Hochauflösende Ultraschalltechnik zeigt Gehirnentwicklung beim Kleinkind
In den ersten zwei Lebensjahren des Menschen entwickeln sich Gehirnmasse und Synapsen rasant, die Nervenleitgeschwindigkeit verdoppelt sich. Der strukturelle Umbau des peripheren Nervensystems konnte lange nur mit Tierexperimenten und invasiven Techniken untersucht werden. „Unsere Erkenntnisse sind nicht nur wissenschaftlich interessant, sie helfen auch bei der Diagnose von Neuropathien beim Kleinkind und bei der Reifebeurteilung von frühgeborenen Kindern“, sagt PD Dr. Philip Julian Broser, Vorsitzender der Kommission Neuropädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e.V.
Auszeichnung mit Anna Mueller Grocholski Preis
Die Forscherinnen und Forscher des Ostschweizer Kinderspitals St. Gallen haben in einem großen Forschungsvorhaben das Wachstum verschiedener peripherer Nerven beim Säugling und beim Kleinkind untersucht. Die Studie zum Wachstum der Nervenwurzeln C5 und C6 wurde aufgrund ihrer Bedeutung für die Betreuung von Kindern, Säuglingen und Neugeborenen mit dem Anna Mueller Grocholski Preis der Schweizerischen Gesellschaft für Neuropädiatrie ausgezeichnet [1]. Mittels hochfrequenter Ultraschalltechnik konnten die Forscherinnen und Forscher zeigen, dass sich der Durchmesser der zervikalen Nervenwurzeln C5 und C6 in den ersten zwei Lebensjahren mehr als verdoppelt und dabei einer logarithmischen Wachstumskurve folgt – analog zur Zunahme der Nervenleitgeschwindigkeit.
Symmetrische Reifung des peripheren Nervensystem
Zusammen mit weiteren Untersuchungen konnte so gezeigt werden, dass das periphere Nervensystem symmetrisch reift, gleichzeitig für Arme und Beine sowie für proximale und distale Bereiche. „Mit diesem Wissen können wir in Zukunft Krankheitsbilder bei Kindern, die sowohl die Nervenquerschnittsfläche und die Myelinscheiden als auch die Nervenleitgeschwindigkeit beeinflussen, belastungsarm und kindgerecht untersuchen und besser verstehen“, erklärt Dr. Broser. So sei beispielsweise bei vielen motorischen Entwicklungsverzögerungen bisher nicht erforscht, ob diese auch das periphere Nervensystem betreffen. Auch könne man mit der Methode an frühgeborenen Kindern untersuchen, ob die Myelinisierung im Vergleich mit reif geborenen Kindern verzögert erfolgt.
Nutzung moderner Ultraschalldiagnostik mit Hochfrequenzsonden
Die Untersuchung basiert auf moderner Ultraschalldiagnostik mit Hochfrequenzsonden von bis zu 33 MHz. Diese Sonden haben zwar eine geringe Eindringtiefe, dafür aber eine sehr hohe laterale und axiale Auflösung von unter einem Zehntelmillimeter. Erstmalig konnte damit auch die strukturelle Entwicklung des Nervus medianus untersucht werden, da dieser bei Säuglingen nur knapp 1 mm unter dem Hautniveau liegt [2]. Eine weitere Publikation zum Nervus ischiadicus ist in Vorbereitung [3]. Die Ultraschalluntersuchung ist seit vielen Jahren in der pädiatrischen Diagnostik etabliert und für die Kinder ungefährlich und ohne größere Belastung [4, 5].
Untersuchungstechniken an Entwicklungsalter anpassen
„Die Fortschritte der Ultraschalltechnik eröffnen neue Möglichkeiten für die Forschung und Diagnostik in der Pädiatrie“, betont Dr. Broser. Allerdings berge die neurophysiologische Untersuchung von Kindern auch besondere Herausforderungen. Neuropädiater/-innen müssten die Untersuchungstechniken an das Entwicklungsalter anpassen und z. B. für eine Neurografie beim Säugling kleinere Ableit- und Stimulationselektroden verwenden als bei einem Schulkind. Auch die Interpretation der Befunde sei altersabhängig, da sich die Nervenleitgeschwindigkeit aufgrund der Myelinisierung in den ersten zwei Lebensjahren nahezu verdoppele. „Leider werden in der neuropädiatrischen Ausbildung das Wissen und die Fähigkeiten zur Durchführung neurophysiologischer Untersuchungen oft nicht mehr ausreichend vermittelt“, so Dr. Broser.
Quelle: DGKN
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