„Die nächste Pandemie? Streptokokken-Toxisches-Schock-Syndrom auf dem Vormarsch“
Eine gängige Erklärung dafür ist, dass nach dem Ende der behördlich verordneten Distanzierungsmaßnahmen generell alle respiratorischen Erreger wieder stärker in der Bevölkerung zirkulieren (eine andere, dass die andauernden Infektionen die Bevölkerung/das Immunsystem geschwächt haben, wie auch nach der Spanischen Grippe zu beobachten war). Zu diesen Erregern gehören z.B. Influenza- und Parainfluenzaviren, Adenoviren, das Respiratory-Syncytial-Virus (RSV) sowie die Erreger von exanthematischen Kinderkrankheiten. In einem Letter to the Editor stellten Maimoona Khan, Naqiyah Furrukh und Farwa Naveed entsprechend kürzlich die Frage: „The Next Pandemic? Streptococcal Toxic Shock Syndrome on the Rise“ [1].
Streptokokken der Gruppe A
Streptococcus pyogenes, bekannt als Streptokokken der Gruppe A, können Erkrankungen verursachen, die von oberflächlichen Infektionen bis hin zu tödlicheren, sogenannten invasiven Infektionen mit Streptokokken der Gruppe A (GAS) reichen, zu denen die nekrotisierende Fasziitis und das Streptococcal-Toxic-Shock-Syndrome (STSS) zählen. Invasivität tritt auf, wenn der Keim in sterile Bereiche eindringt. Kinder, ältere Menschen und Patienten mit Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus, akutes Nierenversagen und Herzerkrankungen sind besonders anfällig für GAS-Infektionen. Die Inzidenz von GAS-Infektionen hat nach dem Ende der Coronaschutzmaßnahmen besonders bei Kindern zugenommen. Auch das humane Respiratory-Syncytial-Virus (RSV) und andere respiratorische Viren können bei GAS-Patienten gleichzeitig auftreten, höchstwahrscheinlich aufgrund einer verminderten Immunität gegen GAS während der COVID-19-Isolationsphase. Die beiden Hauptübertragungswege von GAS-Infektionen sind Tröpfcheninfektion oder direkter Oberflächenkontakt über offene Wunden. Hauptrisikofaktoren für die Infektionsdisposition sind entsprechend inadäquate Hygienebedingungen in Krankenhäusern und ärmeren Gebieten der Erde mit beengten Wohnverhältnissen. Im Gegensatz zu einer COVID-19-Infektion benötigen GAS-Infektionen direkten Kontakt oder eine leitfähige Umgebung, um sich auszubreiten [1, 2, 3, 4, 7, 8, 9].
| Box 1: Kriterien für die Diagnose eines Streptokokken-bedingten Toxic-shock-Syndroms (STSS) - Letztes Update der Centers for Disease Control and Prevention (CDC), USA von 2010 |
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Die im angelsächsischen Schrifttum auch als „group A streptococci“ oder kurz GAS bezeichneten Erreger können nicht nur obere Atemwegsinfektionen wie die typische Angina tonsillaris ohne und mit Exanthem (=Scharlach) auslösen. Seltenere, ungleich dramatischer verlaufende Infektionen sind Wundinfektionen, Sepsis, Endokarditis, Meningitis und das im 19. Jahrhundert häufige Kindbettfieber (Endometritis puerperalis). Das Erysipel (Wundrose) nimmt eine Mittelstellung ein. Bei rechtzeitiger Erkennung und zeitgerechter Behandlung klingt es meist innerhalb einer Woche ab. Wird die Diagnose jedoch zu spät gestellt, kann es sich ausbreiten, auf andere Körperstellen überspringen oder einen septischen Verlauf verursachen: das Auftreten des Streptococcal-Toxic-Shock-Syndrome (siehe Box 1). Ein wichtiger Virulenzfaktor von A-Streptokokken ist das auf der Außenseite der bakteriellen Zellwand lokalisierte M-Protein. Es behindert die Phagozytose der Bakterien durch Leukozyten, indem es die hierfür wichtige Ablagerung einer Komplementkomponente auf der Bakterienoberfläche stört. Bei A-Streptokokken kommen mehr als 100 verschiedene Varianten des M-Proteins vor, die durch ein entsprechend variables Gen, das emm-Gen, kodiert werden. Die Genotypisierung der emm-Gene spielt eine wichtige Rolle für die Verfolgung von Infektketten [7, 8, 9]. Hier finden Sie eine Übersicht der emm-Typen für Deutschland. Die durch das Referenzzentrum gefundenen Haupttypen waren emm3, emm89, emm4, emm28 und emm6.
