur selten benötigt, sodass sich ein eigenständiges Einarbeiten nicht lohnt. Entscheidend für das Personal in so einer Core Facility sei das Interesse an dieser Technologie – „hier geht es um anspruchsvolle und teure Hightech, aber auch um sehr filigrane Arbeit mit Pinzetten an sehr kleinen Objekten, was viel Geduld und Fingerfertigkeit erfordert“, beschrieb Bartenschlager die Erfolg versprechende Motivation. „Seeing is believing! In Biologie und Medizin ist es entscheidend, die Dinge sichtbar zu machen, die man studiert, also bei uns die Viren und die Vorgänge in den infizierten Zellen … das geht nur mit Licht- und Elektronenmikroskopie.“

Dabei entstehen große Mengen an Bilddaten, die von Experten in monatelanger zumeist manueller Arbeit analysiert werden, so Bartenschlager. Aus den bearbeiteten primären Bilddaten werden dreidimensionale Rekonstruktionen erstellt, wobei man den Bildobjekten die korrekten biologischen Strukturen zuordnen muss. „Wir können zuversichtlich sein, dass sich mit KI dies künftig ein Stück weit automatisieren lässt – damit kann diese Aufgabe dann auch durch weniger erfahrene Nutzer/-innen gelöst werden.“

 

Wertvoller Beitrag der künstlichen Intelligenz (KI)

Welche Daten kann ich ausschließen, welche sollten bei der Suche und beim Auszählen in den Fokus rücken? KI und Automatisierung können sowohl bei der Datenakquise als auch bei der Datenanalyse Unterstützung leisten, fügte Kolb hinzu. Mit ihnen lasse sich der Probenaufbereitungsprozess vereinfachen und standardisieren. Sie konkretisierte: Die Steuerung des Probenwechsels und die Datenaufnahme ließen sich vereinfachen. Die Reproduzierbarkeit und Effizienz von Experimenten würden verbessert, und die eigentliche Datenanalyse und -interpretation rückten in den Fokus. KI unterstütze Experimente zusätzlich, indem sie die automatische Identifizierung von Strukturen in der direkten Datenaufnahme oder über die Analyse großer Datenmengen ermögliche.

„Im tomografischen und korrelativen Bereich explodieren die Datenmengen; ein Mensch kann dieses Volumen nicht mehr bewältigen, und daher sollte ‚schlau‘ analysiert werden“, betonte die Kongresspräsidentin. Es handele sich um große Mengen und die Herausforderung, Entscheidungen zu treffen über das, was relevant sei, und diese Daten nach bestimmten Kriterien auszuwerten – gegebenenfalls – später erneut. „Händisch ist dies nicht zu schaffen – KI bietet hier enorme Unterstützung.“

 

Wertvolle Unterstützung mit und für KI-Tools

Wie funktioniert KI, wie wird sie nachvollziehbar, und welche Beiträge kann die Community der Mikroskopierenden für den Fortschritt der KI leisten? Um diese Fragen ging es in der Session „Image analysis of large data sets“. Hier zeigte der Neurowissenschaftler Dr. Florian Jug, wie bei geringerem Lichteinsatz KI aussagestärkere Ergebnisse ermöglicht. Die Forschergruppe, die er am Human Technopole in Mailand leitet, setzt Open-Source-Daten und -Algorithmen ein, um probabilistisches Deep Learning in der Bildanalyse voranzubringen. Die Stichwörter ZeroCostDL4Mic und Noise2Void führen Interessierte weiter – und Jug lädt mit einem Open Call zum Engagement bei AI4Life ein. MT sollen wissen, dass Elektronenmikroskopie anwendbar ist, betonte Kolb. „Packen Sie die Technologie an – und lassen Sie sich faszinieren von den Möglichkeiten der Visualisierung!“

Ein nächstes Update zu Methoden und Technologien bietet die MC2025 vom 31. August bis 4. September in Karlsruhe.

 

Entnommen aus MT im Dialog 4/2023

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