Die Erfindung der Glukosemessung
In Deutschland steigt die Zahl der Menschen mit Diabetes stetig: Mehr als neun Millionen Menschen leben mit der Stoffwechselerkrankung Diabetes Typ 2, jedes Jahr erkranken rund 500.000 neu. Die Dunkelziffer liegt bei mindestens zwei Millionen – wahrscheinlich aber deutlich höher, denn Diabetes bleibt häufig lange unerkannt. Weitere 32.000 Kinder und Jugendliche sowie 340.000 Erwachsene haben Typ-1-Diabetes. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung bedeutete eine Diabetesdiagnose in den frühen 1960er-Jahren eine lange Diabetesdauer mit hohem Komplikationsrisiko. Trendanalysen zeigen, dass Typ-2-Diabetes auch bei Jugendlichen in den vergangenen zehn Jahren stark angestiegen ist. Menschen mit Diabetes haben eine erhöhte Mortalität. So zeigte eine Studie mit GKV-Daten zur diabetesbedingten (attributablen) Mortalität von Menschen mit Typ-2-Diabetes, dass die Sterblichkeit mit 137.000 Todesfällen (16 % aller Sterbefälle) in Deutschland höher war als bisher angenommen. Männer und Frauen mit Diabetes im Alter von 20 Jahren haben eine um jeweils 9,0 (50,6 versus 59,6 Jahre) und 7,8 (56,2 versus 64,0 Jahre) Jahre kürzere verbleibende Lebenserwartung als gleichaltrige Personen ohne Diabetes.
Soziale Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes
Der Typ-2-Diabetes hat viele Ursachen: genetische Faktoren, Fehlernährung und Bewegungsmangel, Mikrobiomveränderungen, Inkretine, Inflammationstrigger et cetera. Diese Mediatoren sind aber nicht der Startpunkt für die metabolische Pandemie der letzten Jahrzehnte. Unsere uralte genetische Ausstattung konnte sich nicht an moderne Verhältnisse anpassen. Überernährung – vorzeitlich allenfalls saisonal oder in reichen Oberschichten städtischer Gesellschaften zu finden – ist heute weitverbreitet und gemeinsam mit Bewegungsmangel eine zivilisatorische „Errungenschaft“, die nicht alle Länder gleichermaßen trifft. Entscheidend ist die soziale Indolenz gegenüber Armut, die gesunde Ernährung selbst beim Discounter unerschwinglich macht.
Lebensmittelpreise im Kontext gesunder und sozialpolitisch verantwortungsvoller Ernährung
Heutige Ernährungsleitlinien gestatten mehrere gesunde Konzepte, die den Nährstoffbedarf decken und mit verbesserten kardiovaskulären Risikoparametern oder harten Endpunkten assoziiert sind. Gleichwohl scheitert aber oftmals die Erfüllung dieser Empfehlungen an oben genannten sozialen Hürden. Armut verhindert nachweislich eine gesunde Ernährung – präventiv und als Therapie. Die frei gewählte Durchschnittsernährung in westlichen Ländern ist der preiswerteste Weg, den Energie-, aber nicht den Mikronährstoffbedarf zu decken. Die meisten gesunden Produkte sind zu teuer, preiswerte Lebensmittel aber überwiegend energiedicht, hochverarbeitet, eiweiß- und ballaststoffarm. Für Menschen mit geringem Bildungsniveau ist die Preisspreizung zwischen gesunder und ungesunder Ernährung zwar kleiner als für höher gebildete Menschen, aber dennoch kaufentscheidend. Die mediterrane Ernährung als bestes Ernährungskonzept erfordert einige hochpreisige Komponenten. Auch Low Carb ist unerschwinglich für einkommensschwache Haushalte, die besonders oft von diätetisch zu behandelnden Erkrankungen betroffen sind. Und umgekehrt: Wer mehr Geld für seine Ernährung aufbringt, hat epidemiologisch geringere Risiken für metabolische Erkrankungen.
