Es erinnert an Dr. Jekyll und Mr Hyde. Eigentlich sollen Medikamente gegen Krebs die Tumorzellen bekämpfen. Doch in seltenen Fällen können sie offenbar selbst Tumoren verursachen bzw. begünstigen. So hat zwar das Medikament Tamoxifen seit seiner Einführung in den 1970er-Jahren die Überlebenschancen von Millionen Patientinnen mit östrogenrezeptor-positivem Brustkrebs erheblich verbessert, indem das Medikament die zytoplasmatischen Östrogenrezeptoren über eine kompetitive Hemmung blockiert. Dies führt zur Verringerung der Zellteilungsaktivität in östrogenabhängigen Geweben. Es wirkt daher als Zytostatikum. Neben seiner lebensrettenden Wirkung ist jedoch bekannt, dass das Medikament zwar selten, aber wiederholt mit einem erhöhten Risiko für Gebärmutterkrebs verbunden ist. Die genauen molekularen Ursachen dieser schwerwiegenden Nebenwirkung blieben bisher jedoch unklar.
Unbekannten Mechanismus entdeckt
Ein internationales Forschungsteam um Prof. Kirsten Kübler vom Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), vom Broad Institute of MIT and Harvard, vom Mass General Brigham und vom Dana-Farber Cancer Institute haben nun einen bislang unbekannten Mechanismus entdeckt, über den Tamoxifen das Risiko für sekundäre Tumore in der Gebärmutter erhöhen kann. Die Studie zeigt, dass Tamoxifen einen wichtigen zellulären Tumorsignalweg (bekannt als PI3K-Signalweg) direkt aktiviert, und damit die bislang gängigen Modelle therapiebedingter Tumorentstehung erstmals erweitert.
Signalaktivator des PI3K-Signalwegs
Es hat sich gezeigt, dass in tamoxifen-assoziierten Gebärmutterkarzinomen Mutationen im Tumorgen PIK3CA signifikant seltener auftreten im Vergleich zu spontan entstehenden Gebärmuttertumoren. Dort sind sie sehr häufig und führen zur Aktivierung des PI3K-Tumorsignalwegs. Nun zeigt sich, dass Tamoxifen selbst die Rolle eines Signalaktivators des PI3K-Signalwegs übernimmt und Mutationen in diesem Gen überflüssig macht. „Unsere Ergebnisse zeigen erstmals, dass die Aktivierung eines tumorfördernden Signalwegs durch ein Medikament möglich ist und eine molekulare Erklärung dafür liefert, wie ein sehr erfolgreiches Krebsmedikament paradoxerweise selbst Tumoren in einem anderen Gewebe begünstigen kann“, erklärt Kübler, Forschungsgruppenleiterin am BIH. „Tamoxifen umgeht die Notwendigkeit genetischer Mutationen im PI3K-Signalweg, einem der wichtigsten Treiberwege bei Gebärmutterkrebs, indem es direkt den Stimulus für die Tumorentwicklung liefert.”
Personalisierte Präventions- und Interventionsstrategien
Obwohl das Risiko für Gebärmutterkrebs unter Tamoxifentherapie insgesamt sehr gering ist und der Nutzen des Medikaments deutlich größer als das Risiko ist, eröffne die Arbeit neue Möglichkeiten, die Therapiesicherheit weiter zu verbessern. Neben einer biologischen Erklärung für die bislang rätselhafte Nebenwirkung könnten die neuen Erkenntnisse auch einen Ausgangspunkt für personalisierte Präventions- und Interventionsstrategien schaffen, hoffen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. In künftigen Projekten will das Team untersuchen, ob ähnliche Mechanismen auch bei den Nebenwirkungen anderer Medikamente eine Rolle spielen könnten.
Quelle: idw/BIH
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