Wie beeinflusst Stress das episodische Gedächtnis?

Erhöhtes Risiko für psychiatrische Störungen?
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© ronstik, stock.adobe.com
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Negativer Stress ist nicht gesund, doch wie wird die Struktur und Funktion des Gehirns dadurch beeinträchtigt? Mit Mausexperimenten wollen Forscherinnen und Forscher das Geheimnis lüften.

Dr. Alessio Attardo hat mit seinem Team vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) Magdeburg nun bei Mausexperimenten einen Mechanismus entdeckt, der zeigt, dass wiederholter Stress die Synapsen in der für das episodische Gedächtnis wichtigen Hippocampus-Region CA1 destabilisiert, sodass die Neuronen zunächst hyperaktiv sind, anschließend Nervenverbindungen verschwinden und sich somit die Kodierung verändert.

Wichtiges episodisches Gedächtnis

Der erste Kuss, der Schulabschluss, ein Autounfall: Im episodischen Gedächtnis werden sowohl positive als auch negative Erfahrungen unseres Lebens abgespeichert. Es umfasst aber nicht nur die Erinnerungen an unsere persönlichen Lebensstationen, sondern auch an markante Ereignisse des öffentlichen Lebens, die uns geprägt haben, wie zum Beispiel den Fall der Mauer. Mit Hilfe des episodischen Gedächtnisses können wir komplexe Alltagserfahrungen in einen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang stellen.

Enkodierung der Erinnerung im Hippocampus leidet

Durch Stress wird diese Form des Erinnerns jedoch erheblich verändert. Attardo suchte mit seinem Team den neuronalen Mechanismus: „In unserer Studie haben wir den Zusammenhang zwischen Veränderungen in den Aktivitätsmustern und der strukturellen Plastizität der Neuronen untersucht. Wir konnten mit unseren Experimenten zeigen: Wiederholter Stress erhöht bei den untersuchten Mäusen zunächst die neuronale Aktivität, doch anschließend geht die räumlich-zeitliche Struktur der Aktivitätsmuster verloren und die Enkodierung der Erinnerung im Hippocampus leidet.“

Neubildung von synaptischen Kontakten nahm drastisch ab

Für das Experiment trainierten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Mäuse, die Position einer versteckten Plattform in einem kleinen Schwimmbecken zu erlernen. Mit Hilfe von Miniaturmikroskopen und der Zwei-Photonen-Bildgebung konnten sie Veränderungen in den Aktivitätsmustern von Tausenden von Neuronen erkennen, während sich die Mäuse frei bewegten. Die veränderte Aktivität ging mit einer Abnahme von erregenden Synapsen einher, weil vorhandene Synapsen durch den Stresseinfluss destabilisiert wurden und die Neubildung von synaptischen Kontakten drastisch abnahm.

Stress ist nicht gleich Stress

„Interessanterweise wurde der Verlust von Verbindungen in den Neuronen des Hippocampus erst nach mehreren Tagen Hyperaktivität deutlich, und die Desorganisation der Kodierung im Hippocampus zeigte sich erst nach einem erheblichen Kontaktverlust. Akuter Stress hingegen führte eher zu einer Stabilisierung der erregenden Synapsen, die in zeitlicher Nähe zum Stressereignis entstanden“, erläutert Attardo. Dies deutet darauf hin, dass Stress nicht gleich Stress ist, und dass die nach akutem Stress stabilisierten Synapsen möglicherweise an der Speicherung der negativen Stress-Wirkung beteiligt sind, nicht aber an der eigentlichen Lernaufgabe.

Neue Therapien möglich?

Die zellulären Mechanismen und Netzwerkveränderungen, durch die wiederholter oder lang anhaltender Stress bzw. Akutstress seine schädlichen Auswirkungen entfaltet, sind noch nicht vollständig geklärt. „Unsere Studie wirft ein Licht auf dieses Problem, indem sie zum ersten Mal zeigt, dass der Verlust neuronaler Konnektivität den Übergang zwischen früher neuronaler Hyperaktivität und späterer Beeinträchtigung der Hippocampusfunktion bei wiederholter Stressbelastung vermittelt“, so Attardo. Die Ergebnisse könnten das Potenzial haben, neue Therapien zur Linderung der negativen Auswirkungen von wiederholtem Stress zu ermöglichen, hoffen die Wissenschaftler/-innen.

Literatur:
Chenani A, Weston G, Ulivi AF, et al.: Repeated stress exposure leads to structural synaptic instability prior to disorganization of hippocampal coding and impairments in learning. Transl Psychiatry 12, 381 (2022), DOI: doi.org/10.1038/s41398-022-02107-5.

Quelle: idw/Leibniz-Institut für Neurobiologie

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