Ist Adipositas eine Behinderung?

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Der EuGH macht in seiner Entscheidung deutlich, dass das Unionsrecht kein allgemeines Verbot der Diskriminierung wegen Adipositas als solcher enthalte.
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Der Europäische Gerichtshof hat deutlich gemacht, dass Adipositas eine Behinderung sein kann.


Der EuGH hat in seiner Entscheidung „Kaltoft“ (EuGH Aktenzeichen C-354/13, NZA 2015, NZA Jahr 2015 Seite 33) deutlich gemacht, dass Adipositas eine Behinderung sein kann. Dabei hat er sich nicht an den vom Generalanwalt eingebrachten BMI-Werten orientiert. Es bleibt aber den nationalen Gerichten überlassen, im konkreten Einzelfall über das Vorliegen einer Behinderung und die rechtlichen Konsequenzen zu entscheiden.


Hintergrund war, dass ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer wegen seiner Adiposität (der Kläger wog mehr als 160 kg mit einem Body-Mass-Index von über 54) gekündigt hatte und der Arbeitnehmer in dieser Kündigung eine unzulässige Diskriminierung wegen seines Übergewichts sah. Der EuGH macht in seiner Entscheidung deutlich, dass das Unionsrecht kein allgemeines Verbot der Diskriminierung wegen Adipositas als solcher enthalte. Allerdings sei die Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass die Adipositas eines Arbeitnehmers eine Behinderung im Sinne der Richtlinie darstellt, „wenn sie eine Einschränkung mit sich bringt, die u.a. auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen von Dauer zurückzuführen ist, die ihn in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können“.

Es ist davon auszugehen, dass eine Übernahme der Entscheidungsgrundsätze in der deutschen Rechtsprechung folgen wird. Hier wird insbesondere auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2014 abgestellt, bei der das BAG zwar nicht zu Adipositas, aber zum Themenbereich „Behinderung“ eine neue und beachtenswerte Linie eingeschlagen hat.


Im konkreten Fall ging es um die Kündigung eines Medizinisch-Technischen Assistenten mit einer symptomlosen HIV Infizierung. Das BAG vertrat hier die Auffassung, dass eine Behinderung vorliege, insbesondere deswegen, weil sich die Erkrankung auf die Teilnahme sowohl im Leben der Gemeinschaft als auch in seinem Berufsfeld auswirke. Dabei bezog sich das BAG auf das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen. Der Kläger sei dadurch an der Teilhabe am Leben beeinträchtigt. Unerheblich sei dabei, dass seine Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt sei. Es genüge, dass er in interpersonellen Beziehungen bei der Arbeit Stigmatisierungen
ausgesetzt sei.


Das Urteil des BAG behandelt die Einbettung des nationalen Behindertenbegriffs in die Regelungen des europäischen und insbesondere des UN-Rechts (BRK). Es könnte daher als Wegweiser zu einem neuen deutschen Behinderungsbegriff angesehen werden, dessen Aussagen auch auf die Adipositas übertragbar wären.

E. Müller-Rawlins
Rechtsanwältin
Kanzlei HMR

Aus: MTA Dialog 6 (2015) Jahrgang 16

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