Atemwegsinfekte bei Blutkrebs: Was sagt die Leitlinie?
Die Expertinnen und Experten beantworten damit die Fragen: Wie gefährlich sind diese Viren im Einzelnen? Wie werden sie am besten diagnostiziert? Sind spezielle Hygienemaßnahmen erforderlich und welche Therapie- und Impfstrategien gibt es? Prof. Dr. Marie von Lilienfeld-Toal vom Institut für Diversitätsmedizin der Ruhr-Universität Bochum ist Erstautorin der Empfehlungen der europäischen Konferenz zu Infektionen bei Leukämie (ECIL) zu Diagnose, Prävention und Behandlung von ambulant erworbenen respiratorischen Virusinfektionen (community-acquired respiratory virus, CARV), die am 27. August 2025 veröffentlicht wurden. „Besonders in der ersten Phase der Krankheit beziehungsweise während und nach stark immunsuppressiven Therapien, etwa nach eine Stammzelltransplantation, sind Patientinnen und Patienten mit Blutkrebs sehr anfällig für Atemwegsinfekte“, sagt von Lilienfeld-Toal. „Viele Infekte, die ansonsten gesunde Menschen als banal erleben, verlaufen bei dieser Gruppe gefährlicher. Eine Influenza-Infektion verläuft zum Beispiel in zehn Prozent der Fälle tödlich, und die Menschen scheiden das Virus auch länger aus.“ Bei SARS-Cov-2 habe sich das erhöhte Risiko ebenfalls deutlich gezeigt, und Patientinnen seien auch durch Impfungen schlechter geschützt gewesen. Je nach Therapie seien Betroffene über die Dauer von etwa einem Jahr besonders infektanfällig.
Fachliteratur aus 2014 bis 2024 ausgewertet
Für die Überarbeitung der Leitlinie analysierte das Team aktuelle Fachliteratur aus den Jahren 2014 bis 2024. Eingeflossen sind Publikationen zu Adenovirus, Bocavirus, Coronavirus, Influenzavirus, Metapneumovirus, Parainfluenzavirus, Respiratory Syncytial Virus und Rhinovirus bei Patientinnen und Patienten mit hämatologischen Malignomen (Blutkrebs, HM) und/oder hämatopoetischer Zelltransplantation. „In den aktuellen Empfehlungen skizzieren wir ein gemeinsames Vorgehen zur Kontrolle solcher Infektionen, zur Labordiagnostik einschließlich SARS-CoV-2 sowie spezifische Strategien zur Infektkontrolle für Atemwegsinfekte außer SARS-CoV-2“, fasst von Lilienfeld-Toal zusammen.
Empfehlungen zur Diagnostik
Die Autoren betonen, dass der Nukleinsäuretest (NAT) die bevorzugte Methode für eine laborbestätigte Diagnose einer CARV-Infektion bei Patienten mit hämatologischen Malignomen und Patienten, die sich einer hämatopoetischen Zelltransplantation unterziehen, sei. Schnelle NAT mit Durchlaufzeiten von weniger als 2 Stunden sollten dabei bevorzugt werden, um zeitnahe Entscheidungen über Krankenhauseinweisungen, Infektionskontrolle, Modifikation oder Verschiebung von Chemotherapie- oder Konditionierungsverfahren sowie antivirale Behandlungen (sofern verfügbar) zu unterstützen. Quantitative NAT würden in einigen Zentren zur Bestimmung der CARV-Lasten eingesetzt. Dadurch könnten Kliniker den spezifischen virologischen Verlauf bei betroffenen Patienten verfolgen und kostspielige Wiederholungen von Multiplex-NAT vermeiden, die ausschließlich qualitative Ergebnisse liefern. Insbesondere die Variabilität bei Probenahme und Test sowie das Fehlen austauschbarer Standards verhinderten derzeit allerdings allgemeine Empfehlungen zu CARV-Lasten oder Zyklusschwellenwerten (Ct). NAT diene auch als Referenzmethode für CARVs, die nicht routinemäßig in lokalen Laboren getestet werden. Dazu zählen beispielsweise Varianten des Vogelgrippevirus A. Bei den Antigentests mahnen die Autoren zur Vorsicht. Es sollten die Ergebnisse im klinischen Kontext interpretiert werden. Negative Ergebnisse könnten zudem Infektionen mit Influenza A oder B, RSV oder SARS-CoV-2 nicht sicher ausschließen. Daneben wurde die Virusisolierung mittels Zellkulturtechnik aufgrund der langen Durchlaufzeiten und des Bedarfs an spezialisierten Laborressourcen weitgehend aufgegeben. Eine CARV-spezifische Serologie wird zudem für die Diagnose oder Behandlung von Infektionskrankheiten der Atemwege nach ambulant erworbenen respiratorischen Viren nicht empfohlen.
Impfstoffe & Co.
Zur Vorbeugung werden für Influenzaviren saisonale inaktivierte Impfstoffe und frühzeitige antivirale Therapien empfohlen, während die Expertinnen und Experten eine generelle antivirale Prophylaxe nicht befürworten. Für das Respiratory Syncytial Virus (RSV) könnten zugelassene Impfstoffe je nach lokaler Zulassung in Betracht gezogen werden, auch wenn die Evidenzlage bei Blutkrebs-Patientinnen/-Patienten begrenzt sei. Eine passive Immunisierung mit Palivizumab oder Nirsevimab wird für Kinder unter zwei Jahren empfohlen, jedoch gebe es unzureichende Daten zur prä- oder postexpositionellen Prophylaxe oder Behandlung älterer Kinder oder erwachsener Patientinnen und Patienten. Bei Patientinnen und Patienten, die nach einer Stammzelltransplantation ein ausgeprägtes Immundefizit haben, empfiehlt die Leitlinie die Gabe des Wirkstoffs Ribavirin und/oder intravenöse Immunglobuline.
Für andere Atemwegsinfekte stünden allerdings lediglich unterstützende Maßnahmen zur Verfügung, die die Immunfunktion verbessern und den Antikörpermangel korrigieren sollen. Dazu gehöre auch, die Gabe von kortisonhaltigen Medikamenten möglichst zu reduzieren. „Evidenzlücken bestehen vor allem in den Bereichen Immunisierung und antiviralen Therapien“, sagt von Lilienfeld-Toal.
Auch Umfeld ist in der Pflicht
Die Empfehlungen seien für alle relevant, die Menschen mit Blutkrebs behandeln. Da virale Atemwegsinfektionen oft aus der Umwelt kommen, sei dies nicht nur in der spezialisierten Klinik relevant, sondern auch in Ambulanzen und hausärztlichen Praxen. Auch pflegende Angehörige könnten von diesen Informationen profitieren und nicht zuletzt Menschen mit Blutkrebs selbst, die solche Informationen meistens in aufgearbeiteter Form von ihren Behandlern bekommen.
Quelle: idw/RUB
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