Revolutioniert Photon Counting die CT? (Teil 1)

Interview mit Dr. York Hämisch
Das Interview führte Xenia Biereichelt.
Titelbild zum Interview mit Dr. York Hämisch über die neue Technik des Photon Counting
Abb. 1: Patientin mit MTRA © DIE RADIOLOGEN Regensburg – Regenstauf
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Interview mit Dr. York Hämisch, Director Medical and Research Markets bei Direct Conversion/Varex Imaging. Als Physiker arbeitet er schon lange im Bereich der medizinischen Bildgebung. Im ersten Teil erläutert er die neue Technologie.

Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Dr. Hämisch. Das Photon Counting wird aktuell als zukünftige Technologie der Computertomografie diskutiert. Sie arbeiten für die Firma Direct Conversion/Varex, welche unter anderem Module für die photonenzählenden Detektoren des seit 2018 eingesetzten Mamma-CT der Firma AB-CT GmbH herstellt. Wie kamen Sie als Physiker zum Photon Counting und weshalb könnte diese Thematik auch für eine MTRA interessant sein?

Wenn man es von der Technologieseite betrachtet, hatte ich als Physiker mein ganzes Berufsleben in der medizinischen Bildgebung mit Photonenzählung (γ-, Licht-, Röntgen-) zu tun, bei Firmen wie General Electric, Philips oder auch kleineren Unternehmen, welche Spezialgebiete abgedeckt haben, wie zum Beispiel die präklinische Bildgebung. Vor meinem Wechsel zu Direct Conversion im Herbst 2017 arbeitete ich bei Philips in einer Abteilung, die Photon-Counting-Sensoren für Licht entwickelte. Es gibt da sehr frappierende Ähnlichkeiten zwischen den Technologien und dies reizte mich.

Als Verantwortlicher für den Medizin- und Forschungsmarkt vertrete ich nun die Firma Direct Conversion/Varex. Vom Ursprung her ist Direct Conversion ein europäisches Unternehmen, seit 2019 als Tochter von Varex Imaging Teil der globalen Firmenstruktur von Varex und eine der wenigen Firmen weltweit, die photonenzählende Detektoren in großen Stückzahlen herstellt – ob für industrielle Bildgebung oder medizinische wie im Falle des erwähnten neuartigen Mamma-CTs von AB-CT. Tatsächlich freue ich mich sehr über jede Möglichkeit, dieses Thema einem weiten Anwender- oder Interessentenkreis zugänglich zu machen. Die Kommunikation über neue Technologien, deren Chancen und Risiken sollte insgesamt viel häufiger und intensiver passieren. Die Wissenschaft muss heraus aus dem Elfenbeinturm und derartige Entwicklungen der Öffentlichkeit nahebringen. Die Anwender arbeiten täglich mit diesen Produkten und deren neuen Eigenschaften und ich befürworte insgesamt einen intensiven Dialog.

Viele mögliche zukünftige Anwender haben erst kürzlich vom Photon Counting erfahren. Durch eine höhere räumliche Auflösung und potenzielle Dosiseinsparung verspricht diese Technologie, zukünftig eine wichtige Rolle in der Computertomografie zu spielen. Wo sehen Sie den wissenschaftlichen historischen Ursprung des Photon Counting?

Die Idee, Einzelphotonen zu zählen, gibt es sicher schon viel länger als die Technologie. Den genauen Entstehungsort einer Technologie zu benennen, ist dabei immer schwierig. Mitunter müssen erst bestimmte technologische Voraussetzungen gegeben sein (wie zum Beispiel schnelle Elektronik und Computer oder große Speicherchips), um dann wiederum anderen Entwicklungen den Weg zu ebnen. Ein Ursprung des Photon Counting liegt sicher am CERN (Centre Europeenne pour la Recherche Nucleaire) – dem großen internationalen Forschungsinstitut bei Genf. Im CERN benötigt man für die großen Teilchenbeschleuniger-Experimente sehr große spektroskopische Detektoren mit sehr hohen Zählraten. Das ist ein wesentlicher Grund, weshalb dort photonenzählende Detektoren auf Gasbasis und später sogenannte Hybriddetektoren auf Halbleiterbasis entwickelt wurden. Da fast alle Projekte am CERN in Kollaborationen verschiedener Länder und Universitäten eingebettet sind, tragen deren Vertreter und wissenschaftlichen Mitarbeiter anschließend oft die Ergebnisse „nach Hause“ und entwickeln diese in einigen Fällen auch kommerziell weiter.

