Kennen Sie William Steward Halsted?

Medizingeschichte
Nico Janz, MTLA
Kennen Sie William Steward Halsted?
Radikale Mastektomie © http://wellcomeimages.org/indexplus/image/L0004968.html, CC BY 4.0
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Das Tragen hauchdünner Handschuhe im Labor oder auch im Operationssaal ist heutzutage gar nicht mehr wegzudenken. Doch wer hätte gedacht, dass diese Erfindung eng mit einer Liebesgeschichte verknüpft ist?

Das Tragen hauchdünner Handschuhe im Labor oder auch im Operationssaal ist heutzutage gar nicht mehr wegzudenken. Doch wer hätte gedacht, dass diese Erfindung eng mit einer Liebesgeschichte verknüpft ist? Der Erfinder ist William Steward Halsted (1852–1922). Er gilt als einer der bedeutendsten und außergewöhnlichsten amerikanischen Chirurgen. Trotz seines intellektuellen Potenzials interessierte sich der junge Halsted, der aus einer einflussreichen, wohlhabenden Familie stammte, anfangs eher für das gesellschaftliche Leben, für Football oder Baseball. Doch das Blatt wendete sich 1874, als er sich am Columbia College of Physicians and Surgeons einschrieb und eine rasante und beeindruckende medizinische Karriere startete.

In kurzer Zeit entwickelte sich Halsted zu einem brillanten Chirurgen. Um seine medizinischen Studien zu intensivieren, reiste er ab 1878 für zwei Jahre durch Europa. Hier konnte er an diversen deutschsprachigen Zentren der Medizinwissenschaft sein Wissen erweitern. Er lernte einige Pioniere der modernen Medizin, wie Theodor Billroth (1829–1894) in Wien oder Rudolf Virchow (1821–1902) in Berlin kennen. Diese gesammelten Erfahrungen aus Europa bildeten die Grundlage seiner klinischen Forschungen, in denen die aseptische Chirurgie sein zentrales Thema widerspiegelte. Halsted kehrte 1880 nach Amerika zurück und arbeitete an diversen New Yorker Krankenhäusern.

Durch sein enormes Arbeitspensum entwickelte er sich wahrscheinlich zu einem Workaholic und hatte schon bald den Ruf eines waghalsigen Chirurgen inne. Zudem verfasste er 20 wissenschaftliche Artikel, die er in den Jahren 1883 bis 1886 veröffentlichte. Durch seinen Wiener Kollegen Carl Koller (1857–1944) wurde Hal-sted auf die lokalanästhetische Wirkung von Kokain aufmerksam. Er schreckte vor Selbstversuchen nicht zurück und begann 1884 mit eigenen Studien. Halsted entwickelte 1885 ein neues Narkoseverfahren, die „Leitungsanästhesie“, bei der Kokain in die unmittelbare Nähe der in das Operationsgebiet ziehenden Nervenstränge eingespritzt wird. Leider war der Preis dieser Selbstversuche sehr hoch, Halsted wurde kokainsüchtig. Diese Abhängigkeit konnte er Zeit seines Lebens nicht ablegen. Später stieg er auf Morphium um und schaffte es vermutlich, seine Sucht aufgrund seines eisernen Willens unter Kontrolle zu halten.

Halsted lebte sehr zurückgezogen, wenige wussten von seiner Abhängigkeit, oder sie verschwiegen gar seine Sucht. Dessen ungeachtet genoss William Halsted in Fachkreisen einen ausgezeichneten Ruf. Er wurde somit 1890 an die Johns Hopkins Medical School (Baltimore) berufen, stieg mit 38 Jahren zum Chefchirurgen auf und wirkte schließlich 30 Jahre erfolgreich in Baltimore. Hier gründete er ein modernes Ausbildungssystem für Chirurgen, das sich an den damaligen deutschen Systemen orientierte. Halsted entwickelte neue Methoden der Brustamputation bei Brustkrebs, wodurch die Lebenserwartung seiner Patientinnen erheblich verlängert wurde. Außerdem erfand er neue Methoden zur Operation von Leistenbrüchen.

