Teilchenbeschleuniger und Atombombe
Nach umfangreichen Untersuchungen zum Elektromagnetismus formulierte James Maxwell 1862 eine vollständige Theorie der Elektrizität und des Magnetismus, 1887 fand Heinrich Hertz die elektromagnetischen Wellen. In Bonn experimentierte er mit Philipp Lenard mit Kathodenstrahlen – das sind positiv geladene Strahlen, die durch Kanäle in der Kathode einer Gasentladungsröhre austreten. 1894 gelang es Lenard erstmals, einen beschleunigten Elektronenstrahl zu extrahieren. Dazu nutzte er das nach ihm benannte Fenster. Dabei wird eine Öffnung im Glas einer Kathodenstrahlröhre durch eine Aluminiumfolie abgedeckt, die von Elektronen passiert werden kann. Mit seinen Kathodenstrahl-Experimenten schuf Lenard die Grundlage für die Entdeckung von Bremsstrahlen durch Wilhelm Röntgen im Jahr 1895. Zudem beschaffte er Röntgen eine Entladungsröhre und ein Lenard-Fenster, unentbehrliche Voraussetzung für die Entdeckung der X-Strahlen (Röntgen-Strahlen).
Der Beginn der Entwicklung von Teilchenbeschleunigern ist eng mit der Geschichte der Kernphysik verknüpft. 1911 entdeckte Ernest Rutherford bei seinen Streuexperimenten den Atomkern. Acht Jahre später beobachtete er mit seinen Mitarbeitern die erste Kernreaktion aus natürlichem radioaktiven Zerfall. Die Idee zum Bau von Teilchenbeschleunigern kam in den 1920er-Jahren auf, innerhalb weniger Jahre wurden verschiedene Typen angefertigt. Nach diesen Erfolgen entwickelte Ernest Lawrence 1929/30 das erste Zyklotron. Dafür sowie für die damit erzielten Ergebnisse, vor allem die Herstellung künstlicher radioaktiver Elemente, erhielt er 1939 den Nobelpreis für Physik. Lawrencium (Lr), das 103. Element des chemischen Periodensystems, wurde nach ihm benannt.
Isotope sind für die Medizin wichtig
Ein Zyklotron ist ein sogenannter Kreisbeschleuniger (griech. kyklos = Kreis, Kreisbewegung). Ionen, die beschleunigt werden sollen, werden durch ein Magnetfeld in eine spiralähnliche Bahn gelenkt, auf der sie die Beschleunigungsstrecke immer wieder durchlaufen. Hier sind Beschleunigungen auf Energien von 10 bis 500 MeV (Megaelektronenvolt) möglich. Die beschleunigten Teilchen lassen sich wiederum auf Elemente lenken. Damit wurden Hunderte von bisher nicht bekannten radioaktiven Isotopen der bekannten Elemente erzeugt, selten findet man ein vollkommen neues Element. Isotope sind für die Grundlagenforschung in Kern-, Atom- und Festkörperphysik sowie für praktische Anwendungen in Medizin, Biologie und Technik bedeutsam, etwa bei der Strahlentherapie mit Protonen und schweren Ionen sowie bei der Produktion kurzlebiger Radionuklide für die nuklearmedizinische Diagnostik.
Das Betatron, auch Elektronenschleuder genannt, weil es hauptsächlich zur Beschleunigung von Elektronen eingesetzt wird, ähnelt dem Zyklotron, die beschleunigten Teilchen werden hier auch durch ein Magnetfeld auf einer Bahn gehalten. Das erste Betatron entwickelte der Physiker Max Steenbeck 1935 in Berlin, die Entdeckung wurde aber zunächst nicht weiterverfolgt. Die Energiegrenze des Betatrons liegt bei etwa 200 MeV, die Elektronen haben dann nahezu Lichtgeschwindigkeit. Die freien Elektronen zur Beschleunigung stammen aus einer Glühkathode, nicht aus einem radioaktiven Präparat. Seinen Namen erhielt das Betatron wegen der Ähnlichkeit des beschleunigten Strahls mit Betastrahlung.
Ernest Lawrence wurde 1901 in Canton im US-Staat South Dakota geboren. Seine Großeltern waren aus Norwegen in die USA emigriert, sein Vater leitete eine Schulaufsichtsbehörde. Nach dem Besuch der Canton High School und des St. Olaf College studierte er ab 1919 an der University of South Dakota Chemie. Nach Bachelor- und Masterabschluss verbrachte er ein Jahr an der University of Chicago, wo er sich mit Physik beschäftigte, 1925 wurde er in Yale in Physik promoviert. Nach drei weiteren Jahren in Yale berief man ihn als Associate Professor für Physik an die University of California in Berkeley, zwei Jahre später wurde er hier ordentlicher Professor und 1936 Direktor des Strahlungslabors. 1932 heiratete er Mary Blumer, das Paar hatte sechs Kinder.
