Wie 1896 in Berlin alles anfing

MTA – Der Beruf feiert 120-jähriges Jubiläum
Ludwig Zahn
MTA-Jubiläum
Unterricht in der Photographischen Lehranstalt, in der Mitte mit dem Gesicht zum Betrachter Marie Kundt. – Undatiert, Bild um 1900–1910 aus dem Manuskript „Erinnerungen an die Photographische Lehranstalt“ von Anna Köppen © Archiv des Lette-Vereins
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Die Entwicklung des MTA-Berufes hängt eng mit der Entdeckung der X-Strahlen (Röntgenstrahlung) am 8. November 1895 zusammen.

Bereits kurz nach der Veröffentlichung breitete sich die revolutionäre Technologie aus. Schon im Januar 1896 gab es an der Berliner Kriegsakademie einen Vortragsabend der „Gesellschaft von Freunden der Photographie“ zu den X-Strahlen.Bei der praktischen Demonstration führten der Leiter der Photographischen Lehranstalt des Lette-Vereins Dankmar Schultz-Hencke und seine damalige Assistentin, Marie Kundt (4. Februar 1870 – 2. April 1932), eine praktische Demonstration durch.

Kundt, die Tochter eines Offiziers, setzte ihre Hand eine halbe Stunde lang der Strahlung aus. Danach erfolgte die Entwicklung der Aufnahme. Es soll sich dabei um die erste in Berlin hergestellte Röntgenaufnahme handeln. Marie Kundt war die Nichte des Physikers Prof. August Kundt, der Lehrer von Wilhelm Conrad Röntgen [1, 4].

Da es Mitte des 19. Jahrhunderts um die Chancen von Frauen in der Arbeitswelt eher schlecht bestellt war, hatte Wilhelm Adolf Lette 1866 in Berlin den „Verein zur Förderung der Erwerbstätigkeit für das weibliche Geschlecht“ gegründet und das Lette-Haus eröffnet, das somit in diesem Jahr das 150-jährige Jubiläum feiert. Es handelte sich um eine Berufsbildungsstätte für Frauen. Die Photographische Lehranstalt des Lette-Vereins war im Jahr 1890 gegründet worden. Ab 1896 wurden dann geeignete Schülerinnen zur Annahme einer Stellung als Hilfskraft der Ärzte, die sich mit Röntgenaufnahmen beschäftigen, ausgebildet. „Die Schülerinnen mußten (sic!) nach Erlernen der photographischen Technik – Aufnahme, Entwicklung und Behandlung des Negatives, Anfertigung der Kopie – sich besonders mit dem Instrumentarium vertraut machen, das zur Röntgenaufnahme benötigt wurde“ [2].

Bildnis Marie Kundt: um 1890–1895. In der linken Hand hält Marie Kundt vermutlich eine Photographische Platte. Marie Kundt war 1891 Assistentin der Photographischen Lehranstalt geworden. © Familienbesitz Schaaf/Stege München


Nach dem Start der Ausbildung 1896 gab es dann im Folgejahr die erste Einstellung einer Frau in den Krankenhausdienst, die nichts mit der Krankenpflege zu tun hatte. Es war ein Arbeitsplatz „…  an der Seite des Arztes im Röntgenlaboratorium …“ [2]. Prof. Hermann Gocht, ein Orthopäde, brachte Paula Chelius, eine Schülerin der Photographischen Lehranstalt des Lette-Vereins, an das Eppendorfer Krankenhaus in Hamburg. Sie gilt somit als die erste MTRA weltweit. Leider gibt es in den offiziellen Archiven keine Fotos mehr zu Paula Chelius. Die Besoldung der ersten MTRA war wegen der Spezialausbildung etwas höher und es war eine Pensionsberechtigung mit der Festanstellung verbunden [2].

Im Jahr 1899 berief dann August Bier, Professor und Direktor der Chirurgischen Uniklinik Greifswald, eine frühere Schülerin der Photographischen Lehranstalt, als photographische Assistentin an die Greifswalder Klinik. Ida Dommert hatte nach ihrer Ausbildung ein kleines Porträtatelier eröffnet. Dass sie nun als Röntgenassistentin arbeiten sollte, war für sie zunächst eine Überraschung [2]. Es ist sogar noch die erste Aufnahme überliefert, bei der Dommert beteiligt war. Es soll sich um eine Unterschenkelfraktur in Gips gehandelt haben. Schon die zweite Aufnahme, eine Kniescheibenfraktur, musste sie selbstständig erstellen. Ida Dommert folgte dann 1904 ihrem Chef nach Bonn [2].

