Arzneimittelengpässe: Europäischer Rechnungshof sieht erheblichen Handlungsbedarf

Noch keine Entspannung in Sicht
lz
Apothekerin nimmt Medikamente aus einem Fach.
© Aliaksandr/stock.adobe.com
Newsletter­anmeldung

Bleiben Sie auf dem Laufenden. Der MT-Dialog-Newsletter informiert Sie jede Woche kostenfrei über die wichtigsten Branchen-News, aktuelle Themen und die neusten Stellenangebote.

Formularfelder Newsletteranmeldung

* Pflichtfeld

Der Europäische Rechnungshof kritisiert, dass ein wirksames System zur Behebung eines kritischen Medikamentenmangels in der EU weiter nicht vorhanden ist.

Kürzlich sorgte in Deutschland die Meldung der Apotheker über anhaltende Arzneimittelengpässe für Schlagzeilen. Und das BfArM verweist auf aktuell 537 Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Gerade vor dem Hintergrund des bevorstehenden Winters mit seinen Infektionswellen keine guten Nachrichten, wenn auch Fiebersäfte für Kinder wieder Mangelware werden. Auf EU-Ebene sieht es jedoch nicht viel besser aus. So betont der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht, dass es in der EU immer wieder zu Engpässen bei der Arzneimittelversorgung komme. Es wird festgestellt, dass die gesetzliche Verpflichtung der Industrie, die kontinuierliche Versorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen, in der Praxis bisher nicht gut funktionierte. Klaus-Heiner Lehne, der als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs für die Prüfung zuständig war, erinnerte bei der Vorstellung des Sonderberichts gegenüber der Presse daran, dass z.B. Deutschland im 20. Jahrhundert noch die Apotheke der Welt gewesen sei und inzwischen China und Indien diesen Part übernommen hätten. So sei man bei Schmerzmitteln vollkommen abhängig von Asien. Die Tendenz in den Mitgliedsländern, dass der günstigste Anbieter gewinne, habe zu einem Outsourcingtrend geführt, so Lehne. Den Sonderbericht hat der Rechnungshof am Dienstag beim informellen Treffen der EU-Gesundheitsminister in Kopenhagen offiziell vorgestellt. Lehne habe bei den Gesundheitsministern ein starkes Interesse am Thema gespürt. Er hoffe auf einen positiven Impact. Es müssten denn auch wichtige Maßnahmen getroffen werden, mahnte Lehne. In Kopenhagen hatten sich die EU-Gesundheitsminister darauf geeinigt, dass der Zugang der Bürger zu wichtigen Medikamenten und innovativen Behandlungen verbessert werden müsse. Erreicht werden soll dies durch bessere Rahmenbedingungen für den Biowissenschaftssektor, der die Gesundheitstechnologien von morgen zum Wohle der Patienten bereitstellen könne, sowie durch eine engere Zusammenarbeit bei der Versorgungssicherheit. 

Prüfung des Rechnungshofes

Der Rechnungshof hatte im Sonderbericht geprüft, ob die Kommission und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) 

  1. einen wirksamen Rahmen geschaffen und umgesetzt haben, um kritische Engpässe zu verhindern und zu mindern; 
  2. die Ursachen für Engpässe ermittelt und entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen haben; 
  3. Markthindernisse beseitigt haben, um einen funktionierenden Binnenmarkt für Arzneimittel zu gewährleisten.

Die Ergebnisse sind ernüchternd. Es gebe bisher kein gut funktionierendes System, um das Problem in den Griff zu bekommen. In der EU seien die meisten Engpässe in den Jahren 2023 und 2024 gemeldet worden, wobei die EU-Länder zwischen Januar 2022 und Oktober 2024 bei 136 Arzneimitteln einen kritischen Mangel verzeichnet hatten. Bei der EU-weiten Liste kritischer Arzneimittel gehe es zwar in die richtige Richtung. Doch die Prüfer der Behörde stellten sogar fest, dass bei einigen der aufgelisteten Medikamente ein bedrohlicher Mangel herrsche. Diese Situation habe offensichtliche Auswirkungen auf die Patienten und verursache erhebliche wirtschaftliche Kosten für die nationalen Gesundheitssysteme, so die Prüfer in ihrem Bericht. Matthias Blaas, Teamleiter Prüfung EU Gesundheitspolitik beim Rechnungshof, verwies gegenüber der Presse z.B. auf den Verteporfin-Engpass seit 2021. Es handelt sich um ein unentbehrliches Arzneimittel für die Behandlung eines breiten Spektrums an Augenerkrankungen. Als Folge des Engpasses hätten einige Patienten einen erheblichen und irreversiblen Sehverlust erlitten. Die Prüfer kritisieren ferner, dass die Fragmentierung innerhalb des Binnenmarkts weiterhin ein Hindernis für die Verfügbarkeit von Arzneimitteln in der gesamten EU darstelle. Bei der europäischen Plattform zur Überwachung von Engpässen, die zur Verbesserung der Situation 2024 eingerichtet wurde, fehlten noch viele Funktionen, um ihr Potenzial voll ausschöpfen zu können. 

