Long COVID: Umprogrammierung von Immunzellen?

Möglicher Therapieansatz?
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Dr. Christoph Schultheiß von der Universitätsmedizin Halle
Dr. Christoph Schultheiß von der Universitätsmedizin Halle bestimmt Blutwerte bei Long COVID im Forschungslabor. © Universitätsmedizin Halle
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Die Forschungen zu Long COVID intensivieren sich. Nun hat eine Forschungsgruppe molekulare Hinweise auf verschiedene Subgruppen von Long COVID gefunden.

Zunächst wurden viele Patienten mit Long COVID-Symptomen schnell in die psychosomatische Ecke geschoben. Viele Menschen leiden nach einer überstandenen COVID-19-Infektion jedoch an der Folgeerkrankung. Eine Forschungsgruppe der Universitätsmedizin Halle hat nun molekulare Hinweise auf verschiedene Subgruppen bei Long COVID gefunden. Dabei treten Muster auf, die einen möglichen Therapieansatz versprechen. Die Daten legen nahe, dass unterschiedliche Mechanismen zur Entstehung des Syndroms führen, darunter auch eine ‚Umprogrammierung‘ von Immunzellen. Alle Teilnehmenden wurden über „DigiHero“ rekrutiert, einer deutschlandweiten Studie der Universitätsmedizin Halle zur digitalen Gesundheitsforschung.

Immunfaktoren im Blut erhöht

Bei einer Infektion gehören bestimmte Immunzellen, sogenannte Makrophagen, zur ersten Schutzmauer der körpereigenen Abwehrreaktion. Gemeinsam mit deren Vorläufern, den Monozyten, sind sie wichtige Zellen des angeborenen Immunsystems. Entscheidend ist ihre Rolle bei der Aktivierung und Regulation der Immunreaktion, indem sie Immunfaktoren als Botenstoffe ausschütten. Die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Mascha Binder zeigte bereits, dass die Blutkonzentration von drei dieser Immunfaktoren bei Menschen mit Long COVID Symptomen erhöht ist. Bisher war nicht klar, in welchem Umfang die Ausschüttung dieser Faktoren gestört ist und man vermutete, dass nicht beseitigte Virusreste im Blut während der akuten COVID-19 Phase die Regulation dieser Immunzellen beeinflussen könnten.

Ausschüttung von Immunfaktoren erheblich gestört

„In der aktuellen Studie haben wir den Fokus auf weitere entzündungs- sowie fibrosefördernde Immunfaktoren gelegt, die durch Monozyten und Makrophagen ausgeschüttet werden können“, erklärt Dr. Christoph Schultheiß, Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin IV der Universitätsmedizin Halle. „Dabei zeigte sich, dass bei Long COVID die Regulation der Ausschüttung dieser Immunfaktoren erheblich gestört ist.“ Diese ‚Umprogrammierung‘ trat in zwei ausgeprägten Mustern auf, wie die Wissenschaftler/-innen herausfanden.

Verschiedene molekulare Subgruppen vermutet

Darüber hinaus wurde die Blutkonzentration des viralen S1 Spike-Proteins, welches das SARS-CoV-2 für die Infektion von Zellen nutzt, untersucht. Das ließ sich bei manchen Studienteilnehmenden nach überstandener COVID-19-Infektion nachweisen, insbesondere bei denen mit Long COVID. Diese Blutwerte zeigten allerdings keinen Zusammenhang zu den entdeckten Mustern der deregulierten Immunreaktion, wie bisher vermutet wurde. „Wir gehen deshalb derzeit von verschiedenen molekularen Subgruppen bei Long COVID aus, die auf unterschiedliche zugrundeliegende Mechanismen in der Entstehung der Erkrankung zurückzuführen sind“, erläutert Schultheiß.

Entstehung der Krankheit besser verstehen

Bemerkenswert ist zudem, dass die entdeckten Subgruppen scheinbar in keinem Zusammenhang zu den Symptomen der Long COVID Erkrankten stehen. „Klinisch ist Long COVID bereits gut definiert. Nun gilt es, die Mechanismen bei der Entstehung der Krankheit besser zu verstehen und mit dem klinischen Bild zu verknüpfen“, betont Prof. Dr. Mascha Binder, Leiterin der Forschungsgruppe und Direktorin der Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin IV der Universitätsmedizin Halle. „Wir konnten mehrere Immunfaktoren im Blut identifizieren und deren Rolle bei Long COVID nochmals unterstreichen. Für einige dieser Faktoren existieren bereits therapeutische Möglichkeiten, um der Deregulierung entgegenzuwirken“, so Binder.

DigiHero-Studie als Grundlage

Die veröffentlichten Ergebnisse sind auch der DigiHero-Studie zu verdanken. Über den digitalen Weg konnte DigiHero deutschlandweit bereits Tausende Menschen zu gesundheitlichen Aspekten befragen. „Nach Beginn der Pandemie haben wir weitere Teilprojekte auf den Weg gebracht. Dadurch konnten mehrere Hundert Teilnehmende gewonnen werden, die Fragen zu ihrer Geschichte mit COVID-19 beantworteten und der Forschung Blut als Bioproben zur Verfügung stellen“, berichtet Prof. Dr. Rafael Mikolajczyk vom Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik der Universitätsmedizin Halle. Interessierte sind eingeladen, an DigiHero teilzunehmen.

Hintergrund:
Long COVID, post-COVID Syndrom oder PASC (Postakute Folgeerscheinungen einer SARS-CoV-2-Infektion) beschreibt eine Vielfalt von Symptomen, die sich Wochen oder Monate nach einer COVID-19-Infektion fortsetzen. Dazu gehören unter anderem Müdigkeit, Atemnot, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Körperschmerzen, Herzklopfen sowie Schlaf- und Angststörungen. Die Mechanismen von Long COVID sind noch nicht vollständig geklärt, man vermutet jedoch unter anderem, dass persistente immunogene Virusreservoirs im Körper die überschießende Immunreaktion auslösen. Nicht alle Menschen, die COVID-19 hatten, entwickeln Long COVID.

Literatur:
Schultheiß C, Willscher E, Paschold L, et al.: Liquid biomarkers of macrophage dysregulation and circulating spike protein illustrate the biological heterogeneity in patients with post-acute sequelae of COVID-19. J Med Virol. 2023 Jan; 95 (1): e28364, DOI: doi.org/10.1002/jmv.28364.

Quelle: idw/Universitätsmedizin Halle (Saale)

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