Forschende von Helmholtz Munich und der Technischen Universität München (TUM) konnten nachweisen, dass die Wirkung einer oralen Insulinbehandlung von der jeweiligen Variante des Insulin-Gens abhängt. Bestimmte Untergruppen sprechen demnach unterschiedlich auf die Behandlung an. POInT ist die erste randomisierte, kontrollierte klinische Studie, die untersucht, ob eine orale Insulingabe die Entstehung einer Inselautoimmunität und damit von Typ-1-Diabetes bei gefährdeten Kindern verhindern kann. Die von der Global Platform for the Prevention of Autoimmune Diabetes (GPPAD) koordinierte Studie umfasste 1.050 Kinder in fünf europäischen Ländern. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal The Lancet veröffentlicht.
Seit 2017 untersucht die Studie namens POInT (Primary Oral Insulin Trial), ob eine orale Insulinbehandlung die Bildung von Inselautoantikörpern – die mit der Entstehung von Typ-1-Diabetes in Verbindung stehen – bei Kindern mit erhöhtem genetischem Risiko verzögern oder verhindern kann. Die Studie wurde in fünf europäischen Ländern durchgeführt und vereint mehr als 30 Jahre genetischer und immunologischer Forschung. Damit gehört sie zu den bisher größten Präventionsinitiativen im Bereich der Autoimmunerkrankungen.
Neue Möglichkeiten für genetisch maßgeschneiderte Präventionsstrategien
Die Forschenden berichten, dass die tägliche Einnahme von Insulinpulver von den Kindern gut vertragen wurde. Insgesamt hatte die orale Insulingabe jedoch keinen Einfluss auf die generelle Entwicklung von Inselautoantikörpern während des Studienzeitraums. Obwohl das primäre Studienziel damit nicht erreicht wurde, zeigten die explorativen Analysen vielversprechende sekundäre Ergebnisse: Kinder, die oral Insulin erhielten, entwickelten im Vergleich zur Placebo-Gruppe verzögert klinischen Typ-1-Diabetes. Besonders interessant war, dass die Wirkung der Behandlung von der jeweiligen Insulin-Genvariante der Kinder abhing – ein Hinweis auf neue Möglichkeiten für genetisch maßgeschneiderte Präventionsstrategien.
„Die POInT-Studie könnte die Art und Weise verändern, wie wir antigenbasierte Therapien bei Typ-1-Diabetes einsetzen. Auch wenn die orale Insulintherapie die Bildung von Inselautoantikörpern nicht wie erhofft verhindert hat, deuten die Daten darauf hin, dass sie den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen könnte“, sagt Studienleiterin Prof. Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin des Instituts für Diabetesforschung bei Helmholtz Munich und Inhaberin des Lehrstuhls für Diabetes und Gestationsdiabetes am TUM Klinikum.
„Zum einen zeigte sich bei den Kindern, die oral Insulin erhalten hatten, eine Verzögerung des Übergangs zur klinischen Erkrankung – das ist bereits eine ermutigende Nachricht. Zum anderen fiel auf, dass der Behandlungseffekt stark von der genetischen Ausstattung der Kinder abhängt. Besonders bei Kindern mit Risikovarianten des Insulin-Gens für Typ-1-Diabetes scheint eine Verzögerung des Erkrankungsbeginns möglich zu sein. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten für gezielte, personalisierte Präventionsstrategien“, erklärt Ziegler. „Da POInT jahrzehntelange Pionierarbeit zum Verständnis und zur Prävention von Typ-1-Diabetes zusammenführt, stellt die Studie einen wichtigen wissenschaftlichen Meilenstein dar. Gleichzeitig folgt sie meiner persönlichen Mission: eine Welt ohne Typ-1-Diabetes.“
Ergebnis hängt von der persönlichen Insulin-Genvariante ab
Das Gen, das für das Insulinprotein verantwortlich ist, kommt in verschiedenen Varianten vor. „Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden hatte Varianten, die das Risiko für Typ-1-Diabetes erhöhen“, erklärt Ezio Bonifacio, Mitglied der GPPAD-Studiengruppe und Professor am Zentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden. „Bei diesen Kindern schützte die orale Insulinbehandlung vor der Entwicklung von Diabetes. Im Gegensatz dazu nahm bei Kindern ohne Risikovariante die Zahl der Inselautoantikörper unter der oralen Insulinbehandlung sogar zu.“
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine orale Insulinbehandlung für eine genetisch klar definierte Untergruppe von Kindern von Vorteil sein könnte. „Auch wenn der genaue Mechanismus noch unklar ist, geben die Resultate Anlass zu vorsichtigem Optimismus: Mit der gezielten Auswahl der zu behandelnden Kinder könnte es in Zukunft möglich sein, den Krankheitsverlauf entscheidend zu beeinflussen“, ergänzt Bonifacio.
Nächste Schritte: Personalisierte Präventionsstrategien weiterentwickeln
Aufbauend auf den ersten Ergebnissen wird die POInT-Studie mit einer erweiterten Nachbeobachtung fortgesetzt, bis die Teilnehmenden zwölf Jahre alt sind – weiterhin unterstützt vom Leona M. and Harry B. Helmsley Charitable Trust. Bis zum Alter von sechs Jahren entwickelten rund zehn Prozent der Kinder Inselautoantikörper, die bei der Mehrheit später in einen klinischen Typ-1-Diabetes münden. Die verlängerte Beobachtungsphase erlaubt es den Forschenden, die langfristigen Effekte der frühen oralen Insulinbehandlung zu untersuchen und gleichzeitig eine kontinuierliche Betreuung der Kinder sicherzustellen. Zudem werden die im Rahmen der Studie gesammelten biologischen Proben und Daten für begleitende Forschungsprojekte genutzt. Diese sollen zeigen, wie orale Insulintherapie die Autoimmunreaktion beeinflusst und den Krankheitsverlauf verändert.
Langfristig zielt die Forschung darauf ab, die frühen biologischen Mechanismen zu verstehen, die zur Entstehung von Typ-1-Diabetes führen. So hoffen die Forschenden, pharmakogenetische Zusammenhänge zu identifizieren, die eine personalisierte Prävention ermöglichen könnten. Die POInT-Kohorte ist hierfür besonders wertvoll, da sie die erste Primärpräventionsstudie ist, die gezielt Kinder mit erhöhtem Risiko aus der Allgemeinbevölkerung rekrutiert.
Quelle: Helmholtz Munich
Artikel teilen




