Tuberkulose – die stille Bedrohung
Bis Mitte der 1980er-Jahre sanken die weltweiten Tuberkulosezahlen kontinuierlich. Weltweit erkrankten 2020 circa 9,9 Millionen Menschen an einer Tuberkulose. Deutschland gehört mit 5 Fällen pro 100.000 Einwohnern zu den Niedriginzidenzländern. Seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) kann der epidemiologische Trend in Deutschland in verschiedene zeitliche Abschnitte unterteilt werden: Bis 2008 zeigte sich ein stetiger Rückgang um jährlich etwa sechs bis zehn Prozent. Es folgte eine mehrjährige Phase mit stagnierendem Verlauf, bis es in den Jahren 2013 und 2014 zuerst zu einem geringfügigen, im Jahr 2015 dann zu einem deutlichen Anstieg kam. Dieser ist vor allem in Zusammenhang mit den Migrationsbewegungen und der gesetzlich vorgeschriebenen aktiven Fallfindung bei Geflüchteten und Asylsuchenden bei Aufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft zu sehen.
Weltweit erkranken jährlich etwa 10 Millionen und mehr als 1,5 Millionen Menschen versterben an Tuberkulose. Konsekutiv ist eine auffällige Zunahme resistenter Erreger zu verzeichnen. 2017 traten weltweit – geschätzt – mehr als 450.000 neue Fälle multiresistenter TB (MDR-TB) auf: Besorgniserregend ist, dass sich von diesen lediglich 25 Prozent in Behandlung befinden (WHO: 2018). Auf einer Reise nach Sierra Leone lernt Bestsellerautor John Green den jungen Henry kennen, der mit Tuberkulose im Krankenhaus liegt. Seine bewegende Krankheitsgeschichte nimmt er zum Anlass, der ältesten und tödlichsten Infektionskrankheit der Welt auf den Grund zu gehen. In dem neuen Buch, hier ist eher von einem Sachbuch zu sprechen, geht es um die Behandlung. Green stellt sich die berechtigte Frage, warum wir zugelassen haben, dass seit Entdeckung der Tuberkulostatika trotzdem 150 Millionen Menschen an Tuberkulose gestorben sind. Green fing an, über TB zu schreiben, weil er wissen wollte, wie eine einzelne Krankheit still und leise so viel Einfluss auf die Menschheitsgeschichte haben konnte. Aber im Zuge seiner Recherchen wurde ihm klar, dass Tuberkulose sowohl eine Form als auch ein Ausdruck der Ungerechtigkeit auf der Welt ist. Jeder Mensch kann sich mit Tuberkulose anstecken. Bei den meisten Personen ruht der Erreger, und die Krankheit bricht nie aus. Doch fünf bis zehn Prozent der Infizierten erkranken irgendwann an offener Tuberkulose. Besonders groß ist das Risiko, wenn das Immunsystem geschwächt ist, zum Beispiel durch andere Gesundheitsprobleme wie Diabetes mellitus, HIV oder Unterernährung. Von den zehn Millionen Menschen, die 2023 an offener TB erkrankt sind, waren mehr als fünf Millionen unterernährt.
Da sich die kontagiöse Infektionskrankheit in beengten Wohn- und Arbeitsverhältnissen besonders gut ausbreitet – in Slums oder schlecht gelüfteten Fabriken – wird Tuberkulose auch als „Armutsseuche“ betrachtet, eine Krankheit, die den Wegen der Ungerechtigkeit und Ungleichheit folgt, die wir ihr geebnet haben, postuliert Green. Der Autor fordert zu Recht Lösungen für diese globale Gesundheitskrise: weltweiten Zugang zu lebensrettender Behandlung, erschwinglichere Medikamente, Aufmerksamkeit und Engagement. Der aktuell drastische Einbruch bei Entwicklungshilfegeldern durch die neue US-Regierung bedroht den Erfolg im Kampf gegen die tödlichste Infektionskrankheit der Welt massiv: 79 Millionen Menschenleben wurden durch frühe Diagnose und Behandlung seit dem Jahr 2000 gerettet, berichtete die WHO am Welttuberkulosetag am 24. März 2025. Durch die weltweite Mobilität ist das eine Gefahr für alle Länder, warnen Gesundheitsexperten. Die TB bleibt für Forschung, Medizin und Gesundheitspolitik weiterhin eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Greens Buch ist ein Appell – gerade an die reichen Länder dieser Erde gerichtet –, hinzusehen und zu handeln. Diesem Werk ist eine große Verbreitung zu wünschen, da es sich für soziale Gerechtigkeit und Gesundheit unserer schwächsten Erdenbewohner einsetzt. Für Politiker, die sich im Bereich der Gesundheitsversorgung engagieren, sollte dieses Buch zu einer Pflichtlektüre werden. Aber auch allen anderen im Gesundheitswesen Beschäftigten kann das Buch empfohlen werden.
Tuberkulose: Es ist Zeit, die tödlichste Infektion der Welt zu besiegen (Originaltitel: EVERYTHING IS TUBERCULOSIS: The History and Persistence of Our Deadliest Infection).
Von: John Green, Carl Hanser Verlag, 2025, ISBN: 978-3446284432, Preis: 24 Euro (224 Seiten).
Entnommen aus MT im Dialog 5/2025
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