Lebererkrankungen: Neue Gentaxis gefunden

Offenbar geringe Dosis nötig
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Gentherapie bei Lebererkrankungen, Dr. Nadja Meumann
Hat die neuen Vektoren für die Gentherapie bei Lebererkrankungen im Mausmodell trainiert: Molekularbiotechnologin Dr. Nadja Meumann. © Karin Kaiser / MHH
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Ein Forschungsteam an der MHH hat zwei vielversprechende AAV-Kapsid-Varianten für Gentherapie in der Leber gefunden und sie im Mausmodell getestet. Sie sollen die Leberzellen schnell und sicher finden und in den Zellen dafür sorgen, dass der Bauplan für das therapeutische Gen auch tatsächlich umgesetzt wird.

Auch in der Leber gibt es zahlreiche schwere, kaum behandelbare monogenetische Erkrankungen, die von einem Defekt in einem einzelnen Gen hervorgerufen werden. Dazu gehören etwa die Blutgerinnungsstörungen Hämophilie A oder B oder die Stoffwechselerkrankung Phenylketonurie. Hier könnten Gentherapien helfen, bei denen intakte Gene als „Medikament“ direkt in die Zelle transportiert werden. In Europa sind einige Gentherapien bereits zugelassen – etwa bei der spinalen Muskelatrophie (SMA), einer angeborenen neuromuskulären Erkrankung mit schwerer Muskelschwäche und Muskelschwund. Virale Vektoren werden dabei als Gentaxis genutzt, um die therapeutischen Gene ans Ziel zu bringen. Zu den bekanntesten Vertretern zählen Adeno-assoziierte Viren (AAV). Ein Forschungsteam der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) um Professorin Dr. Hildegard Büning, AAV-Expertin und stellvertretende Leiterin des Instituts für Experimentelle Hämatologie, haben zwei neue AAV-Varianten entwickelt, die wirksamer sein sollen und daher zur gezielten Behandlung von Lebererkrankungen in Frage kommen würden.

Zielgenau steuern und Antikörpern entkommen

AAV-Vektoren leiten sich zwar von Viren ab, dienen bei der Gentherapie aber ausschließlich als Transportmittel. Mit der Virushülle (Kapsid), docken die AAV-Vektoren an die Körperzelle an und schleusen ihre genetische Fracht in das Zellinnere. Dort wird sie abgelesen und gemäß ihrem Bauplan in das entsprechende Protein umgesetzt. Allerdings erreichen nicht alle Gentaxis ihr Ziel. Teilweise laden sie ihre Fracht an falscher Stelle ab, weil sie neben dem gewünschten Zielorgan auch andere Gewebe ansteuern. Außerdem können sie vom Immunsystem als fremd erkannt und durch neutralisierende AAV-Antikörper abgefangen und zerstört werden. „In unserer Arbeit haben wir nach AAV-Varianten gesucht, die zum einen zielgenau die Leber ansteuern und sich nicht in andere Gewebe verirren und die zum anderen den neutralisierenden Antikörpern entkommen“, sagt Dr. Nadja Meumann, Erstautorin der Studie. Dafür hat die Wissenschaftlerin in einer sogenannten Kapsid-Varianten-Bibliothek unter mehr als einer Million AAV-Varianten nach geeigneten Kandidaten mit Kapsid-Strukturen gesucht, die sowohl in Maus-Leberzellen als auch in menschlichen Leberzellen funktionieren. „Diese artenübergreifende Anwendungsmöglichkeit ist sehr wichtig für die Entwicklung neuer Therapiestrategien, weil dadurch die erforderlichen präklinischen Versuche im Mausmodell und deren Übertragung in die späteren klinischen Studien am Menschen möglich sind“, erklärt die Molekularbiotechnologin.

Training im Mausmodell

Geeignete AAV-Varianten hat Dr. Meumann dann im Mausmodell „trainiert“. „AAV als Viren werden in der Natur normalerweise über die Atemwege aufgenommen und müssen sozusagen umlernen, wenn sie über eine Injektion in die Blutbahn gelangen und von dort aus gezielt die Leber ins Visier nehmen sollen“, erklärt Professorin Büning. „Gerichtete Evolution“ heißt dieser Weg, der mit geschicktem Auswahlverfahren schneller an gewünschte Eigenschaften kommen will. Zwei AAV-Varianten namens MLIV.K und MLIV.A haben das Rennen gemacht. Sie finden nach Angaben der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Leberzellen schnell und sicher und sorgen in den Zellen dafür, dass der Bauplan für das therapeutische Gen auch tatsächlich umgesetzt wird. „Mit diesen Varianten konnten wir bereits erfolgreich Mäuse therapieren, die an Hämophilie B litten“, sagt die Molekularbiologin. Per intravenöser Injektion konnten MLIV.K und MLIV.A über die Blutbahn gezielt die Leberzellen ansteuern und dort den Bauplan für den fehlenden Gerinnungsfaktor abliefern. Ein weiterer Vorteil der beiden Vektor-Varianten: Sie erledigen ihre Arbeit offenbar nicht nur zuverlässig, sondern außerdem sehr effizient. „Das bedeutet, wir benötigen generell eine geringere Dosis, um einen Behandlungserfolg zu erzielen“, betont Professorin Büning. Und das senkt die Kosten pro Behandlungseinheit deutlich – ein wichtiger Pluspunkt, denn Gentherapie ist eine momentan noch sehr teure Therapieform.

Weitere Versuche nötig

Bis zu einer möglichen klinischen Anwendung müssen Wirksamkeit und Verträglichkeit noch in weiteren Studien im Großtiermodell und später auch in klinischen Studien am Menschen bestätigt werden. Mehr als 400 monogenetische Erkrankungen sind für die Leber bekannt. Auf die Gentaxis MLIV.K und MLIV.A könnten in Zukunft also noch viele Transportaufträge warten.

Literatur:
Meumann N, Cabanes-Creus M, Ertelt M, et al.: Adeno-Associated Virus (AAV) Serotype 2 Capsid Variants for Improved Liver-Directed Gene Therapy.  HEPATOLOGY, 17 August 2022, DOI: doi.org/10.1002/hep.32733.

Quelle: idw/MHH

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