William Steward Halsted | © John H. Stocksdale, public domain

Die beachtenswert tüchtige Krankenschwester Caroline Hampton lernte Halsted in Baltimore kennen. Sie half ihm bei seinen Operationen und war für die unter Wasserdampf zu sterilisierenden Instrumente verantwortlich. Man nutzte diese Verfahren, um keimfrei blutige Eingriffe durchzuführen. Außerdem benutzten Ärzte und Schwestern zur Desinfektion ihrer Hände Karbol- oder Quecksilberchloridlösungen. Diese hatten allerdings den Nachteil, dass sie oft empfindliche Hautschäden verursachten. Caroline Hampton (1861–1922) war eines Tages an ihren Händen mit kleinen Ekzemen übersät, die sich nach und nach bis auf ihre Arme ausbreiteten. Hal-sted, der wohl eine sehr große Sympathie für Caroline empfand, war in größter Sorge. Er hatte sich in sie verliebt und war bemüht, ihre quälenden Hautentzündungen zu bekämpfen. Alle Versuche schlugen fehl, und es war abzusehen, dass Caroline ihre Krankenschwestertätigkeit beenden musste.

Halsted grübelte Tag und Nacht auf der Suche, wie er doch seiner Angebeteten helfen könnte. Letztendlich hatte er die rettende Idee: Eine Firma namens Goodyear stellte Anfang des 20. Jahrhunderts ob der sich zunehmend verbreitenden Automobile Gummireifen für die Autoproduktion her. Halsted ließ bei Goodyear auskochbare, wiederverwendbare und hauchdünne Gummihandschuhe herstellen, welche die Hände mit einer zweiten Haut auskleideten. Carolines Hände waren nun sehr wirksam gegen den Kontakt mit Erregern und Chemikalien geschützt. Somit musste sie ihren Dienst nicht quittieren. Am 4. Juni 1890 heiratete sie dann William Steward Halsted. Beide galten als etwas sonderbar, mieden große gesellschaftliche Veranstaltungen und lebten in einem dreistöckigen Backsteinhaus in getrennten Wohnungen. Sie kümmerten sich um ihre Pferde und Hunde, züchteten Blumen oder befassten sich mit der Astronomie. Das nach außen unnahbar wirkende Wissenschaftlerpaar hatte nur wenige Vertraute. Diese berichteten allerdings von einer starken Wesensverwandtschaft des Ehepaars und von einer innigen und glücklichen Ehe.

Joseph Cold Bloodgood (1867–1935), ein Assistent Halsteds, stattete 1897 das gesamte OP-Personal mit Goodyear-Handschuhen aus. Nach kurzer Zeit berichtete er von einem Rückgang der Infektionsrate bei Patienten von 30 auf drei Prozent. Dieser sollte nun der Beginn des Siegeszuges der OP-Handschuhe von Baltimore sein.

Auszug aus einem Artikel von Halsted über chirurgische Eingriffe 1913:

„Im Winter 1889/1890, an den Monat kann ich mich nicht erinnern, beklagte sich die für den Operationssaal zuständige Krankenschwester, dass die Quecksilberchloridlösungen an ihren Armen eine Dermatitis hervorriefen. Da sie eine ungewöhnlich tüchtige Frau war, dachte ich über die Sache nach und bat eines Tages die Goodyear Rubber Compagny in New York, versuchsweise zwei paar dünne Gummihandschuhe anzufertigen. Beim Versuch erwiesen sie sich als so zufriedenstellend, dass zusätzliche Handschuhe angefordert wurden. Im Herbst, bei meiner Rückkehr in diese Stadt, wurde ein Assistent, der die Instrumente weiterreichte und die Nadel einfädelte, für die Operation ebenfalls mit Gummihandschuhen ausgestattet. Zunächst trug sie der Operateur nur, wenn man Probeinzisionen in die Gelenke machte. Nach einiger Zeit gewöhnten sich die Assistenten so an die Arbeit mit Handschuhen, dass sie sie auch als Operateure trugen und äußerten, dass sie mit bloßen Händen weniger geschickt seien als mit den Handschuhen.“

Entnommen aus MTA Dialog 11/2017

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