Erkennen und wahrnehmen von Chancen
Treiber hierfür sind unter anderem die Forderungen vonseiten des Gesetzgebers, umgesetzt in der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement (Qualitätsmanagement-Richtlinie/QM-RL) [1]. Auch alle modernen Managementmodelle wie der KTQ-Katalog oder die internationale Managementnorm ISO 9001 beinhalten dahingehende Forderungen [2, 3]. Ganz im Sinne des Gesetzgebers, manifestiert im Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013, konzentrieren sich diese Vorgaben auf die kontinuierliche Sicherung und Verbesserung der Patientenversorgung.
Dabei darf aber nicht die besondere Bedeutung von Risiken und Chancen für eine zukunftsorientierte Organisationsentwicklung vernachlässigt werden. Spielt die Betrachtung von Chancen bislang in den genannten Vorgaben sowie in der Praxis auch nur eine geringe Rolle, so gewinnt die Erkenntnis, dass in einer Welt, die von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUKA) geprägt ist, die Fähigkeit, Risiken nicht nur zu managen, sondern auch Chancen aktiv zu nutzen, zunehmend an Bedeutung. Denn nicht nur das Managen von Risiken, sondern auch die frühzeitige Erkennung und Wahrnehmung von Chancen sind entscheidend für den Erfolg und die Widerstandsfähigkeit von Organisationen des Gesundheitswesens [4]. Diese Erkenntnis führt dazu, dass mittlerweile Chancenmanagement zu den Top-Themen in der betriebswirtschaftlichen Unternehmensführung zählt.
Eine Vorreiterstellung nimmt bereits heute die internationale Norm ISO 15189 „Medizinische Laboratorien – Anforderungen an die Qualität und Kompetenz“ mit ihrer Revision im Jahr 2022 und der Veröffentlichung in Deutschland 2023 ein [5]. Diese beinhaltet auch Anforderungen an medizinische Laboratorien für die Planung und Umsetzung von Maßnahmen zum Umgang mit Chancen zur Verbesserung. Es ist davon auszugehen, dass die im Jahr 2026 erwartete neue Version der ISO 9001 dem folgt und sich verstärkt dem Management von Chancen widmen wird. Erste Ansätze hierzu wurden bereits aus der ISO-Arbeitsgruppe TC 176/SC 1/WG 2 geäußert: „Die Betrachtung von Chancen kommt in der Praxis viel zu kurz, ist aber in dem derzeitigen Umfeld – Stichwort: VUKA-Welt – ebenso wichtig wie die Betrachtung von Risiken“. Ob sich allerdings die im „Risk Concept Paper“ der Taskgroup vorgeschlagene Entkopplung des risikobasierten Denkens von einem chancenbasierten Denken durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Festzuhalten bleibt, dass der Umgang mit Risiken und Chancen ein unverzichtbarer Teil des unternehmerischen Handelns darstellt und somit Führungsaufgabe ist.
Bei der Ausbildung künftiger Führungskräfte gehört deshalb auch das Management von Risiken und Chancen zum integralen Bestandteil. Dabei dient als gemeinsame Grundlage ein prozessorientiertes Vorgehen, zumal die Definition von „Risiko“ sowohl die negative (Bedrohung) als auch die positive (Chance) Sichtweise beinhaltet und somit Bestandteil im Kernprozess des Risikomanagements nach ISO 31000 ist. Auch die Überlegungen einer Führungskraft hinsichtlich einer sich bietenden Chance zur Verbesserung der Patientenversorgung müssen durch anerkannte Methoden zur Entscheidungsfindung unterstützt werden, um zwischen Chancenwahrnehmung und möglicherweise entstehenden negativen Auswirkungen für das Unternehmen abzuwägen.
Die vom DIW-MTA angebotenen Managementmodule mit dem Schwerpunkt Risiko- und Chancenmanagement sind grundsätzlich prozessorientiert ausgerichtet. In Anlehnung an die Normen für Risikomanagement, ISO 31000 [7] und ÖNORM D 4900 [8], umfassen sie die Erarbeitung einer Strategie, die Definition des eigentlichen Risiko- und Chancenmanagementprozesses von der Identifikation von Risiken und Chancen bis zur Risikobewältigung beziehungsweise Chancenwahrnehmung, die Katalogisierung und die systematische Überwachung und Verbesserung des Systems [6] (Abbildung 1).