Atomkern rückt ins Blickfeld
In seiner Nobelpreisrede ging Lawrence ausführlich auf die Geschichte der Entwicklung des Zyklotrons ein. Die Entdeckungen von Rutherford hatten für ihn den Atomkern eindeutig als nächste große Herausforderung physikalischer Forschung markiert. Daher fragte er sich 1928, ob er sich auf Kernphysik konzentrieren solle. Um dem Atomkern zu Leibe zu rücken und Näheres über ihn herauszufinden, benötigte man in jedem Fall Apparaturen, mit denen geladene Teilchen sich zu hohen Geschwindigkeiten beschleunigen ließen – eine „Aufgabe, die in der Tat beeindruckend erschien“. Lawrence reduzierte diese Aufgabe auf zwei Hauptprobleme: a) die Produktion von hohen Spannungen und b) die Entwicklung von Beschleunigungsröhren, die solche Spannungen aushalten konnten. Herkömmliche Transformatoren und Gleichrichter kamen für die Produktion hoher Spannungen aus verschiedenen Gründen nicht infrage. Bei der Suche nach Alternativen dachte Lawrence etwa an den elektrostatischen Generator, an dem sein Professor an der University of Minnesota gearbeitet und der später von Robert Van de Graaff zur praktischen Anwendung weiterentwickelt worden war. Mit diesem Bandgenerator ließen sich hohe elektrische Gleichspannungen erzeugen.
Zu Beginn des Jahres 1929 stöberte Lawrence nach eigenem Bekunden in einigen Zeitschriften der Universitätsbibliothek. In einer deutschen Zeitschrift über Elektrotechnik stieß er auf einen Artikel des norwegischen Ingenieurs und Wissenschaftlers Rolf Wideröe (1902–1996). Bereits 1924 hatte der schwedische Teilchenphysiker Gustav Ising (1883–1960) einen Linearbeschleuniger mit Driftröhren vorgeschlagen – hier werden die Teilchen durch eine hochfrequente Wechselspannung beschleunigt. Wideröe, Pionier auf dem Gebiet der Teilchenbeschleuniger, konstruierte als Erster einen Linearbeschleuniger, wie ihn Ising vorgeschlagen hatte. Hiermit beschleunigte er Kalium- und Natriumionen mit einer Hochfrequenzspannung von 25 kV auf eine Endenergie von 50 keV. Er wollte auch ein Betatron entwickeln, scheiterte jedoch an der fehlenden transversalen Fokussierung. Diese stellt sicher, dass die Elektronen stabil beschleunigt werden und nicht von der idealen Kreisbahn abweichen.
In seiner Nobelpreisrede führte Lawrence aus: „Ich konnte Deutsch nicht gut lesen und betrachtete vor allem die Diagramme und Fotos von Wideröes Apparat. Den verschiedenen Abbildungen in dem Artikel konnte ich seinen Zugang zu dem Problem entnehmen, das heißt die vielfache Beschleunigung von positiv geladenen Ionen durch die Anwendung von Hochfrequenzspannung auf eine Serie zylindrischer Elektroden. Diese neue Idee beeindruckte mich sofort (…) und ich schätzte die allgemeinen Eigenschaften eines Linearbeschleunigers für Protonen im Energiebereich von mehr als einer Million Elektronenvolt ab. Einfache Berechnungen zeigten, dass die Beschleunigungsröhre einige Meter lang sein müsste, was zu dieser Zeit für Laborzwecke ungünstig erschien. Dementsprechend stellte ich mir die Frage, ob es nicht möglich sein könnte, statt einer großen Zahl zylindrischer Elektroden (…) zwei Elektroden zu benutzen, durch welche die positiven Ionen mithilfe eines geeigneten Magnetfeldes immer wieder hin- und hergeschickt werden. Wiederum zeigte eine kurze Analyse des Problems, dass ein homogenes Magnetfeld genau die richtigen Eigenschaften aufwies – dass die Winkelgeschwindigkeit der Ionen (…) von ihrer Energie unabhängig sein würde, sodass sie zwischen den passenden Hohlkathoden hin- und herzirkulieren würden, in Schwingung mit einem (…) elektrischen Feld einer bestimmten Frequenz, welche jetzt als ‚Zyklotron-Frequenz‘ bekannt geworden ist.“
Krebsforschung früh beachtet