Die Grundlagen der Photon Counting Technologie, wie sie Direct Conversion/Varex heute anbietet, wurden in Schweden bei der Firma XCounter gelegt, die später mit der finnischen Firma Ajat zur Firma Direct Conversion vereinigt wurde. Der CTO von Direct Conversion legte dabei von Anfang an einen starken Fokus auf die medizinische Bildgebung – so wurde beispielsweise der Prototyp eines Mammografiesystems mit gasgefüllten photonenzählenden Detektoren (PCD) entwickelt. Aufgrund der nur bedingten Praxistauglichkeit solcher gasgefüllten PCDs wurden relativ bald danach die ersten PCDs auf Festkörperbasis (direkt konvertierende Materialien) entwickelt.
 

2012 wurde der erste PCD von Direct Conversion vorgestellt. Wie war die technische Entwicklung und Umsetzung möglich?

Im Wesentlichen müssen drei Wissensgebiete/Fähigkeiten vereint werden, um PCD für die industrielle und medizinische Anwendung auf breiter Front entwickeln und herstellen zu können:

1.    die technologischen Fertigkeiten, ultra-reine, single-kristalline Materialien, welche die Röntgenstrahlung direkt in ein elektrisches Signal umwandeln, herzustellen (wie zum Beispiel Cadmium Tellurid, CdTe),

2.    das Know-how über das Design der sogenannten ASICS (Application Specific Integrated Circuits), also der spezifischen Schaltkreise, welche die notwendige extrem schnelle Signalverarbeitung der PCD ermöglichen,

3.    die technologischen Fähigkeiten, Halbleitermaterialien unterschiedlicher Charakteristika (wie zum Beispiel Silizium [Si] und Cadmium-Tellurid [CdTe]) auf kleinster Skala (< 100 µm) zuverlässig und fehlerfrei miteinander zu verbinden.

All dies erfordert sehr spezielle Kenntnisse, Erfahrungen sowie große Investitionen und wird nur von einigen wenigen Firmen beherrscht. Direct Conversion/Varex kooperiert seit Langem mit dem führenden Hersteller direkt konvertierender Materialien und ist derzeit der größte Anwender solcher weltweit. Was Direct Conversion/Varex bei der Kommerzialisierung der PCD-Technologie besonders erfolgreich macht, ist die Kombination der Fähigkeiten unter 2. und 3. Die (PCD-)Hybriddetektoren bestehen aus zwei Schichten oder Materialien: Die Sensor-Schicht (zum Beispiel Cadmium-Tellurid [CdTe]) wandelt die Röntgenphotonen direkt in elektrische Signale um und der darunterliegende ASIC (auf Si-Basis) verarbeitet die Signale mit extrem hoher Geschwindigkeit. Beide Elemente müssen auf einer Skala von < 100 µm eins zu eins miteinander verbunden werden. Diese anspruchsvolle technologische Kunstfertigkeit beherrscht der finnische Teil unserer Firma. Der Schlüssel zum Erfolg liegt also in der Kombination dieser beiden Kompetenzen: Design und Herstellung. Diese machen den Unterschied bezüglich der Technologiekompetenz und das sind meines Erachtens die Schlüsselelemente, welcher der Technologie unsererseits auf den Weg geholfen haben.

Wie kann man sich die Funktionsweise eines heutigen PCD vorstellen?

Röntgenphotonen treffen auf eine Sensorschicht, bestehend aus ultra-reinen, single-kristallinen Materialien (wie CdTe) und werden dort direkt in elektrische Signale umgewandelt. Anschließend werden die Signale mit extrem hoher Geschwindigkeit durch den darunterliegenden und exakt mit der ersten Schicht verbundenen ASIC (Si) verarbeitet.