Beunruhigende Fallzahlen des Streptococcal-Toxic-Shock-Syndrome
Mit Stand vom 8. Dezember 2022 meldeten mindestens 5 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region der WHO einen Anstieg der Fälle von invasiven Streptokokken-Erkrankungen der Gruppe A (GAS) und in einigen Fällen auch von Scharlach. In einigen dieser Länder wurde auch ein Anstieg der Todesfälle im Zusammenhang mit GAS gemeldet. Kinder unter 10 Jahren stellen die am stärksten betroffene Altersgruppe dar. Der beobachtete Anstieg könnte auf einen frühen Beginn der GAS-Infektionssaison zurückzuführen gewesen sein, der mit einer Zunahme der Zirkulation von Atemwegsviren und einer möglichen viralen Koinfektion zusammenfällt, was das Risiko einer invasiven GAS-Erkrankung erhöhen kann. Im Jahr 2022 haben Frankreich, Irland, die Niederlande, Schweden und Großbritannien einen Anstieg der Fälle von invasiven Streptokokken-Erkrankungen der Gruppe A und Scharlach beobachtet. Besonders ausgeprägt war der damalige Anstieg in der zweiten Jahreshälfte.
In Frankreich hatten Ärzte seit Mitte November 2022 bei Santé Publique France (SpF) und den regionalen Gesundheitsbehörden (ARS) einen ungewöhnlichen Anstieg der Zahl der GAS-Fälle und die Feststellung von GAS-Clustern gemeldet. Einige pädiatrische Fälle verliefen tödlich. Am 8. Dezember veröffentlichte die SpF ein Statusupdate, in dem sie einen Anstieg der Zahl der GAS-Infektionen in Frankreich seit Anfang 2022 in verschiedenen Regionen (Okzitanien, Auvergne-Rhône-Alpes, Nouvelle-Aquitaine) meldete, hauptsächlich bei Kindern unter 10 Jahren. Die SpF stellte auch einen Anstieg der Fälle von Scharlach fest, die seit September 2022 in Ambulanzen des Landes gemeldet wurden.
Am 6. Dezember 2022 meldete das irische Health Protection Surveillance Centre (HPSC) ebenfalls einen Anstieg der GAS-Fälle seit Anfang Oktober. Im Jahr 2022 wurden dem HPSC bis zum 8. Dezember 57 GAS-Fälle gemeldet, davon 15 bei Kindern unter 10 Jahren. 23 der 57 GAS-Fälle wurden seit Oktober 2022 gemeldet, verglichen mit 11 Fällen, die im gleichen Zeitraum des Jahres 2019 (vor der COVID-19-Pandemie) erfasst wurden.
Das niederländische Gesundheitsamt (RIVM) beobachtete ab März 2022 ebenfalls einen Anstieg der GAS-Infektionen bei Kindern. Die Daten zwischen März und Juli 2022 deuteten auf eine erhöhte Zahl von GAS-Fällen hin, die durch verschiedene bekannte emm-Gensequenztypen (das Gen, das für das M-Virulenzprotein kodiert, das für viele Streptococcus pyogenes-Serotypen verantwortlich ist) verursacht wurden. Dieser Anstieg hat bisher nicht nachgelassen. Es wurden Koinfektionen mit Varizella-Zoster- und Atemwegsviren festgestellt.
In Schweden war seit Oktober 2022 auch ein Anstieg der GAS bei Kindern unter 10 Jahren im Vergleich zum Niveau vor der COVID-19-Pandemie im gleichen Zeitraum zu verzeichnen gewesen (obwohl dort die Schulschließungen während der heißen Phase der Pandemie am kürzesten waren). Von den 93 Fällen, die zwischen Oktober und 7. Dezember gemeldet wurden, traten 16 (17,2 %) bei Kindern unter 10 Jahren auf. Zwischen Oktober und Dezember 2018 wurden 7 GAS-Fälle in dieser Altersgruppe und 10 Fälle im Jahr 2019 gemeldet. Nach Angaben der schwedischen Gesundheitsbehörde wurden in der Saison vom 1. Juli 2021 bis zum 30. Juni 2022 220 Fälle von GAS gemeldet, verglichen mit 173 Fällen in der vorangegangenen Saison 2020/21. Die höchsten Zahlen an GAS-Fällen, seit in Schweden im Jahr 2004 die Meldepflicht eingeführt wurde, wurden allerdings vor der Pandemie 2018/19 mit 794 Fällen (Inzidenz 7,8 pro 100.000) und 2017/18 mit 800 Fällen (Inzidenz 7,9 pro 100.000) erfasst.