Lawrence würdigte hier ausdrücklich Isings Beitrag und bezeichnete ihn als „Vater der Entwicklung der Methoden vielfacher Teilchenbeschleunigung“. Als Lawrences Bruder John Direktor des Labors für Medizinische Physik der Universität wurde, arbeitete Lawrence mit ihm an medizinischen und biologischen Anwendungsmöglichkeiten des Zyklotrons; zudem beriet er das Krebsforschungsinstitut in Columbia. 1936 schrieb die „Drogisten-Zeitung“, ein österreichisches Periodikum: „Vor der amerikanischen chemischen Gesellschaft in San Franzisko (sic!) machte Prof. Ernest Lawrence Mitteilungen über die Möglichkeit, Kalium und Natrium künstlich radioaktivierbar zu machen. (…) In medizinischen Kreisen wird es für durchaus möglich gehalten, dass die Entdeckung der künstlichen Radioaktivität für die Medizin von ebenso großer, wenn nicht noch größerer Bedeutung sein wird als die Entdeckung der natürlichen. An sich ist dies wohl auch einleuchtend, denn in der Medizin werden gerade solche radioaktive[n] Stoffe bzw. Verbindungen benötigt, deren Wirkungsdauer beschränkt und genau übersehbar ist. Kochsalzverbindungen mit künstlich radioaktivem Natrium werden dem Organismus eingespritzt, wirken dort eine kurze Zeit und, wenn die Wirkung abklingt, bleibt nur das unschädliche Kochsalz als Restbestand zurück.“
In der Tat gewannen kurzlebige, von Zyklotronen produzierte Radionuklide in der nuklearmedizinischen Funktionsdiagnostik zunehmend an Bedeutung, etwa bei der Positronen-Emissions-Tomografie. Idealerweise haben solche Radionuklide eine Halbwertszeit von einigen Minuten bis zu einigen Stunden. Die Vorteile überwiegen, etwa eine geringe Dosis für Patientinnen und Patienten; zudem kann das Verfahren in relativ kurzen Intervallen wiederholt werden. Wenn man bei der Emissionstomografie körpereigene Substrate oder deren Analoga verwendet, lassen sich regionale Funktionen erfassen. Das biochemische Konzept umfasst zudem Enzym-Inhibitoren, Rezeptor-bindende Liganden, Antigen-Antikörper-Systeme sowie Pharmaka. 1939 nahmen Lawrence und seine Mitarbeiter in Berkeley das erste größere Zyklotron in Betrieb und versuchten, Tumoren mit schnellen Neutronen zu behandeln.
Das klassische Zyklotron funktioniert nur bei nicht relativistischen Teilchengeschwindigkeiten, das heißt bei niedrigeren Geschwindigkeiten, bei denen die Effekte der Relativitätstheorie vernachlässigt werden können. Bei höherer Geschwindigkeit nimmt die Umlaufdauer der Ionen merklich zu, sodass sie gegenüber der konstanten Beschleunigungsfrequenz „aus dem Takt“ geraten. Um über die mit einem Zyklotron erreichbaren Energien hinauszukommen, entwickelte man das Synchrotron (zum Beispiel Bevatron, 1954 von Lawrence in Berkeley gebaut), Synchrozyklotron und Isochronzyklotron. Schließlich baute Lawrence eine Anlage zur Anreicherung von Uran (Calutron) und war an der Entwicklung der Atombombe beteiligt. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er sich indes dafür ein, Atomtests zu beenden, und begleitete 1958 die US-Delegation zur Konferenz in Genf, wo dieses Thema verhandelt wurde.
Literatur (Auswahl)
1. Hinterberger F: Physik der Teilchenbeschleuniger und Ionenoptik. Berlin: Springer Verlag, 2. Aufl., 2008.
2. Hundeshagen H (Hrsg.): Nuklearmedizin, Teil 1B, Emissions-Computertomographie mit kurzlebigen Zyklotron-produzierten Radiopharmaka. Berlin: Springer Verlag, 1988.
3. Jahnke A: Ortsempfindliche Spurenelementanalysen am Zyklotron und ihre Anwendung in der Biologie. München: Dissertations- und Foto-druck Frank GmbH, 1979.
4. Lawrence EO: The evolution of the cyclotron. Nobel Lecture, 11. Dezember 1951. Online (letzter Zugriff am 31.07.2025).
Entnommen aus MT im Dialog 10/2025
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