Wellen-Know-how für Gehirnultraschall nutzen?

Medizinische Bildgebung
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Ultraschall für das Gehirn nutzen?
Links: Ein hexaedrisches Finite-Elemente-Netz des Schädels und des Gehirns. Rechts: Eine Momentaufnahme der resultierenden Ultraschallsimulation. Die blaue Scheibe in beiden Bildern repräsentiert die Ultraschallquelle. © Marty P, et al.: Medical Imaging 2022: Physics of Medical Imaging; 120313H (2022)
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Sowohl die medizinische Bildgebung mit Ultraschall wie auch die Seismologie zur Darstellung des Erdinneren nutzen die Ausbreitung von Wellen durch die Materie. Die Wellenausbreitung könnte künftig auch für den medizinischen Ultraschall genutzt werden.

Treffen seismische Wellen auf Materialunterschiede im Erdinnern, werden sie an deren Grenzflächen reflektiert und gebrochen. Infolgedessen ändert sich die Geschwindigkeit der Wellen. Messen nun Forscher an der Oberfläche diese Wellen, können sie Rückschlüsse ziehen auf den Aufbau des Erdinneren, über die Gesteinszusammensetzung und deren Materialeigenschaften wie Dichte, Druck oder Temperatur. Mit Hilfe von ausgefeilten Algorithmen und Hochleistungsrechnern wie „Piz Daint“ am CSCS können Forscherinnen und Forscher wie Andreas Fichtner, Professor am Institut für Geophysik der ETH Zürich, diese Wellendaten verwenden, um die dreidimensionale Struktur der Erde zu charakterisieren.

Gehirn mit Ultraschall untersuchen

Die Parallelen zur Ausbreitung zwischen Ultraschall- und Erdbebenwellen sowie das Know-how des Teams im Bereich der Wellenphysik - wie sich die Informationen, die Wellen in sich tragen, nutzen und in Bilder umsetzen lassen - brachten Fichtner und seine Gruppe dazu, die Wellenausbreitung auch für den medizinischen Ultraschall zu nutzen. So entwickelte die Forschungsgruppe schon vor 6 Jahren in Zusammenarbeit mit Medizinerinnen und Medizinern eine Ultraschallmethode zur Früherkennung von Brustkrebs. Neu erforscht das Team nun, wie sich das Gehirn mit Ultraschall untersuchen lassen könnte. Mit diesem Verfahren könnten die Forscher und Ärzte künftig z.B. Schlagfanfallpatienten überwachen oder Gehirntumore identifizieren.

Kostengünstiger und nahezu unschädlich

Im Vergleich zur Computertomografie (CT) oder dem Röntgen hat Ultraschall einen entscheidenden Vorteil: Das Verfahren ist für den Körper nahezu unschädlich. Zudem ist es viel kostengünstiger als etwa die Magnetresonanztomografie (MRT). Darüber hinaus sind Ultraschallgeräte transportabel und können auch in entlegenen Regionen zum Einsatz kommen. Das Problem ist aber, dass Ultraschall bis jetzt nur in Weichteilen gut funktioniert. Ultraschallwellen durch harte Strukturen wie die Schädeldecke zu bekommen, ist jedoch sehr schwierig, denn der Schädelknochen reflektiert und dämpft die Wellen sehr stark.

Herausforderungen überwinden

Patrick Marty entwickelt in seiner Doktorarbeit bei Fichtner mit Unterstützung von Christian Böhm, Senior Scientist in der Gruppe Seismologie und Wellenphysik, nun ein Verfahren, das diese Herausforderung überwinden soll. Diese Methode soll die Grundlage dafür liefern, um das Gehirn mit Ultraschall hochauflösend darzustellen. Die Forscher entwickeln für die Simulation der Wellenausbreitung durch das Gehirn sowohl Algorithmen weiter wie auch ein spezielles Gitternetz, dessen Koordinatenpunkte berechnet werden müssen. Herzstück ist dabei ein an der ETH Zürich mit Unterstützung des CSCS entwickeltes Softwarepaket namens Salvus.