Nach Angaben der UK Health Security Agency waren die Meldungen von Mitte September bis Anfang Dezember 2022 nach einer höher als erwarteten Scharlachaktivität im Sommer in England mit einem Rückgang im August 2022 wieder gestiegen und lagen weiterhin über dem, was normalerweise zu dieser Jahreszeit zu beobachten ist. In den Wochen 37 bis 46 der Saison 2022/23 wurden insgesamt 4.622 Meldungen von Scharlach erfasst, davon 851 Meldungen in der 46. Woche. Im Vergleich dazu waren es im gleichen Zeitraum (Wochen 37 bis 46) in den vorangegangenen 5 Jahren durchschnittlich 1.294 (Spanne 258 bis 2.008). Erwartungsgemäß gab es mehrere Scharlachausbrüche in Kindergärten und Schulen, bei denen einige die gleichzeitige Zirkulation von Atemwegsviren gemeldet hatten. Auch im Sommer 2022 waren die GAS-Meldungen höher als erwartet, sie waren in allen Altersgruppen höher als in den letzten 5 Saisons (durchschnittlich 248, Spanne 142 bis 357 Meldungen). Bis zum 8. Dezember 2022 wurden in England 509 Meldungen der GAS-Krankheit durch Laborüberwachung gemeldet, mit einem Wochenhöchststand von 73 Meldungen in Woche 46 (Woche ab dem 14. November). Bis zum 8. Dezember 2022 hatte UKHSA 13 Todesfälle innerhalb von 7 Tagen nach einer GAS-Diagnose bei Kindern unter 15 Jahren in England vermeldet. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum der Saison 2017 bis 2018 (vor der COVID-19-Pandemie) gab es 4 Todesfälle. Die Ergebnisse der Antibiotika-Empfindlichkeit bei routinemäßigen Laborüberwachungen im Vereinigten Königreich zeigten keine erhöhte Antibiotikaresistenz. Darüber hinaus hatte die Laborüberwachung keine neu auftretenden emm-Gensequenztypen aufgedeckt [5].
Die Möglichkeit, dass sich schwere GAS-Infektionen konsekutiv zu einem STSS disseminieren und zu einer weiteren globalen Pandemie entwickeln, muss gegenwärtig in Betracht gezogen werden. Die Zahl der Infektionen allein in Japan wird auf 2.500 geschätzt. In nur 6 Monaten wurden in Japan 2024 fast 1.000 Fälle gemeldet (und damit mehr als im Gesamtjahr zuvor), wobei die Todesfälle innerhalb von etwa 48 Stunden eintraten [1]. Die Bedingungen für die Ausbreitung von GAS-Infektionen, die durch hypervirulente GAS-Stämme (GAS) und Mängel in der öffentlichen Gesundheitsversorgung nach der COVID-19-Pandemie zu einer weltweiten Pandemie führen könnten, werden aktuell thematisiert. Die zunehmende weltweite Ausbreitung von GAS-Infektionen könnte die Gesundheitssysteme erneut überfordern, wenn nicht umgehend und koordiniert gehandelt wird, verweisen Khan und Mitarbeiter aus dem Department of Medicine, Dow University of Health Sciences, Karachi, Pakistan, in einem Brief an die Fachzeitung „Disaster Medicine and Public Health Preparedness“ (Katastrophenmedizin und öffentliche Gesundheitsvorsorge) hin [1]. Die Ausbreitung des STSS in Japan und auch in Frankreich zeigen erhöhte Fallzahlen: Bis zum 2. Juni 2024 wurden laut dem japanischen Nationalen Institut für Herz-Kreislauf-Erkrankungen 977 Fälle von STSS gemeldet [2]. Auch eine Autorengruppe, federführend von Arthur Orieux, Service de Médecine Intensive Réanimation, Hôpital Pellegrin et Hôpital Saint André, in Bordeaux, Frankreich, zeigte in einer retrospektiven multizentrische Kohortenstudie auf 37 französischen Intensivstationen, dass nach der Aufhebung der Coronaschutzmaßnahmen das Streptococcal-Toxic-Shock-Syndrome zugenommen hat. Diese Studie umfasste alle Patienten, die wegen schweren GAS-Infektionen in 2 Zeiträumen aufgenommen wurden: 2 Jahre vor Ausbruch der Pandemie (Oktober 2018 bis März 2019 und Oktober 2019 bis März 2020) und ein Jahr nach (Oktober 2022 bis März 2023) dem Aufheben der Schutzmaßnahmen gegen COVID-19. Die GAS-Infektion wurde durch die Isolierung von Streptokokken der Gruppe A aus einer normalerweise sterilen Umgebung definiert. Die GAS-Infektionen wurden anhand der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (IKD) identifiziert und durch die mikrobiologischen Labordatenbanken der einzelnen Zentren bestätigt. Die Inzidenz von GAS-Infektionen wurde in Fallzahlen ausgedrückt. Ergebnisse: 222 Patienten wurden wegen GAS-Infektionen auf die Intensivstation aufgenommen: 73 vor der Pandemie und 149 ab 2022. Ihre Fallzahl im Zeitraum vor der Pandemie und nach dem Aufheben der Coronaschutzmaßnahmen betrug 205 bzw. 949/100.000 Intensivstationseinweisungen (p < 0,001), wobei ab 2022 häufiger STSS auftrat (61 % vs. 45 %, p = 0,015) [3].
