Digitale Gewalt gegen Frauen - Die unsichtbare Gefahr
Anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen mahnt die Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Petra Sußner, Gastprofessorin für Recht mit Schwerpunkt Geschlechterfragen an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin), zu einem grundlegenden Umdenken im Umgang mit digitaler Gewalt. Digitale Gewalt gegen Frauen ist kein Randphänomen mehr und umfasst mehr als Online-Belästigung: Täterinnen und Täter nutzen moderne Technologien – etwa das Verbreiten intimer Bilder oder Stalkerware auf Smartphones zur Überwachung -, um „…, Frauen aus öffentlichen Räumen zu verdrängen und ihnen damit Sprechmacht und Stimme zu nehmen.“
Sußner warnt vor einer gefährlichen Vereinfachung: Die Annahme, digitale und analoge Gewalt ließen sich klar voneinander abgrenzen, gelte längst nicht mehr. Beispiele wie Doxing – also die Veröffentlichung persönlicher Informationen wie Adresse oder Arbeitsplatz – verdeutlichen, wie rasch digitale Übergriffe in reale Gefährdung umschlagen können. „Einfach das Handy auszuschalten“ helfe daher nicht weiter und blende die strukturelle Dimension der Bedrohung aus.
Wer ist besonders betroffen – und warum?
Vor allem Frauen, die öffentlich auftreten, seien besonders gefährdet. „Wir dürfen Gewalt gegen Frauen nicht eindimensional verstehen“, betont Sußner. Schwarze Frauen oder trans Frauen sind besonders häufig Angriffen ausgesetzt, weil rassistische und (hetero)sexistische Hasskommentare zusammenkommen. Verschärft wird die Lage durch soziale Ungleichheit: „Ein Gerichtsverfahren oder eine strafbewerte Unterlassungserklärung muss man sich erst einmal leisten können.“
Aber auch im Gesundheitswesen zeigt sich, dass viele Kliniken steigende Zahlen körperlicher und verbaler Gewalt melden. Besonders häufig betroffen sind Mitarbeitende im Pflegedienst (überwiegend weiblich) und meistens sind die Notaufnahmen/-ambulanzen der Tatort für die Übergriffe. Dies zeigt das DKI Krankenhaus Barometer 2025. Immerhin zwei Prozent der Krankenhäuser berichteten über „häufige" Arbeitsunfähigkeiten als Folge eines Übergriffes bei betroffenenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 38 Prozent immerhin noch von „gelegentlichen" Arbeitsunfähigkeiten. Ebenfalls zwei Prozent gaben an, dass sich betroffene Mitarbeiter/-innen „häufig" in ärztliche Behandlung begeben mussten, 60 Prozent sprachen von „gelegentlich". Ursache für die zunehmend stattfindenden Übergriffe ist nach Einschätzung der Krankenhäuser neben patientenbezogenen Gründen vor allem ein allgemeiner Respektverlust gegenüber dem Krankenhauspersonal.
Verharmlosung verstärkt die Probleme
(Digitale) Täterinnen und Täter treten häufig unter dem Schutz der Anonymität auf, sind in rechtsextremen, frauenfeindlichen oder incel-nahen (sogenannt „unfreiwillig zölibatären“) Gruppen organisiert oder stammen aus dem direkten sozialen Umfeld. Die aktuelle Tübinger Studie „Femizide in Deutschland“ zeigt, dass digitaler Gewalt oft eine längere Vorgeschichte vorausgeht, die eng mit körperlicher oder anderer analoger Gewalt verknüpft ist. Wenn Behörden oder Arbeitgeber/-innen digitale Gewalt verharmlosen, verstärkt das die Verletzlichkeit und Isolation der Betroffenen. Entscheidend ist daher ein Blick auf bestehende Machtstrukturen: „Die eigentliche Grenze verläuft nicht zwischen ‚anonym‘ und ‚bekannt‘, sondern zwischen Macht und Ohnmacht“, erklärt die Rechtswissenschaftlerin.
Darüber hinaus machen manipulative Strategien wie Gaslighting (eine Form der psychischen Gewalt) Frauen zusätzlich vulnerabel, da sie Selbstzweifel verstärken und die Wahrnehmung von Realität verschieben. Gefordert wird von Sußner ein gesellschaftliches Bewusstsein für das Ausmaß der Bedrohung: „Es ist eine Gefahr für unsere Demokratie, wenn ein Großteil der Bevölkerung aus dem öffentlichen Raum verschwindet.“ Betroffene brauchen nicht nur Wissen, wie beispielsweise digitale Spurensicherung, sondern auch Unterstützung: Behörden, Institutionen und Plattformen seien gefordert, Gewalt sichtbar zu machen und konsequent zu ahnden.
Stärkung der Widerstandsfähigkeit
Ein Beispiel für akademisches Engagement zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit ist das HWR-Lehrforschungsprojekt „Resilienz zivilgesellschaftlicher Organisationen gegenüber digitaler Gewalt“, das Prof. Dr. Petra Sußner gemeinsam mit Prof. Dr. Mischa Hansel leitet. Der Sozialwissenschaftler forscht und lehrt zum Schwerpunkt Cyber- und Informationssicherheit an der HWR Berlin. Studierende des gehobenen Polizeivollzugsdienstes am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement erwerben in einem Vertiefungsseminar Kompetenzen zu technischen, juristischen und psychologischen Fragen, um im Einsatz adäquat auf Anzeigen oder Hilferufe reagieren zu können.
Ihre Studierenden begegnen dem Thema mit großem Interesse und Engagement, erlebt Sußner. Sie hofft, dass diese neue Generation von Polizeikräften Spezialteams bei Polizei und Staatsanwaltschaft mit ihrer Kompetenz stützen wird und dazu beiträgt, das Thema breit zu verankern, Bewusstsein und Handlungsfähigkeit in Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden zu schaffen.
Gewalt im Netz ist kein Kavaliersdelikt
Während im Strafrecht weiterhin Lücken bestehen, etwa bei Deep Fakes oder voyeuristischen Aufnahmen in öffentlichen Räumen, weist Sußner darauf hin, dass es allein mit dem Erlassen neuer Strafvorschriften nicht getan sei. „Es geht um Prävention durch Machtverschiebung. Gewalt im Netz ist kein Einzelschicksal, sondern Teil eines Systems. Und sie ist kein Kavaliersdelikt.“ Aus diesem Grund fordert Sußner klare Verantwortlichkeit der Plattformen, eine konsequente Umsetzung der Digital Services Act und funktionierende Wege zur Identifikation anonymer Täterinnen und Täter. Zentraler Punkt ist die Frage nach den Schutzpflichten des Staates: Wenn bestimmte Gruppen durch digitale Gewalt aus dem öffentlichen Raum zurückgedrängt werden, wird damit die Meinungsfreiheit als solche bedroht.
Sußner kommt zu einem klaren Schluss: Digitale Gewalt gegen Frauen stellt einen Angriff auf Gleichberechtigung und demokratische Beteiligung dar. „Nötig ist ein gemeinsames Bewusstsein – die Einsicht, dass digitale Gewalt ein Problem der gesamten Gesellschaft ist.“
Quellen:
HWR Berlin, DKI: KRANKENHAUS BAROMETER Umfrage 2025: PREVIEW PRÄVENTION ZUR STEIGERUNG DER SICHERHEIT IM KRANKENHAUS
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