Aus der Geschichte der Entdeckung bis zur Manifestation
Die Geschichte der Diabetologie ist ein wichtiger Teil der Medizingeschichte, nicht zuletzt, weil insbesondere durch die Ergebnisse der Forschungen über das seit 1921 bekannte Insulin und Insulinpräparate der Diabetes mellitus seinen Schrecken als tödliche Krankheit verloren hat.
Die erste Beschreibung von Diabetessymptomen findet sich im Ebers Papyrus von 1552 v. Chr., einer medizinischen Schriftrolle des Alten Ägyptens. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts verfasste der arabische Gelehrte Abd al-Latif al-Baghdadi ein Traktat über die Zuckerkrankheit. Im Jahr 1675 beschrieb Thomas Willis den Geschmack des Urins bei Diabetes als „honigsüß“. Willis beschrieb auch die Symptome der diabetischen Neuropathie bei seinen Patientinnen und Patienten: Heilen konnte er den Diabetes jedoch nicht. 1683 entfernte Johann Konrad Brunner Hunden die Bauchspeicheldrüse und beobachtete als Folge extremen Durst und Polyurie; er gilt somit als Entdecker des pankreopriven Diabetes mellitus.
Im Jahr 1776 machte der britische Arzt und Naturphilosoph Matthew Dobson (1732–1784) eine Art Zucker im Urin für dessen süßen Geschmack verantwortlich. 1848 veröffentlichte der Chemiker Hermann Fehling eine Methode zur quantitativen Bestimmung von reduzierenden Zuckern, die als Fehling-Probe bekannt wurde. Nun konnte durch Bestimmung des Harnzuckerwertes die Krankheit besser diagnostiziert werden. 1889 beschrieb Wilhelm von Leube den häufigen Zusammenhang von Pankreaserkrankungen und Diabetes mellitus. Zu Ehren von Paul Langerhans nannte der französische Pathologe Édouard Laguesse (1861–1927) 1893 die Zellanhäufungen „Langerhanssche Inseln“. Er postulierte auch ihre Funktion als endokrines Gewebe mit regulatorischer Wirkung auf den Stoffwechsel. Im selben Jahr versuchte Oskar Minkowski (1858–1931) die Zufuhr eines Pankreasextraktes durch subkutane Injektion. Minkowski, Emmanuel Hédon (1861–1932) und Jules Thiroloix (1861–1927) entdeckten, dass nach Entfernung des Pankreas der Diabetes ausbleibt, wenn Pankreassubstanz irgendwo unter die Haut transplantiert wird. 1916 gelang es Nicolae Paulescu (1869–1931) erstmals, Insulin aus Pankreasgewebe zu gewinnen. Er nannte das Präparat Pankrein, es war bei einem diabetischen Hund wirksam.


1922 gelang dem Team um Frederick Banting (1891–1941) und Charles Best (1899–1978) die erste Rettung eines Diabetikers. Der 13 Jahre alte Leonard Thompson, der seit eineinhalb Jahren an der Krankheit litt, wurde von ihnen im Toronto General Hospital mit Rinderinsulin behandelt. Schon nach drei Tagen ist sein Harn frei von Zucker und Aceton. Banting und John James Rickard Macleod (1876–1935) erhielten 1923 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin „für die Entdeckung des Insulins“ (nicht aber Best).
In den folgenden Jahrzehnten wurde Insulin aus den Bauchspeicheldrüsen von Rindern und Schweinen gewonnen. Obwohl auch tierisches Insulin beim Menschen wirkt, gab es trotzdem Versuche, menschliches Insulin zu produzieren, da die Behandlung mit modifiziertem tierischen Insulin oft zu schwerwiegenden immunologischen Nebenreaktionen führte. 1955 publizierte Frederick Sanger (1918–2013) nach zwölfjähriger Arbeit die komplette Aminosäurensequenz des Insulins. Dafür wurde er 1958 mit dem zweiten Nobelpreis in der Geschichte des Insulins, diesmal im Bereich Chemie, „für seine Arbeiten über die Struktur der Proteine, besonders des Insulins“ ausgezeichnet.
