Krankenhausinfektionen gestern (1)

Besonderheiten des „Staphylokokkenhospitalismus“
Hardy-Thorsten Panknin
Krankenhausinfektionen gestern
Staphylococcus aureus © CDC/ Matthew J. Arduino, Janice Haney Carr, Gemeinfrei
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„Um den bakteriellen Hospitalismus mit Erfolg zu bekämpfen, bedarf es aller Erfahrungen der letzten zweihundert Jahre zusammen.“ [42] Karl Hermann Spitzy (* 10. November 1915 in Wien; † 26. Mai 2013 in Baden bei Wien) war ein österreichischer Infektiologe.

Der sogenannte infektiöse Hospitalismus hat als „klassischer Hospitalismus“ bereits in der vorbakteriologischen Ära die Entwicklung auf dem Gebiet der Krankenhaushygiene vorangetrieben. Der Edinburgher Geburtshelfer Sir James Young Simpson hat 1869 den Begriff geprägt. Er verstand darunter die Summe aller krankmachenden Faktoren, die in großen Spitälern von Kranken ausgehen. Die hohe Sterblichkeit entstand durch Hospitalbrand, Erysipel, Tetanus und die Sepsis; die apokalyptischen Schrecken der damaligen wundärztlichen Tätigkeit in Krieg und Frieden. Die Infektionen im Krankenhaus haben immer wieder Ärzte und verschiedene andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen zu Überlegungen veranlasst und letzten Endes bereits vor der Klärung der eigentlichen Ätiologie zu beachtlichen Erfolgen in der Bekämpfung geführt, wie aus den Maßnahmen in der Abbildung 1 hervorgeht.

Infektionen durch andere Erreger, vor allem Streptokokken, aber auch Pneumokokken, Meningokokken, Neisserien, Mykobakterien, Treponemen waren infolge der hohen Wirksamkeit von Sulfonamiden und Penicillin zum Ende der 40er-Jahre des letzten Jahrhunderts fast verschwunden. Das Vakuum, das diese Erreger hinterließen, füllten die bedeutend widerstandsfähigeren und zur Selektion resistenter Mutanten neigenden Staphylokokken aus. Besonders bei schwersten Infektionen wurden nunmehr Staphylokokken als Erreger von Sepsis, Pneumonie und Meningitis nachgewiesen.

In den Krankenhäusern aller Länder trat in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts ein bisher unbekanntes Phänomen auf; das der epidemischen Hospitalinfektion durch Staphylococcus aureus. Unter dem Begriff des Hospitalismus versteht man im bakteriologischen Sinne das gehäufte Auftreten pathogener Bakterien, vor allem hämolysierender Staphylokokken, auf Haut und Schleimhäuten des Nasen-Rachen-Raumes von gesunden Personen (Krankenhauspersonal) einerseits, alsdann häufige Übertragung dieser Hospitalkeime auf Patienten nach Krankenhausaufnahme andererseits. Hiermit im Zusammenhang steht das vermehrte Auftreten von Sekundärinfektionen im Vergleich zur vorantibiotischen Ära; die Keime sind überwiegend penicillin-, teilweise auch gegen zahlreiche andere Antibiotika resistent [1].

Staphylokokken zeichnen sich durch Eigenschaften aus, die wirksame Abwehrmaßnahmen beinahe unmöglich machen:

1. Sie kommen ubiquitär vor und sind gegen Eintrocknung widerstandsfähig;

2. sie werden auf verschiedene Arten übertragen – durch Kontakt, durch Tröpfchen, durch Staub;

3. inapparente Infektionen und Besiedelungen sind häufig (Nase, Perineum);

4. Selbstinfektionen sind möglich (Besiedelung der Nasenschleimhaut, Infektion einer Operationswunde);

5. die meisten in Kliniken vorkommenden Staphylokokkenstämme sind gegen Sulfonamide, Penicillin, Tetrazyklin und andere Biotika resistent.

Als Infektionsquellen sind an erster Stelle Ärzte und Pflegepersonen mit eiternden Hautläsionen zu nennen; dann die inapparenten Keimträger, die virulente Staphylokokken im Atrium der Nase beherbergen. Patienten stellen mit Staphylokokkeninfektionen eine wichtige Streuquelle dar. Die Übertragung kann auf mannigfache Art erfolgen: Infektion durch direkten Kontakt mit infizierten Wunden, Übertragung von der Nase des Säuglings auf die Brust der Mutter, Übertragung durch Tröpfchen, weniger beim Sprechen und Husten als beim Niesen und besonders beim Schnauben, das heißt bei forcierter Nasenatmung. Durch unsaubere Hände, kontaminierte Taschen- und Handtücher, ungenügend gereinigte Geräte (Badewannen, Wickeltisch und so weiter) und kontaminierte Bettwäsche werden Staphylokokken übertragen.

