Genommedizin in der Versorgung
Das Symposium gilt als eine der wichtigsten Veranstaltungen der Genommedizin-Community in Deutschland. Es bietet führenden Vertreterinnen und Vertretern aus Klinik, Forschung, Medizininformatik, Netzwerken, Projekten und Gesundheitspolitik ein Forum zum Austausch. Organisiert wurde es gemeinsam von der TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V., dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), dem German Human Genome-Phenome Archive (GHGA) und dem Deutschen Netzwerk Bioinformatikinfrastruktur (de.NBI/ELIXIR-DE). Der fachliche Fokus erstreckte sich dabei von aktuellen genommedizinischen Therapien für betroffene Patientinnen und Patienten über die Entwicklung der Dateninfrastrukturen in Deutschland und Europa bis hin zur Weiterentwicklung der personalisierten Medizin. Zu den inhaltlichen Schwerpunkten des Symposiums zählte das Modellvorhaben Genommedizin. Ein wichtiges Ziel von genomDE ist es, innerhalb der gesetzlich verankerten Laufzeit zu zeigen, in welcher Größenordnung die gesundheitliche Versorgung von Menschen, die unter Seltenen und onkologischen Erkrankungen leiden, durch Ganzgenomsequenzierung verbessert werden kann. Die gewonnenen Erkenntnisse können zu besserer Diagnostik und veränderten Therapieempfehlungen führen. Eine tragende Grundlage sind die umfangreichen und qualitativ hochwertigen, strukturierten Datensätze, die Teil der vergüteten Leistung sind.
Stimmen aus dem BMG und der Forschung
Dr. Georg Kippels, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, betonte in seiner Keynote zur Eröffnung, im Modellvorhaben Genommedizin werden in den nächsten fünf Jahren etwa 100.000 Patientinnen und Patienten integriert. Dadurch würden in Zukunft zahlreiche Erkrankte von der Genommedizin profitieren. Zudem könne man genetische Ursachen von Erkrankungen besser verstehen und dieses Wissen gezielt in Diagnostik und Therapie einsetzen. Auf Basis der Evaluation des Modellvorhabens gemäß § 64 e SGB V soll die Genomsequenzierung nach Ablauf von fünf Jahren in die gesundheitliche Routineversorgung integriert werden.
So habe die Medizin fast 25 Jahre nach der ersten veröffentlichten Version eines menschlichen Genoms einen wichtigen Meilenstein erreicht, sagte Professor Dr. Oliver Kohlbacher vom Universitätsklinikum Tübingen. Das Vorhaben lege die Grundlage für eine strukturierte und sichere Nutzung genomischer Daten in der klinischen Versorgung und Forschung. Damit sei ein zentraler Schritt hin zur personalisierten Medizin in Deutschland gemacht – mit präziseren Diagnosen und individualisierten Therapien.
Die im Modellvorhaben aufgebaute Infrastruktur mit dezentralen Datenknoten ermögliche erstmalig eine nationale, unbürokratische Nutzung genomischer und klinischer Patientendaten für Diagnose, Therapie und Forschung, so PD Dr. Andreas Till vom BfArM.

Neuartige Therapien erfordern neue Strukturen
Prof. Dr. Carsten Müller-Tidow, Universitätsklinikum Heidelberg, referierte über CAR-T-Zell-Therapien, eine Therapieinnovation, die neue Strukturen in der Versorgung erfordert. Eine dieser, durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses G-BA geförderten Strukturen heißt „Integrate ATMP“ (Integrierte Versorgung neuer Therapien durch Telemedizin, Empowerment, Gentherapeutika, Registeretablierung, Arzneimittelsicherheit, Therapiepfaden und Erstattung). Sie umfasst 24 ATMP-Zentren mit 15 deutschen CAR-T-Behandlungszentren und harmonisierten Instrumenten für die ambulante Nachsorge bei Erwachsenen und Kindern, auch bei angeborenen Erkrankungen (Abbildung 1). Die darin enthaltenen Register sollen künftig eine automatische Datenübertragung für neuartige Therapien ermöglichen, der automatische Datenimport (in Labore) und der Datenexport funktionieren bereits. Müller-Tidow stellte den Datenfluss zum klinischen Dashboard, den Zuweisern, den Laboren und weiteren Beteiligten – unter anderem mithilfe der Integrate App für Patientinnen und Patienten – schematisch vor. Durch spezifische CAR-T-Zell-Therapien können Erkrankte mindestens ein Jahr länger überleben. Studien zeigen eine deutliche Verbesserung in der Lebensqualität, beispielsweise wurde nachgewiesen, dass sich nach einer T-Zell-Gabe die Schriftprobe bei den Menschen deutlich verbessert.
Prof. Dr. Markus Kosch, Leiter des Bereichs Onkologie bei Daiichi Sankyo Europe, erläuterte Chancen und Hürden patientenzentrierter Lösungen im Bereich der Tumorzellmarker. Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) sind wichtig für die Krebstherapie; ihr Wirkmechanismus enthält mehrere Komponenten von der Bindung über die Aufnahme und Abspaltung bis hin zur Zerstörung (siehe Abb. 2). Dies ermöglicht zielgerichtete Therapien, basierend auf den spezifischen molekularen Eigenschaften des Tumors. Um derartige neue Diagnostika oder andere Innovationen wie die digitale Pathologie bestmöglich therapeutisch nutzen zu können, sind unter anderem noch Vergütungsfragen zu klären; es vergeht häufig relativ viel Zeit bis zur Umsetzung.

Welche Aussichten gibt es für Technologinnen und Technologen?
Sebastian C. Semler, Geschäftsführer der TMF, wagte einen Ausblick auf mögliche Aufgaben der Medizinischen Technologinnen und Technologen: „Spannend sind etwa die Haftungsfragen beziehungsweise wie man damit umgeht … Die Aufgabe von Technologinnen und Technologen soll es nicht sein, einfach nur zu sequenzieren und Daten zu archivieren. Viel besser ist es, diese Daten sinnvoll vorzuhalten, etwa in der Patientenakte, damit man sie zu Vergleichen heranziehen kann. Das ist auch ein wichtiges Ziel dieses wachsenden Pools an Genomdaten – herauszufinden, ob Ähnlichkeiten vorhanden sind. Wenn man beispielsweise eine Patientin oder einen Patienten mit einer bestimmten Symptomatik und einer auffälligen Genkonstellation behandeln möchte – und nachschauen kann, ob etwas Vergleichbares dokumentiert ist, beziehungsweise eine ähnliche Symptomatik vorliegt, kann man Kausalitäten entwickeln. Das ist gerade bei Seltenen Erkrankungen sehr wichtig. In Zukunft wird man Forschung und Versorgung nicht mehr auseinanderhalten können. Die Vergütung über die Kassen erfolgte bislang nur für die Versorgung – doch hier gelangen wir an die Grenzen bisheriger Konzepte. Also wird es noch einmal spannend, wie all die erhobenen Daten künftig weitergenutzt werden. Ich denke, es ergeben sich vielfältige Möglichkeiten für die Technologinnen und Technologen: Sie können etwa die gesamten Genomdaten verwalten, die in den neuen Genom-Rechenzentren entstehen. Diese sind an sechs Standorten in Berlin, Dresden, München, Tübingen, Heidelberg und Köln vorgesehen. Alle Daten müssen verfügbar gemacht werden, sodass Abfragen und Weiterverarbeitung möglich sind – dies technologisch bestmöglich zu leisten, ist sicher eine innovative Aufgabe.“
Entnommen aus MT im Dialog 9/2025
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