Eine weitere Expertengruppe für pädiatrische Intensivmedizin und pädiatrische Infektionskrankheiten untersuchte in Frankreich zwischen dem 1. September 2022 und dem 1. April 2024 schwere Infektionen mit Streptokokken der Gruppe A bei Kindern in 34 Krankenhäusern. Insgesamt wurden 402 pädiatrische Patienten in die Studie aufgenommen. Die Fälle waren durch einen geringen Anteil schwerer Haut- und Weichteilinfektionen (16 %), ein Überwiegen schwerer Infektionen der oberen und unteren Atemwege (55 %) und eine Letalitätsrate von 3,5 % gekennzeichnet [4]. Um diesen schweren Infektionen vorzubeugen, sind eine strenge Infektionsprävention in Gesundheitseinrichtungen und die konsequente Asepsis bei chirurgischen Eingriffen geboten. Eine frühzeitige Diagnose sowie die rechtzeitige Behandlung der Infektionen kann Gesundheitseinrichtungen vor weiteren Kontaktübertragungen schützen und die Entwicklung von Komplikationen verhindern.
In Deutschland kam es laut RKI-Daten ebenfalls zu einer regelrechten Explosion bei den Scharlachfällen 2023. Erfasst wurden damals 6.439 Fälle, während es 2022 erst 914 und 2021 182 Fälle waren. Vor der Pandemie wurden 3.437 (2018) bzw. 3.617 (2019) erfasst.
| Box 2: Klinische Empfehlungen der WHO bei GAS-Infektionen [5] |
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Fazit
Streptococcus pyogenes kann sowohl oberflächliche Infektionen als auch schwerwiegendere Erkrankungen wie nekrotisierende Fasziitis und Streptococcal-Toxic-Shock-Syndrome verursachen. Das Auftreten des STSS stellt nach dem Auslaufen der Coronaschutzmaßnahmen im Rahmen der COVID-19-Pandemie eine globale gesundheitliche Gefährdung dar. Die Übertragung erfolgt hauptsächlich über Tröpfcheninfektion und offene Wunden, wobei beengte Wohnverhältnisse und schlechte sanitäre Einrichtungen die Übertragung eskalieren können. Da derzeit keine wirksame Behandlung verfügbar ist, sind gute Hygiene und ein wirksames klinisches Management der Schlüssel zur Prävention. Die Aufklärung der Öffentlichkeit über Risikofaktoren und Präventionsmaßnahmen sowie die Infektionsüberwachung (Surveillance) sind ausschlaggebend, um die Übertragung zu reduzieren und die Entwicklung von Komplikationen zu verhindern. Das Potenzial des STSS sich zu einer globalen Pandemie zu entwickeln, erfordert internationale Zusammenarbeit bei Maßnahmen zur Eindämmung. Die WHO schätzt das Risiko für die Allgemeinbevölkerung, das von dem gemeldeten Anstieg der GAS-Infektionen in einigen europäischen Ländern ausgeht, derzeit noch als gering ein [5]. Das Verhältnis der invasiven zu nicht-invasiven Gruppe-A-Streptokokken-Nachweisen ist relativ stabil, d.h. es werden in Deutschland aktuell nicht überproportional häufiger schwere Verläufe beobachtet. Im Nationalen Referenzlabor (NRZ) werden emm-Typ und Superantigene der eingesendeten invasiven Streptokokken-Isolate kontinuierlich untersucht – wobei keine Änderungen beobachtet wurden, die auf die Verbreitung eines neuen Gruppe-A-Streptokokken Stammes schließen lassen [6].
Autor:
Hardy-Thorsten Panknin, Berlin
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