Mehrfach wurde auch auf Zusammenhänge zwischen S. aureus-Trägertum und bestimmten Grundkrankheiten hingewiesen. Die höchsten S. aureus-Werte wurden in den Nasen abwehrgeschwächter und sterbender Personen isoliert. Das Zustandekommen von Staphylokokkeninfektionen wird somit durch verschiedene Faktoren begünstigt: durch die erhöhte Anfälligkeit vieler Klinikpatienten wie zum Beispiel der Säuglinge, der Operierten, der Diabetiker, der Geschwächten und Älteren; als Folge ihrer Grundkrankheit [2, 40].

Gerisch und Viertel aus Karl-Max-Stadt – heute Chemnitz – äußerten sich 1965 dazu: „Wir haben uns mit steigendem Antibiotikaverbrauch in unseren klinischen Einrichtungen eine ganz spezielle Form des bakteriellen Hospitalismus eingehandelt“ [3]. Diese Erscheinung wurde 1957 bereits von den Düsseldorfer Bakteriologen Kikuth und Grün als „Staphylokokken-Hospitalismus“ in Deutschland bezeichnet [4, 5, 6]. Durch die Einführung antiseptischer und aseptischer Maßnahmen, der Entwicklung der modernen Desinfektions- und Sterilisationsverfahren konnte dieser Hospitalismus alter Prägung partiell beherrscht werden. Der Abstand von mehr als 150 Jahren erlaubt ohne Zweifel die nüchterne Feststellung, dass die Antiseptik und die Chemotherapie, die „moderne Medizin“ und besonders die operativen Fächer ihre unabdingbaren Voraussetzungen erst geschaffen haben. Ehrfurcht und Dankbarkeit gebührt den aufgeführten Pionieren in Abbildung 1.

Umso alarmierender sind die indirekten Nebenwirkungen, welche über Resistenzentwicklungen zur Selektion und Vermehrung der virulenten Mikroorganismen führen! Bedingt durch den breiten Einsatz von Antibiotika, unter anderem Penicillin, Streptomycin sowie durch die Einführung der Tetrazykline kam es – bei gleichzeitig vielfach sträflicher Vernachlässigung der bewährten Methoden der Aseptik – zu einer Ausbreitung von schweren Staphylokokkeninfektionen in den Kliniken. Um 1950 erlangte dann ein Staphylococcus aureus-Stamm beziehungsweise Komplex „52, 52A, 80, 81“ (Kurzbezeichnung 80,81-Stämme) bei nosokomialen Infektionen mit hoher Antibiotikaresistenz und bis zu 60-prozentiger Sterblichkeit, besondere weltweite Bedeutung in den Krankenhäusern.

Kothe und Reichmann aus Leipzig sahen den Hospitalismus nicht primär als bakterielles, sondern vielmehr als ein hygienisches Problem an. Bei der Infektion mit pathogenen Erregern in Form postoperativer Wundinfektionen spiele eine mangelhafte Krankenhaushygiene eine entscheidende Rolle; im Sinne eines „circulus vitiosus“ würden die Erreger von einer Quelle (Wunde, Infekt) über Gegenstände des Krankenhauses auf medizinisches Personal und von diesem auf den neu aufgenommenen Patienten übertragen werden. Es sei wahrscheinlich unser Glück, dass der Organismus mit einer erstaunlich hohen Zahl virulenter Erreger fertig werde, ohne manifest zu erkranken [7].

Tab. 1: Häufigkeit der Resistenz von Staphylococcus aureus gegen verschiedene Antibiotika. Entnommen aus: Simon C, Stille W: Antibiotika-Therapie in Klinik und Praxis. 6. Auflage. Schattauer Verlag, Stuttgart – New York 1985, 289.