Gesamte Welleninformation nutzen

Salvus modelliert die Ausbreitung des kompletten Wellenfeldes (full-waveform) über räumliche Skalen von einigen Millimetern bis zu Tausenden von Kilometern. ETH-Seismologen nutzen diese Software zur Simulation seismischer Wellen, um z.B. das Innere der Erde oder des Mars zu erforschen, sowie für die medizinische Bildgebung. „Im Gegensatz zum herkömmlichen Ultraschall, der nur die Ankunftszeit der Wellen nutzt, verwenden wir in unseren Simulationen die gesamte Welleninformation“, sagt Marty. Das heißt, die Form der Welle, deren Frequenz, Geschwindigkeit und Amplitude an jedem Punkt ihrer Ausbreitung fließen in die Berechnungen ein.

Lernen an einer Magnetresonanztomografie

Für ihr Modell verwenden die Forscher eine MRT-Aufnahme des Gehirns als Referenzbild. Auf dem Supercomputer „Piz Daint“ führen sie dann Berechnungen durch, bis das simulierte Bild mit dem des MRT übereinstimmt. Anstatt eines für den herkömmlichen Ultraschall üblichen Graustufenbildes, das keine weiteren Informationen enthält, erhalten die Forscher ein quantitatives Bild: Indem sie die Informationen des kompletten Wellenfelds nutzen, lassen sich die physikalischen Eigenschaften des Mediums - die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Ultraschallwellen durch das Gewebe, deren Dämpfung, aber auch die Dichte des Gewebes – an jedem Punkt im Gehirn korrekt abbilden. Das ermöglicht es, das Gewebe zu bestimmen und zu unterscheiden, ob es sich beispielsweise um Gehirnmasse oder Tumorgewebe handelt. Denn von Laborexperimenten kennt man die Dichte, Dämpfung oder Schallwellengeschwindigkeit der unterschiedlichen Gewebearten.

Ziel: Dreidimensionales Bild des untersuchten Gehirns

Die Forscher sind überzeugt, dass sich mit dieser Methode gesundes Gewebe von krankem schonend und kostengünstig unterscheiden lässt. Konkret könnte dieses Verfahren in einen Computer eingespeist werden, der in einem speziell entwickelten Ultraschallgerät integriert wird. Der Computer berechnet die von Sensoren erfassten Ultraschallsignale und heraus kommt ein dreidimensionales Bild des untersuchten Gehirns. Doch bis das Verfahren in die klinische Praxis gelange, sei es noch ein weiter Weg, betonen die Forscher.

Eine besondere Herausforderung ist die aufgrund von Augen-, Nasen und Kieferhöhlen komplexe Geometrie des Schädels. Diese muss in der Simulation genau modelliert werden, ohne dass dabei die Rechenzeit explodiert. Um dieses Problem zu lösen, arbeitet Marty an Methoden, die aus Hexaedern (kleine Elemente mit sechs ebenen Flächen) individuelle numerische Gitter für beliebige Schädelformen erstellen. „Mit diesen verformten kleinen Würfeln sind wir 100 bis 1.000mal schneller, als wenn wir mit Tetraedern arbeiten würden“, sagt Böhm. „Zudem profitiert das Projekt stark von neuen Entwicklungen bei den Graphikkarten, wie wir sie in ‚Piz Daint‘ haben. Sie sind für diese Methode ideal.“

Methode auch für andere Körperteile?

Die Forscher arbeiten mit Medizinerinnen und Medizinern des Universitätsspitals Zürich zusammen, um diese Techniken weiterzuentwickeln. Wenn es Marty in den nächsten drei Jahren seiner Doktorarbeit gelingt, die Verfahren für die Gittererstellung und Bildgebung des Gehirns weiterzuentwickeln, könnte diese Methode auch für andere Körperteile wie das Knie oder der Ellenbogen anwendbar sein. Dies wäre dann eine vielversprechende Grundlage für die Entwicklung eines entsprechenden Ultraschallgerätes.

Literatur:
Marty P, Boehm C, Paverd C, Rominger M, Fichtner A (2022): Full-waveform ultrasound modeling of soft tissue-bone interactions using conforming hexahedral meshes. Medical Imaging 2022: Physics of Medical Imaging, 12031, 877–891.

Marty P, Boehm C, Fichtner A (2021, December 13): Full-Waveform Inversion of Geological Structures in the Human Brain. AGU Fall Meeting, New Orleans, LA.

Quelle: ETH Zürich

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