Patienten, die ohne erkennbare Ursache erstmals unter akuten Schmerzen im Rücken leiden, sollen frühestens nach sechs Wochen mittels bilddiagnostischen Verfahren untersucht werden. Das fordert eine Leitlinie, auf die sich medizinische Fachgesellschaften geeinigt haben - zum einen um Kosten zu sparen, zum anderen, um möglicherweise unnötige Behandlungen zu vermeiden. Doch wie die Analyse von Versichertendaten einer Krankenkasse zeigt, halten sich viele Ärzte nicht immer an diese Vorgabe. Bei jedem dritten Patienten wurde die radiologische Diagnostik zu früh durchgeführt, berichtet die DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift.
Akute Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Beschwerden in der deutschen Bevölkerung. Meistens erholen sich die Patienten jedoch von selbst. Eine radiologische Diagnose – heute in der Regel eine Computer- oder eine Kernspintomographie – ist deshalb zunächst nicht notwendig. Es sei denn, es besteht der Verdacht auf Wirbelbrüche oder Knochenmetastasen, oder es gibt andere Warnhinweise, die ein sofortiges Handeln erfordern. Da Computer- und Kernspintomographien teuer sind und die Ergebnisse mitunter unnötige Operationen oder andere Behandlungen nach sich ziehen, sieht die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz eine sechswöchige Wartezeit vor. Erst dann sollte, wenn die Schmerzen unvermindert anhalten, ein bildgebendes Verfahren eingesetzt werden.
Roland Linder vom Wissenschaftlichen Institut für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen der Techniker Krankenkasse hat in einer Analyse untersucht, ob sich die Ärzte an diese Vorgabe halten. Die gute Nachricht: Bei mehr als 90 Prozent der Patienten mit erstmaligen Rückenschmerzen ohne Warnhinweise haben die Ärzte zunächst auf eine radiologische Untersuchung verzichtet. Wurden die Patienten dann doch zum Radiologen überwiesen, geschah das bei fast einem Drittel von ihnen, bevor die sechswöchige Wartezeit abgelaufen war. Rund 75 Prozent dieser Überweisungen fand innerhalb der ersten Woche statt.
Warum es den Ärzten schwer fällt, die empfohlene Frist abzuwarten, kann die Studie nicht abschließend klären. Linder vermutet, dass der Wunsch, alle diagnostischen Möglichkeiten auszuschöpfen, häufig von den Patienten ausgeht. Aufseiten des Hausarztes könnte eine „Defensivmedizin“ eine Rolle spielen: Der Mediziner wolle einfach sicher gehen, dass er keinen Fehler gemacht hat. Für den Radiologen könne das „Bestreben zur Amortisierung seiner Praxisausstattung“ ein Motiv sein, schreibt Linder.
Da Rückenschmerzen häufig sind, hat die beschriebene „Überdiagnostik“ wirtschaftliche Folgen. Hochgerechnet auf alle gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland werden laut Linder jährlich bei fast 49.000 Patienten bildgebende Verfahren eingesetzt, die eigentlich nicht notwendig sind.
R. Linder et al.: Überdiagnostik mit Bildgebung bei Rückenschmerzen Qualitätssicherung mittels GKV-Routinedaten. DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2016; 141 (10); e96–e103
Quelle: Pressemitteilung Thieme, 07.06.16
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