Apokalypse Staphylokokkenhospitalismus

Der Schweizer Mikrobiologe und Hygieniker Good beschrieb 1968 die Situation wie folgt: „Man steht nun vor dem schweren Problem, dass solche Krankenhäuser zu Seuchenherden ersten Grades geworden sind, und dass die herkömmlichen hygienischen Einrichtungen und Maßnahmen nicht mehr in der Lage waren, das fortschreitende Unglück zu verhindern. Wenn auch immer mehr und neuere Antibiotika von der Industrie erfunden wurden, so hat sich doch bis jetzt kein einziges Mittel endgültig gegen die Keime als nicht resistent erwiesen“ [8]. Der Hospitalismus war dadurch charakterisiert, dass er durch banale Erreger verursacht wird und dass die Übertragung gleichzeitig mit der ärztlichen und pflegerischen Tätigkeit erfolgt; also iatrogen, wobei die Verbreitung in der Regel durch Organisation und Bau der Klinik begünstigt wird. Der Hygieniker Grün aus Düsseldorf schrieb 1962 dazu: „Das Zusammenrücken und die überschnelle Belegung der Betten bergen aber die Gefahr einer Erhöhung der Infektionsrate in sich. In den vielen antiquierten Krankenhäusern, die vor und um die Jahrhundertwende entstanden sind, ist eine moderne Krankenhaushygiene mit den dringend erforderlichen Aufgaben der Desinfektion nicht praktikabel. Was nutzen aber die besten Desinfektionsmittel und die schönsten Wäschereien, wenn die saubere Wäsche auf den Sammel-, Transport- und Verteilungswegen mit Staphylokokken infiziert wird.“ Jede Matratze und Bettdecke einschließlich der Bettwäsche gehört nach der Benutzung durch einen Patienten desinfiziert. Das Bett ist in der Bekämpfung des Hospitalismus ein entscheidendes Keimreservoir; 70 bis 80 Prozent der Wolldecken und Matratzen waren mit diesem Keim infiziert. Eine Desinfektion war in den alten Häusern nicht durchführbar. Hier löste ein Provisorium die nächste Improvisation ab. Sie sollten abgerissen oder anderen Zwecken zugeführt werden [6].

Auch der renommierte Pädiater Windorfer aus Erlangen schrieb über diese Misere 1962: „In keinem Fach der Medizin ist die Raumfrage von so kardinaler Bedeutung, gerade im Hinblick auf die Hospitalinfektionen, wie in der Kinderheilkunde und Kinderpflege. Trotzdem werden gerade diese Einrichtungen baulich am meisten benachteiligt; fast stets zu eng und ohne genügend Einzelzimmer gebaut, wobei es meist heißt: Kinderbetten lassen sich immer noch einschieben. Das aber gerade ist die Hauptursache des Hospitalismus! De Rudder hat für Schäden dieser Art einen sehr treffenden Ausdruck geprägt, der das Wesentliche daran erkennen lässt; er spricht von ‚Pferchungsschäden‘, das heißt durch die Zusammenpferchung von Kindern treten Erkrankungen auf; umso mehr, je dichter gedrängt die Kinder liegen, umso schwerer, je jünger die Kinder sind.“ [9]

In weiteren Studien schlussfolgerten Williams und Mitarbeiter [10, 11], dass Kliniken vermehrt Isolierstationen zur Verfügung haben sollten; ja sogar Krankenhäuser neu gebaut werden müssten, um Übertragungen von Staphylokokkeninfektionen zu verhindern. Besonders ihr plötzliches Auftreten, häufig bei jungen Erwachsenen, ihre fast immer vollständige Antibiotikaresistenz, die vielfach unbeeinflussbare Entwicklung des Krankheitsgeschehens beeindruckten tief und ließen Ärzte und Pflegepersonal eine Hilflosigkeit fühlen, die umso schwerer wog, als diese Infekte vermeidbar seien, so formulierte der Mikrobiologe Reber in der Schweiz dieses dramatische Zeitgeschehen 1967 sehr imposant. Die Ausbreitung des modernen Hospitalismus fiel in die Zeit, die dem beispiellosen Aufschwung der Antibiotikabehandlung folgte [13].

Auch für die Bekämpfung des „modernen Hospitalismus“ kommen in erster Linie prophylaktisch-hygienische und nicht, wie man anfangs glaubte, rein chemotherapeutische Maßnahmen infrage. Die Entwicklung hatte gezeigt, dass der Wettlauf zwischen Resistenzentwicklung der Keime und Auffindung neuer Antibiotika, das Entstehen von Hospitalinfektionen nicht zu verhindern vermochte [14]. Zur Einschränkung des Hospitalismus musste viel Mühe, Sorgfalt und Zusammenarbeit zwischen Klinikern, Pflegenden und Bakteriologen aufgewendet werden, um die Patienten vor diesem bakteriellen Schaden zu bewahren [15].