Maßnahmen nicht ausreichend

Betont wird, dass die Unterstützung durch die EMA bei der Minderung kritischer Engpässe für die Länder zwar einen Mehrwert darstelle, sich der Beitrag der EMA zur Verhinderung von Arzneimittelengpässen jedoch auf die Herausgabe von Leitlinien konzentriert habe. „Die EMA könnte mehr helfen“, so Lehne. In der Kommunikation mit der Öffentlichkeit seien hingegen wichtige Informationen nicht vermittelt worden, sodass bei Arzneimittelengpässen Apothekern, Ärzten und Patienten nur unzureichende Empfehlungen zu alternativen Arzneimitteln zur Verfügung gestanden hatten. Die Vorschläge der EU-Kommission zu gesetzgeberischen Änderungen aus dem Jahr 2023 könnten laut Rechnungshof zwar potenziell den Umgang mit kritischen Engpässen erheblich verbessern. Kritisiert wird allerdings gleichzeitig, dass es z.B. keinen Mechanismus gebe, mit dem sichergestellt werde, dass die Verpflichtung für die rechtzeitige Meldung von Engpässen eingehalten werde. Eine zuverlässige, einheitliche Datenbasis sei aber nötig, bekräftigte Lehne. Außerdem sehen die Prüfer keine rechtsverbindlichen Instrumente für die EMA sowie keine Lenkungsgruppe für Engpässe bei Arzneimitteln, mit denen bei einem kritischen Engpass auf die Handlungen der Industrie Einfluss genommen werden könnte. Es gebe nach wie vor strukturelle Probleme und bei der Ursachenbekämpfung stehe man ganz am Anfang, so das Fazit der Behörde. 

Empfehlungen des Rechnungshofs

Die EU-Prüfer stellten fest, dass das System zur Verhinderung und Abfederung kritischer Arzneimittelengpässe verbessert werden müsse, da die rechtlichen Rahmenbedingungen unzureichend seien und Informationen, die ein Eingreifen ermöglichten, nicht rechtzeitig vorlägen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) habe in den vergangenen Jahren eine immer wichtigere Rolle gespielt, insbesondere während der Coronapandemie, und durch Koordinierung dazu beigetragen, die Auswirkungen von Engpässen zu verringern. Allerdings sei sie immer noch nicht rechtlich befugt, die EU-Länder auch jenseits von Gesundheitskrisen zu unterstützen. Zudem werde sie nicht ausreichend über Engpässe informiert, um diese verhindern zu können. Auch um bestehenden Engpässen laufend entgegenzuwirken, fehlten der EMA die nötigen Daten, da sie von der Pharmaindustrie häufig erst spät und nur unvollständig informiert werde. Der Rechnungshof empfiehlt deshalb grundsätzlich, eine weitere Verbesserung des Systems zur Behebung kritischer Engpässe vorzunehmen, umfassende koordinierte Maßnahmen zur Bekämpfung der Ursachen von Arzneimittelengpässen einzuleiten und die Funktionsweise des Binnenmarkts für Arzneimittel durch Beseitigung von Hindernissen zu verbessern.

Literatur:
Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht 19/2025: Kritischer Arzneimittelengpass: EU-Maßnahmen brachten einen Mehrwert, strukturelle Probleme bleiben jedoch bestehen. Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2025.

Artikel teilen

Online-Angebot der MT im Dialog

Um das Online-Angebot der MT im Dialog uneingeschränkt nutzen zu können, müssen Sie sich einmalig mit Ihrer DVTA-Mitglieds- oder Abonnentennummer registrieren.

Stellen- und Rubrikenmarkt

Möchten Sie eine Anzeige in der MT im Dialog schalten?

Stellenmarkt
Industrieanzeige