Abzug einer Porträtfotografie der Marie Kundt mit Ecorche aus dem Nachlass von Ilse Körner, vermutlich um 1900–1910. © Archiv des Lette-Vereins

Marie Kundt stellte in ihrem Buch schon 1928 fest, dass die Nachfrage nach „photographischen Hilfskräften“ stetig stieg. Im Jahr 1900 eröffnete Prof. Dr. Max Immelmann in Berlin ein zweites Institut zur Ausbildung von Röntgenassistentinnen. Allein in Berlin wurden zwischen 1906 und 1930 ganze 24 Lehranstalten eröffnet [3]. Bereits früh wurde am Lette-Verein ein Unterrichtsplan ausgearbeitet. Dieser beinhaltete neben den klassischen Fächern wie Photographie, Chemie und Photochemie auch schon die Methoden der klinischen Chemie, histologische Techniken und Mikroskopieren. Damit kann der Lette-Verein für sich in Anspruch nehmen, den Beruf der technischen Assistentin an medizinischen Instituten geschaffen zu haben. Die erste Stellenvermittlung einer Assistentin, die für Röntgen- und Laboratoriumsarbeit an medizinischen Instituten eingestellt wurde, datiert Kundt auf 1905 [2].

Bild aus einem handgefertigten 20-seitigen Fotoalbum mit Bildern von der Geburtstagsfeier Marie Kundts am 4. Februar 1930 in der Photographischen Lehranstalt. – Abgebildet sind Marie Kundt (rechts) sowie weitere Lehrpersonen und Gäste der Photographischen Lehranstalt, unter anderem Thusnelda Lang-Brumann (Mitte), vermutlich Waldemar Titzenthaler (links) und Hans Virchow (rechts). Lang-Brumann als Reichstagsabgeordnete und Marie Kundt als Direktorin der Photographischen Lehranstalt waren wesentlich an der Gründung des BOTAWI, später REVETA beteiligt. © Archiv des Lette-Vereins

Im Jahr 1895 traten Schülerinnen dem Club ehemaliger Schülerinnen der Photographischen Lehranstalt des Lette-Vereins e.V. bei. Dies war zu dieser Zeit die einzige Berufsorganisation, in der die technische Hilfsarbeiterin an medizinischen Instituten vertreten war. Auf der Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ 1912 in Berlin schuf Elise Wolff eine zweite Berufsorganisation, die „Vereinigung wissenschaftlicher Hilfsarbeiterinnen“. Später erfolgte dann der Zusammenschluss aller Organisationen zum „Bund der Organisationen Technischer Assistentinnen“ (BOTAWI). Bei der Gründung 1919 wurden 3.000 Mitglieder gezählt. Marie Kundt hatte dieser Organisation bis 1929 vorgestanden. 1930 wurde dann der BOTAWI in den REVETA (Reichsverband Technischer Assistentinnen) überführt. Diesen hatten Marie Kundt und die Reichstagsabgeordnete Thusnelda Lang-Brumann gegründet [2]. Diese Organisationen gelten als die Vorläufer des DVTA.

Marie Kundt wurde 1913 Direktorin des Lette-Vereins (bis 1932). Ebenfalls 1913 wurde die vom Lette-Verein aufgestellte Prüfungsordnung für den neuen Beruf staatlich genehmigt. Es gab sowohl einen theoretischen wie auch praktischen Prüfungsteil. Erst 1921 gab es eine behördliche Regelung der Ausbildung für die Röntgen- und Laboratoriumsassistentinnen in Preußen (Technische Assistentin an medizinischen Instituten) [2, 3, 4].

Ein herzlicher Dank an Jana Haase vom Lette-Verein für ihre Unterstützung.

Literatur

1. Thalhammer W: Von der Röntgenphotographin zur therapeutischen Partnerin der Radioonkologen. Strahlentherapie und Onkologie, 188 (3) Supplement: 332–40, 2012.
2. Kundt M: Die Technische Assistentin an medizinischen Instituten. Stuttgart: Verlag von Ferdinand Enke, 1928.
3. Hartmann T: Berufsbild und Berufsgeschichte. In: Hartmann T, Kahl-Scholz M, Vockelmann C (Herausgeber): Fachwissen MTRA: Für Ausbildung, Studium und Beruf. Berlin, Heidelberg: Springer, 2014.
4. Kütterer G: Ach, wenn es doch ein Mittel gäbe, den Menschen durchsichtig zu machen wie eine Qualle! Norderstedt: BoD, 2005.
5. Die Photographische Lehranstalt des Lette-Vereins. Eine Erinnerungsschrift 1890–1900, 1901.

Entnommen aus MTA Dialog 11/2016

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