Nicht zu vergessen sind auch die Staphylokokkenerkrankungen, die eine wichtige Ursache der Säuglingssterblichkeit zum Ende der 50er-Jahre im letzten Jahrhundert darstellten. Innerhalb von vier Monaten kam es in 21,5 Prozent der Familien, deren Frauen in der Klinik entbunden hatten, und in 45,1 Prozent der Familien mit einem kranken Neugeborenen zu staphylogenen Eiterungen bei einem oder mehreren Familienmitgliedern. Der mit einem Hospitalstamm das Krankenhaus verlassende Patient wurde auch zur Quelle für den langsamen, aber stetigen Anstieg der resistenten Staphylokokken in der Bevölkerung [6, 15, 16, 17]. Nach einer der Krankenhausepidemien in Ostdeutschland konnte der verursachende Klon, der durch phänotypische Merkmale und durch zwei Plasmide gut charakterisiert war, noch fünf Jahre lang aus in der Bevölkerung auftretenden eitrigen Prozessen isoliert werden [40, 41].

Der Infektiologe Höring aus der Berliner Charité bezeichnete die Resistenzänderung als eine Störung in das symbiotische Gleichgewicht bei Anwendung der Antibiotika [19]. In die symbiotische Funktion greift eine Antibiose mit ihrem breiten antimikrobiellen Spektrum ein, die die Abtötung von Normalflorabestandteilen und -funktion der Haut- und Darmflora als mannigfache Nebenwirkung mit sich bringt. Die Symbiose umfasst nicht nur die Populationen der Mikro-, sondern auch die der Makroorganismen. Dies zeigte sich bei der Entstehung resistenter Keime deutlich. Denn durch sie wird auch der Mitmensch gefährdet. Grün aus Düsseldorf: „Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass sich jede Behandlung mit Antibiotika nicht nur gegen die Krankheitserreger richtet, sondern auch auf die physiologische Bakterienflora des Menschen einwirkt. Diese normale Bakterienflora ist aber ein echtes Abwehrorgan“ [6].

Die prophylaktische Anwendung von Antibiotika hatte gezeigt, dass sie versagte und eher mit einer Erhöhung der Infektionshäufigkeit einherging [19, 21]! Die zeitweise Überbewertung der Antibiotika – sowohl in therapeutischer als auch in prophylaktischer Anwendung – im Sinne einer „Magic Bullet“ beziehungsweise der Wunschtraum vom Zeitalter der infektionsfreien Medizin, die nicht selten zu einer Vernachlässigung bewährter Grundsätze der Asepsis und Antisepsis geführt hatte, erwies sich hier als verhängnisvoller Irrtum und Fehler im Nachhinein. Durch eine unkritische und unkontrollierte Anwendung antibiotischer Substanzen wird das physiologische bakterielle Gleichgewicht in einer Klinik gestört. Die meist apathogene Begleitflora reagiert auf die Chemotherapie prompt – es resultiert eine sogenannte Dysbakterie. Die pathogenen Keime, welche die Antibiotikatherapie überstanden haben, finden durch diese Selektion ein ungestörtes Ausbreitungsfeld vor, was einer indirekten Virulenzsteigerung gleichkommt. In einer gynäkologischen Klinik wurde ein sehr hoher Anteil antibiotikaresistenter Erregerarten durch bakteriologische Untersuchungen gefunden. Trotzdem traten keine Hospitalinfektionen auf, was nur durch den Umstand erklärt werden konnte, dass eine Eubakterie – also ein „gesundes“ bakterielles Gleichgewicht – besteht. Der bakterielle Hospitalismus sei nicht durch immer wieder neue antibiotische Substanzen einzudämmen. Ausschlaggebender seien neben der wirklich indizierten und gezielten Antibiotikaverordnung vielmehr die richtige Anwendung hygienischer und pflegerischer Maßnahmen. Dabei spiele auch die Körperhygiene der Patienten eine entscheidende Rolle [3].