Es sind zwei wesentliche Charakteristika zu nennen, die einen PCD von einem konventionellen Röntgendetektor unterscheiden: Detektorsignal und Signalverarbeitung.

1.    Detektorsignal: Im konventionellen Röntgendetektor wird Röntgenstrahlung über einen Szintillator zuerst in Licht und das Licht anschließend in elektrische Signale umgewandelt und diese dann weiterverarbeitet. Es erfolgt also eine zweistufige Konversion und mit jeder Konversion sind Verluste verbunden. Beim photonenzählenden Detektor wird das Direct-Conversion-Prinzip genutzt, also das Prinzip der direkten Umwandlung. Wie der Name schon sagt, wird die Röntgenstrahlung direkt in elektrisches Signal umgewandelt.

2.    Signalverarbeitung: Im direkt konvertierenden Detektor können die Signale unmittelbar weiterverarbeitet werden, entweder integrierend, wie bei konventionellen Detektoren, oder photonenzählend. In einem konventionellen integrierenden Detektor werden alle Ereignisse über einen Zeitraum aufsummiert und als Summe herausgegeben, wobei es zu Ungenauigkeiten und Informationsverlusten kommen kann. Bei einem photonenzählenden Detektor wird jedes einzelne Röntgenquant einzeln registriert und ein entsprechendes Speicherelement inkrementiert. Dabei wird jedes Röntgenquant als separates Ereignis behandelt, als solches registriert und festgehalten. Dies hat den großen Vorteil, dass man auf weitere Eigenschaften dieser Photonen zugreifen kann, wie zum Beispiel deren Energie.

Als wichtiges Argument für den PCD als zukünftige Technologie wird eine höhere räumliche Auflösung genannt. Wie wird diese ermöglicht?

Die höhere räumliche Auflösung der PCD resultiert zum einen aus der geringen verwendeten Pixelgröße und zum anderen aus der Elimination der Lichtstreuung, die im Szintillator entsteht. In konventionellen Detektoren werden auftreffende Röntgenquanten durch den Szintillator in Licht umgewandelt – dieses Licht wird im Szintillationskristall gestreut. Die Streuung ist dabei auch abhängig von der Dicke des verwendeten Kristalls. Die Lichtstreuung in einem solchen Kristall lässt sich nur sehr schwer kontrollieren oder eindämmen. Anders als Licht können elektrische Ladungen jedoch kontrolliert werden, zum Beispiel durch elektrische Felder. Durch Anlegen der sogenannten Bias-Spannung (typischerweise einige Hundert Volt) kann die Ausbreitung der Ladungswolken auf ein bestimmtes Volumen (das Pixel) begrenzt werden. Und genau das passiert in direkt konvertierenden Detektoren. Aus diesem Grund ist die räumliche Auflösung im PCD weit weniger abhängig von Kristalldicke oder Röntgenenergie, anders als bei konventionellen Detektoren. Dort gilt: Je höher die Energie, desto schlechter die Auflösung, da immer dickere Kristalle verwendet werden müssen. Im Fall der direkt konvertierenden Detektoren wird mit zunehmender Dicke des Konvertermaterials auch das elektrische Feld verstärkt, sodass die Ladungsträger nach wie vor auf einen gut definierten Bereich begrenzt werden und damit die räumliche Auflösung erhalten bleibt.

Der zweite Grund, wie schon erwähnt, ist, dass PCD generell sehr kleine Pixel haben. Das liegt auch darin begründet, dass zum Beispiel in einem klinischen CT mit diesen Detektoren sehr hohe Raten gezählt werden müssen, teils über 108 Photonen pro Sekunde und Quadratmillimeter. Für solche hohen Raten sind sehr viele Zählelemente, also sehr kleine Pixel, notwendig.

Die vergleichsweise bessere Ortsauflösung ist also in einer Überlagerung zweier Effekte begründet, die sich am Ende in der medizinischen Diagnostik positiv auswirken und auch als im Moment das bemerkenswerteste Feature der PCD für den Einsatz im CT gelten: höhere Ortsauflösung durch fehlenden Szintillator/diffuse optische Streuung und eine höhere Anzahl von (kleinen) Pixeln.

 

Entnommen aus MTA Dialog 12/2022

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