Elektronische Blutzuckermessgeräte gibt es seit Anfang der 1970er-Jahre. Die Schulung der Patientinnen und Patienten beim Umgang mit den Geräten wurde Diabetesberatern übertragen. Entsprechende Aus- und Fortbildungen gibt es seit 1983. Seit den 1990er-Jahren kamen in der Folge immer kleinere und genauere Geräte auf den Markt, die seitdem weitverbreitet sind und zur Standardtherapie des Diabetes mellitus gehören.
1972 verlieh die Deutsche Diabetes-Gesellschaft erstmals die Paul-Langerhans-Medaille für Forschungsleistungen auf dem Gebiet der Diabetologien an den schwedischen Endokrinologen Rolf Luft. Rosalyn Sussman Yalow wurde 1977 für die Entwicklung radioimmunologischer Methoden der Bestimmung von Peptidhormonen mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet. 1985 wurde der erste Insulinpen, der NovoPen von Novo Nordisk, auf den Markt gebracht. Seit den frühen 1990er-Jahren und gehäuft nach der Jahrhundertwende sind Insulinpumpen im Einsatz. Eine Insulinpumpe enthält ein Reservoir für Insulin und gibt eine für die Patientin/den Patienten für 24 Stunden individuell einzustellende kontinuierliche Basalrate ab. Ein Bolus wird jeweils für Mahlzeiten oder Korrekturen (bei Hyperglykämien) manuell abgegeben. Die Insulinpumpe ist über einen Katheter am Körper mit einer Injektionsnadel beziehungsweise einem -schlauch zur subkutanen Insulinabgabe verbunden. Verbessert wurde die Pumpentechnologie durch die kontinuierliche Gewebezuckermessung (Continuous Glucose Monitoring). Hier wird neben der Pumpe ein zweiter Katheter am Körper angebracht. Ein Sensor misst kontinuierlich die Höhe des Gewebezuckers und überträgt die Werte an die Pumpe oder an ein eigenes Gerät. Die jüngste Insulinpumpentechnologie ist die Herstellung eines geschlossenen Regelkreises, bei dem die Pumpe neben dem Insulin selbstständig Glucagon zur Gegenregulierung bei gefährlicher Unterzuckerung abgibt.

Welt-Diabetes-Tag – wer hat den Weltdiabetestag erfunden?
Der Weltdiabetestag ist ein internationaler Aktionstag. Er wurde als Reaktion auf die weltweit steigende Zahl von Menschen mit Diabetes erstmals 1991 von der Internationalen Diabetes-Föderation (International Diabetes Federation, IDF) und der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) ausgerufen. Seit 2007 ist der World Diabetes Day auch ein Tag der Vereinten Nationen. Die UN stuft damit erstmals eine nicht übertragbare Krankheit als große Gefahr für die Gesundheit der Weltbevölkerung ein – vergleichbar mit den infektiösen Epidemien Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids. Der Weltdiabetestag ist immer am 14. November. Das Datum erinnert an den Geburtstag von Frederick G. Banting. Am oder um den 14. November finden alljährlich zahlreiche Veranstaltungen in vielen Ländern der Erde statt. Darüber hinaus gibt es das ganze Jahr über Aktionen zum Motto des Weltdiabetestages.
Was passiert am Weltdiabetestag?
Der Weltdiabetestag vereint jedes Jahr am 14. November Millionen von Menschen in mehr als 160 Ländern der Erde, um den Diabetes ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Unter der Leitung der IDF sind engagierte Diabetikerinnen und Diabetiker, Ärztinnen und Ärzte sowie Gesundheitsdienstleistende, Entscheidungsträger im Gesundheitswesen und die Medien an den Aktionen zum Weltdiabetestag beteiligt. Die IDF-Mitgliedsorganisationen und -Partner organisieren Sportveranstaltungen, Poster- und Broschürenkampagnen, kostenlose Blutzuckermessungen sowie Radio- und Fernsehsendungen. Beleuchtete Monumente machen öffentlichkeitswirksam auf den Weltdiabetestag aufmerksam. In jedem Jahr steht dabei ein besonderes Thema im Mittelpunkt. Während es früher jedes Jahr ein neues Schwerpunktthema gab, gelten Kampagnenthemen seit 2007 über mehrere Jahre.
