Schließung der Impflücken bei Erwachsenen gefordert

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Masernimpfung
Die meisten Masernfälle treten inzwischen bei den nach 1970 Geborenen auf. harryfoto - Fotolia
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Eklatante Impflücken bei Masern sind vor allem bei den nach 1970 geborenen Erwachsenen zu beobachten. Instrumente für eine Verbesserung der Impfquote könnten unter anderem ein bundesweites Impfregister beziehungsweise ein Impf-Informations-System sein.

Eine Ausrottung von Masern ist nur möglich, wenn 95 Prozent der Gesamtbevölkerung immun ist – entweder nach durchlebter Erkrankung oder durch eine Impfung. In Deutschland ist dieser Wert noch nicht erreicht. Am 14. November 2019 hat der Deutsche Bundestag nun ein Gesetz verabschiedet, das eine Impfpflicht für Kinder beim Eintritt in den Kindergarten oder die Schule vorsieht. Ob eine Impflicht für Kinder gerechtfertigt und notwendig ist, haben Ärzte und Juristen des gleichnamigen Arbeitskreises der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) bei ihrem Arbeitskreistreffen Anfang November diskutiert. Denn Impflücken bei Masern bestehen vor allem bei nach 1970 geborenen Erwachsenen.

Masernviren sind hochansteckend und verbreiten sich über eine Tröpfcheninfektion – ein Anhusten alleine reicht für eine Ansteckung aus. Noch bevor sich der typische Ausschlag mit roten Flecken zeigt, sind Erkrankte bereits etwa drei bis fünf Tage ansteckend. Eine Maserninfektion kann schwer verlaufen, Komplikationen wie beispielsweise eine Mittelohrentzündung, Lungenentzündung oder eine gefährliche Gehirnentzündung hervorrufen und Folgeerkrankungen nach sich ziehen. Zur Prävention stehen gut verträgliche hochwirksame Impfstoffe zur Verfügung, die eine langfristige Immunität vermitteln. Derzeit erfolgt die Impfung hauptsächlich mit einer gegen drei oder vier Erkrankungen gleichzeitig wirkenden Vakzine: MMR (Mumps, Masern, Röteln) beziehungsweise MMRV (zusätzlich Windpocken). Ein Maserneinzelimpfstoff ist in Deutschland aktuell nicht zugelassen.

Gesetz des Bundesgesundheitsministeriums

Das Gesetz des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sieht vor, dass alle Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben und bei denen keine Kontraindikation gegen eine Masernimpfung vorliegt, beim Eintritt in eine Gemeinschaftseinrichtung (Kindertagesstätte und Schule) entweder einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern oder eine natürlich erworbene Immunität nachweisen müssen. Für einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern sind nach den Regelungen bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres eine Masernimpfung und bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres zwei Masernimpfungen erforderlich.

Auch bei der Betreuung durch eine Tagesmutter muss ein Nachweis über die Masernimpfung oder eine Masernimmunität erfolgen. Gleiches gilt für Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen oder medizinischen Einrichtungen tätig sind wie medizinisches Personal, Erzieher, Lehrer und Tagespflegepersonen, wenn sie nach 1970 geboren sind.

Der Impfkalender der STIKO empfiehlt die erste Masernimpfung für Kinder im Alter von 11 bis 14 Monaten und die zweite zwischen 15 und 23 Monaten. „Während die Impfquote im Alter von zwei Jahren für die erste Impfung bei 95,6 Prozent liegt, beträgt sie für die zweite nur 73,9 Prozent“, sagt Dr. med. Martin Terhardt, Kinder- und Jugendarzt aus Berlin und STIKO-Mitglied. Die Daten zeigten somit „mangelndes zeitgerechtes Impfen“ bei Kleinkindern, vor allem für die zweite Impfung.

Kritik am Masernschutzgesetz

Wenn man jedoch die Daten aus den Schuleingangsuntersuchungen betrachte, sehe die Situation schon besser aus: 97,1 Prozent haben die erste Impfung und knapp 93 Prozent die zweite Impfung erhalten. „Wir können die Masernimpfquote bei Kindern zu Schulbeginn daher als relativ gut bezeichnen“, so der Berliner Kinderarzt. Eklatante Lücken sind allerdings bei den nach 1970 geborenen Erwachsenen zu beobachten.

„Die meisten Masernfälle treten inzwischen bei den nach 1970 Geborenen auf. Hier besteht ein deutlicher Nachholbedarf für die Masernimpfung“, sagt Dr. med. Jürgen Rissland, Leitender Oberarzt am Zentrum für Infektionsmedizin/Staatliche Medizinaluntersuchungsstelle am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar.

Dr. med. Anne Bunte, die im Jahr 2018 als damalige Leiterin des Kölner Gesundheitsamtes eine Masernepidemie managte, bestätigt diesen Aspekt. Bei den in Köln insgesamt 139 an Masern Erkrankten waren über 60 Prozent Erwachsene. Zum Gesetz merkt die Leiterin der Abteilung Gesundheit des Kreises Gütersloh an: „Die Maserndurchimpfungsquoten bei den Kindern machen uns weniger Sorgen. Hier eine Impfpflicht zu verankern, ist eher kontraproduktiv, denn sie kann dazu führen, dass die Bereitschaft bei den anderen ‚freiwilligen‘ Schutzimpfungen zurückgeht.“ Zudem sei mit vielen juristischen Auseinandersetzungen zu rechnen. „Die im Gesetz skizzierte Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) als Kontrollinstanz oder Anbieter von Reihenimpfungen stellt die bisherige Ausrichtung als Berater der Eltern infrage“, so Bunte. Die seit Jahren zunehmend ungünstigere personelle und finanzielle Ausstattung der deutschen Gesundheitsämter stelle eine weitere Herausforderung dar.

Verständliche Impfaufklärungsmaterialien gefordert

Die Impfung gegen Masern ist wichtig, weil sie auch diejenigen schützt, die nicht geimpft werden können, wie Menschen mit Immunerkrankungen oder schwangere Frauen. Experten sprechen von „Herdenimmunität“, wenn die 95-Prozent-Quote erreicht ist. Eine gesetzliche Impfpflicht für Kinder müsse aber kritisch betrachtet werden, denn sie setze nicht da an, wo die eigentlichen Lücken sind: Bei den ungeimpften oder unvollständig gegen Masern geimpften Erwachsenen.

Die Diskutanten im AWMF-Arbeitskreis wiesen darauf hin, dass die Ärzteschaft ebenso wie Juristen den BMG-Vorstoß durchaus unterschiedlich und kritisch bewerten. Auch wurde darüber diskutiert, ob sich eine Pflicht negativ auf andere „freiwillige“ Impfungen auswirken kann. Einig waren sich die Experten, dass mehr Aufklärungsarbeit initiiert werden muss, um vor allem Erwachsene an die Impflücken zu erinnern. Instrumente für eine Verbesserung der Impfquote könnten unter anderem ein bundesweites Impfregister beziehungsweise ein Impf-Informations-System sein, in dem Impfquoten, Surveillance-Daten, KV-Leistungen und Daten zu Nebenwirkungen erfasst werden. Hilfreich wären zudem automatische Impf-Erinnerungen, verständliche Impfaufklärungsmaterialien, Argumentationshilfen für Ärzte sowie ein elektronischer Impfpass.

Quelle: AWMF, 25.11.2019

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