Der Bakteriologe Kikuth stellte bei dem „modernen Hospitalismus“ fest, dass die tiefgreifende Veränderung der physiologischen Bakterienflora durch Antibiotika hierfür als verantwortlich anzusehen sei. Er postulierte, dass es durch die Anwendung der Antibiotika zur Ausschaltung eines wichtigen Abwehrvorganges im Organismus komme und sich hierdurch der „moderne Hospitalismus“ von dem Hospitalbrand (Gangraena nosocomialis pulposa) früherer Zeiten unterscheide [4, 20]. Zur selbigen Frage „Was moderner Hospitalismus ist?“ schränken sich die Faktoren ein, sind aber wenig übersichtlich, sodass außer einer definitorischen Antwort eine erschöpfende Auskunft gar nicht möglich ist. Hospitalismus hat es immer schon gegeben, schon lange vor der Entdeckung der Antibiotika. Unter den Erregern nahm vorerst der Staphylococcus aureus eine Sonderstellung ein, und es wird auch meist der Staphylokokkenhospitalismus gemeint, wenn vom heutigen „modernen Hospitalismus“ die Rede ist. Kaum ein anderer Keim ist so verbreitet, so variabel, so resistent gegen äußere Einflüsse und damit so schwer angreifbar. Sicherlich spielen auch andere Erreger, wie zum Beispiel Proteus (Enterobakterien) und auch Viren eine Rolle bei Hospitalinfektionen. Jede Keimart stellt ihre speziellen Probleme und bedingt besondere Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung. Die besondere Problematik bei dem Staphylokokkenhospitalismus ergibt sich vor allem aus der Tatsache, dass auf der ganzen Welt die Antibiotikaempfindlichkeit der Staphylokokken abgenommen und die Zahl der Fälle von Staphylokokkensepsis, die sich gegen Antibiotika resistent erwiesen, zugenommen hat (Tabelle 1).

Der Düsseldorfer Chirurg Irmer erwähnte, dass trotz einer Resistenzquote von 80 bis 96 Prozent gegen Penicillin, Streptomycin und Tetracycline noch keine alarmierende Zunahme von Staphylokokkeneiterungen im Sinne des Hospitalismus festzustellen sei. „Was uns aber ängstigt, ist die gruppenweise oder vereinzelt vorkommende Infektion durch einen besonders toxischen Stamm in Form der Staphylokokken-Toxinämie, dann die Staphylokokken-Pneumonie, -Enterokolitis und neuerdings auch -Endokarditis“ („epidemischer Typ“, der durch enterotoxinbildende Staphylokokken hervorgerufen wird) [22, 25]. Während der Pandemie des Komplexes 80,81 hat es auch epidemische Ausbrüche mit Stämmen anderer Lysogruppen, besonders der Lysogruppe III gegeben [40].

Damit ist aber noch nicht gesagt, dass das wesentliche Kennzeichen von Krankenhausstaphylokokken ihre Penicillinresistenz ist. Es gibt beispielsweise eine Vielzahl von Staphylokokkentypen, die einem ständigen Wechsel unterworfen sind. Das gilt sowohl für das Krankenhaus als auch für das häusliche Milieu. Jene Typen, die vorwiegend im Spitalbereich beheimatet sind, weisen Resistenz gegen Penicillin und andere gebräuchliche Antibiotika auf. Auch ist die Typenverteilung in Krankenhäusern eine einheitlichere. Meist sind es wenige Typen oder nur ein Typ, der im Klinikmilieu in den Vordergrund trat. Man spricht von Hospitaltypen und Individualtypen, wobei Letztere ständig in die Klinik eingeschleppt, meist aber wieder eliminiert werden.

Die Hospitaltypen seien nicht grundsätzlich virulenter, sie seien nur resistenter gegen Antibiotika, so definierte Spitzy aus Wien den infektiösen Hospitalismus dieser Zeit [26]. Der Mikrobiologe Witte aus Wernigerode sah seine Grundlage in der übertragbaren Chemotherapeutikaresistenz als Ursache des „modernen Hospitalismus“ an [27, 41]. Der Bakteriologie Naumann aus Düsseldorf kritisierte den irrigen Eindruck, dass es sich beim „modernen Hospitalismus“ um eine neue Form handele, die sich therapeutisch lösen lasse. Neu sei nur die Resistenzentwicklung, die mit dem Wesen des Phänomens nichts zu tun habe [28, 29]. Gerisch und Mitarbeiter vertraten folgende These: Bereits mit der Errichtung von Gebäranstalten und Kinderheimen im 18. und 19. Jahrhundert seien Hospitalinfektionen und -endemien in reichem Maße vorgekommen und auch beschrieben worden. Der bakterielle Hospitalismus habe im Laufe der letzten Jahre durch die erworbene Antibiotikaresistenz der verschiedenen Bakterien einen deutlichen Wandel in der Erscheinungsform erfahren, er sei aber keine Erfindung der Neuzeit! In allen Krankenhäusern – besonders aber in allen operativen Kliniken – kämen heute resistente Strepto- und Staphylokokken ubiquitär vor, ohne dass sich deshalb jede Anstalt mit den Folgen des bakteriellen Hospitalismus herumzuschlagen habe. Eine erfolgreiche Prophylaxe müsse also auch möglich sein; trotz der Anwesenheit antibiotikaresistenter Erregerarten [3].

Teil 2 folgt; das Literaturverzeichnis und Abbildung 2 sind später online abrufbar.


Entnommen aus MTA Dialog 9/2018

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