Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ist eine frühe Diagnose und schnelle Behandlung wichtig. Erkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa treten oft zwischen dem 15. und 29. Lebensjahr auf, in einer Zeit, in der eigentlich die Ausbildung, das Studium und der Berufsstart im Fokus stehen. Das Gewebe wird dauerhaft geschädigt, die Lebensqualität wird beeinflusst und die Erkrankungen können auch in einer Krebserkrankung enden.
Risikoreiches Zusammenspiel
Während klassische Behandlungen das Immunsystem unterdrücken, greifen neuere Therapien gezielt die Entzündungsreaktionen an und blockieren entzündungsfördernde Botenstoffe. Während die genauen Ursachen und Auslöser bisher noch nicht geklärt sind, haben Forschende nun einen neuen Angriffspunkt zur Behandlung gefunden. Die Forschenden der Charité entdeckten zwei Botenstoffe des Immunsystems, deren Zusammenspiel die Entzündungen befeuern: Interleukin-22 und Onkostatin M. Interleukin-22 ist ein Protein zur Unterstützung der Zellen des Epithels der Darmwand und erhält die Barrierefunktion, Onkostatin M ist ein Signalmolekül, das an der Geweberegeneration und Zelldifferenzierung beteiligt ist.
Zunächst zeigte sich Onkostatin M als Biomarker für eine schweren Krankheitsverlauf und dass bekannte Therapien nicht funktionieren, wenn Patientinnen und Patienten eine hohe Produktion des Signalmoleküls aufweisen. Daher untersuchten die Forschenden um Ahmed Hegazy die gesamte Signalkette, um diese gezielt therapeutisch unterbrechen zu können – mit Erfolg. Zunächst an Tiermodellen und später an Gewebeproben von Betroffenen zeigte sich, dass im entzündeten Darm mehr Bindungsstellen für Onkostatin M bestehen als in gesundem Gewebe, weshalb zusätzliche Immunzellen das Entzündungsprotein produzieren und die folgenschweren Entzündungsreaktionen in Gang gesetzt werden.
Gezielte Blockade von Onkostatin M-Bindungsstellen
Interleukin-22 kommt ins Spiel, indem es trotz seiner gewebeschützenden Funktion die Darmepithelzellen empfindlicher für Onkostatin M macht, da es die Bildung der entsprechenden Andockstellen fördert. „Die beiden Immunbotenstoffe arbeiten zusammen und heizen die Entzündung weiter an, wodurch noch mehr Immunzellen in den Darm gelockt werden – ein Feuer, das immer mehr Nahrung erhält und sich ausbreitet“, erläutert Prof. Ahmed Hegazy, Medizinische Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie der Charité. Wurden die Bindungsstellen für Onkostatin M gezielt blockiert, ließen sich die Entzündungen reduzieren und damit auch das Krebsrisiko verringern.
Zur weiteren Bestätigung der Ergebnisse untersuchten die Forschenden Gewebe von Patientinnen und Patienten mit Darmkrebs infolge der chronischen Darmentzündungen und fanden eine signifikant höhere Anzahl an Bindungsstellen für Onkostatin M im Umfeld der Tumoren, jedoch nicht im restlichen Gewebe. Dieser Fund legt die These nahe, dass Onkostatin M die Krebsbildung fördert. Dennoch entwickeln nicht alle Betroffenen automatisch Darmkrebs, da noch mehr Faktoren eine Rolle spielen, weshalb die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen meist sehr individuell verlaufen.
Aus den neuen Erkenntnissen entwickeln die Forschenden nun eine neue, konkrete Behandlungsmöglichkeit für Betroffene mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, indem die Verbindung zwischen Interleukin-22 und Onkostatin M gehemmt wird. Eine Studie mit einem speziellen Antikörper hierfür ist bereits gestartet.
Quelle: Charité Berlin
Artikel teilen