Was bedeutet das Weltdiabetestag-Logo?
Das Logo des Weltdiabetestages ist ganz einfach: ein blauer Kreis. Er steht für Einigkeit im Kampf gegen Diabetes. In vielen Kulturen steht die Kreisform für Leben und Gesundheit. Die Farbe Blau symbolisiert den alle Nationen vereinenden Himmel und ist gleichzeitig die Farbe der Flagge der Vereinten Nationen. Im Logo zum Weltdiabetestag steht der blaue Kreis nun für die Einigkeit der internationalen Diabetesgemeinschaft angesichts der weltweiten Verbreitung von Diabetes.

Diabetesmuseum München
All die im Artikel genannten Daten und Fakten sind im Diabetes- (Familien-)Museum München (Veldenerstaße 136 in 81241 München, www.diabetesmuseum.de) liebevoll aufgearbeitet und ausgestellt. An dieser Stelle soll daher die Familie Neumann vorgestellt werden, die das Museum betreibt. Sie besteht aus vier Mitgliedern. Anja, die Jüngste, Jahrgang 1992, erkrankte im Jahre 1994 mit 20 Lebensmonaten am Diabetes mellitus und spritzt seitdem Insulin. Sie hat noch eine ältere Schwester. Der Vater, Werner Neumann, Jahrgang 1959, interessierte sich nach Anjas Erkrankung für Diabetes. Anfangs beschaffte er Nährwertanalysen. Er ging gegen die Pflegekasse gerichtlich vor und erreichte, dass Pflegegeld der Stufe I bezahlt wird. Alle zusammen hatten im Jahr 2000 Kanada bereist, um dort unter anderem das Banting-Museum in London/Ontario und die dazugehörende Flame of Hope anzusehen. Die Flame of Hope wurde 1989 von der Queen Mum entzündet. Sie brennt dort für damals geschätzte 250 Millionen Diabetikerinnen und Diabetiker weltweit. Erst bei einer Heilung soll sie erlöschen.
Im Jahr 2001 fängt Werner Neumann an, sich für die Geschichte des Diabetes zu begeistern: erst für die „Gerätschaften“ von Anja, dann beginnt er, alles über das zuckerkranke Kind zu lesen. Entsprechend wird das Material immer mehr. Seit 2006 hat das Diabetesmuseum einen eigenen Raum, im November 2011 kam das zweite Zimmer dazu. 2019 erfolgte die Anerkennung als privates, nicht staatliches Museum in Bayern durch die dafür zuständige Landesstelle. Der Eintritt ist frei, um vorherige Anmeldung wird aber gebeten.
Seit 2008 ist die Familie mit einer „mobilen Ausstellung“, die mit zahlreichen Exponaten in Tischvitrinen und unter Kunststoffabdeckungen bestückt ist, unterwegs. Hier wird auf etwa vier Metern ein kurzer, geschichtlicher Überblick der Sammlung gegeben. Präsentationen erfolgen bei Selbsthilfegruppen, auf Diabetikertagen, Kongressen und größeren Veranstaltungen, zum Beispiel anlässlich des Weltdiabetestages am 14. November.
Literatur
1. Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe: Deutscher Gesundheitsbericht: Diabetes 2025 – Die Bestandsaufnahme. 14.11.2024.
2. Wikipedia: Geschichte der Diabetologie (letzter Zugriff am 13.03.2025).
3. DiabSite (Uphoff H): Der Weltdiabetestag. Aktualisiert: 12.11.2024, www.diabsite.de/aktionen/weltdiabetestag (letzter Zugriff am 13.03.2025).
4. Neumann W: Diabetesmuseum München. www.diabetesmuseum.de (letzter Zugriff am 13.03.2025).
Entnommen aus MT im Dialog 5/2025
Artikel teilen