Wie könnte Chancenmanagement aussehen?
Um dem derzeit noch traurigen Dasein von Chancen entgegenzuwirken, ist ein Perspektivwechsel erforderlich – nicht jedes Geschehnis von etwas Unerwartetem ist als Risiko zu sehen. Für die Verbesserung der Patientenversorgung ist es nicht nur zielführend, Risiken zu vermeiden, es ist mindestens genauso zielführend, Chancen aktiv zu nutzen. Hierzu brauchen wir nur die ohnehin bekannten Methoden und Tools zur Risikobetrachtung einzusetzen, um Potenziale für Verbesserungen zu erkennen und zu bewerten.
Einen Ansatz für chancenorientiertes Denken bietet die Analyse und Bewertung von Chancen in Form einer der Risikobewertung gleichenden Matrix (Abbildung 2). Ein zukunftsorientiertes Managementsystem verlangt auch bei der Suche nach Chancen ein prozessbasiertes Vorgehen wie bei Risiken. Anders als bei der Priorisierung von Risiken nutzen wir bei Chancen die Parameter „Erfolg“ anstelle von „Schadensausmaß“ und „Wahrscheinlichkeit der Realisierung“ anstelle von „Eintrittswahrscheinlichkeit“. Die Chancen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Realisierung und einem zu erwartenden langfristigen Erfolg werden dann zu konkreten Zielen für die Fortentwicklung der Gesundheitseinrichtung.
Die Überlegungen der Taskgroup zur Trennung der Verantwortlichen für das Managen von Risiken und denjenigen, die für das Chancenmanagement verantwortlich sind, dürfte sich im Hinblick auf die schwindenden personellen Ressourcen im Gesundheitswesen als derzeit unrealistisch erweisen.
Weiterbildungen am DIW-MTA im Bereich Chancen- und Risikomanagement
Diese und noch weitere Themen thematisieren die Kurse „Normkonformes Chancen- und Risikomanagement für das medizinische Labor“, der am 24. und 25. November 2025 online via ZOOM stattfindet sowie „Qualitäts- und Risikomanagement nach der Richtlinie zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (Rili-BÄK)“, der am 3. und 4. Juli 2025 online via Zoom stattfindet. Ihr Dozent ist Jürgen Hirschfeld, der durch seine jahrelange Expertise die Themen spannend erläutert und diskutiert.
Die Anmeldung zu beiden Kursen ist über das Stud.IP möglich. Weitere Informationen erhalten Sie unter info@diw-mta.de.
Literatur
1. Gemeinsamer Bundesausschuss: Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten, medizinische Versorgungszentren, Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte sowie zugelassene Krankenhäuser (Qualitätsmanagement-Richtlinie/QM-RL). 2015. Zuletzt geändert am 18. Januar 2024.
2. Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen: KTQ-Katalog Krankenhaus. KTQ GmbH 2021.
3. Deutsches Institut für Normung e.V.: Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen (ISO 9001:2015). DIN Media GmbH 2015.
4. Adam PA: Risiken und Chancen integriert managen. Springer Gabler 2024.
5. Deutsches Institut für Normung e.V.: Medizinische Laboratorien – Anforderungen an die Qualität und Kompetenz (ISO 15189:2022). DIN Media GmbH 2023.
6. Deutsche Gesellschaft für Qualität: Umgang mit Risiken und Chancen: DGQ und EOQ bei den Normenrevisionen ISO 9000 und 9001 aktiv. 2024. www.dgq.de/aktuelles/umgang-mit-risiken-und-chancen-dgq-und-eoq-bei-den-normenrevisionen-iso-9000-und-9001-aktiv/ (letzter Zugriff am 28.04.2025).
7. Deutsches Institut für Normung e.V.: Risikomanagement – Leitlinien (ISO 31000:2018). DIN Media GmbH 2018.
8. Österreichisches Normungsinstitut: Risikomanagement für Organisationen und Systeme (ÖNORM D 4901). Quality Austria Holding GmbH 2021.
Entnommen aus MT im Dialog 6/2025
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