Insulinresistenz im Gehirn: Welche Rolle spielt die Epigenetik?
Oftmals bleibt eine Insulinresistenz lange unbemerkt. „Insulin wirkt nicht nur im Stoffwechsel des Körpers, sondern spielt auch im Gehirn eine zentrale Rolle für kognitive Funktionen, die Appetitregulation und den Energiehaushalt“, erklärt Prof. Dr. Stephanie Kullmann. Sie forscht am Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) von Helmholtz Munich an der Universität Tübingen und arbeitet in der Innere Med IV des Universitätsklinikum Tübingen. Bis heute ist der Nachweis einer Insulinresistenz im Gehirn kosten- und zeitintensiv, da derzeit keine Biomarker verfügbar sind. „Unsere neue Studie zeigt, dass wir aus dem Blut epigenetische Signaturen extrahieren können, die sehr präzise anzeigen, ob das Gehirn noch auf Insulin reagiert – oder eben nicht mehr“, sagt Prof. Dr. Annette Schürmann vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE).
Untersuchung der DNA-Methylierungsmuster
Untersucht wurden die Blutproben von Personen ohne Typ-2-Diabetes (T2D), die sich in ihrer Hirnreaktion auf Insulin unterschieden, jedoch vergleichbare Werte bei der peripheren Insulinsensitivität hatten. Das Forschungsteam nutzte ein maschinelles Lernverfahren zur Analyse von kleinen chemischen Veränderungen an der DNA, sogenannte DNA-Methylierungsmuster. Damit sollten epigenetischen Marker identifiziert werden. Der maschinelle Lernprozess beruhte auf einer Kombination von Daten aus funktioneller Magnetresonanztomografie des Gehirns sowie metabolische und epigenetische Daten. In einer ersten Studienkohorte mit 167 Teilnehmenden identifizierten die Forschenden 540 sogenannte CpG-Stellen*, deren Methylierungsmuster eine zuverlässige Unterscheidung zwischen Menschen mit und ohne Insulinresistenz im Gehirn erlaubten. „Bemerkenswert ist, dass viele dieser Methylierungsstellen mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes verbunden waren“, berichtet Dr. Meriem Ouni, Leiterin der Nachwuchsgruppe Epigenetik von Adipositas und Diabetes am DIfE und Letztautorin der Studie. „Das weist auf ein wechselseitiges Zusammenspiel zwischen Insulinresistenz im Gehirn und Stoffwechselerkrankungen hin.“
Unabhängig von Alter oder BMI
Die Ergebnisse wurden anschließend mit sehr hoher Genauigkeit (83 bis 94%) in zwei unabhängigen Replikationskohorten mit 33 bzw. 24 Personen bestätigt. „Wir konnten zeigen, dass diese Signaturen unabhängig von Alter oder BMI zuverlässig sind“, betont Schürmann. Alle 540 untersuchten CpG-Stellen wiesen veränderte Methylierungsmuster auf. Für 98 der identifizierten CpG-Stellen fanden die Forschenden in Datenbanken eine Korrelation zwischen Blut- und Gehirnmethylierung (p<0,05). Viele der zugehörigen Gene sind an der neuronalen Entwicklung, Synapsenbildung und Signalübertragung beteiligt. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das epigenetische Profil im Blut zentrale Prozesse im Gehirn widerspiegeln kann“, erklärt Ouni. Frühere Arbeiten hatten bereits gezeigt, dass Menschen mit Insulinresistenz im Gehirn weniger gut auf Lebensstilinterventionen ansprechen, mehr viszerales Fett einlagern und häufiger Heißhunger verspüren – alles Risikofaktoren für die Entstehung von Typ-2-Diabetes.
Ziel ist ein standardisiertes Testpanel
„Die jetzt identifizierten epigenetischen Marker könnten künftig als Screening-Instrument dienen, um Risikopatientinnen und -patienten frühzeitig zu erkennen und gezielt zu behandeln – etwa durch gesünderen Lebensstil oder Wirkstoffe wie die SGLT2-Inhibitoren, die bei Menschen mit neuronaler Insulinresistenz diese verbesserten“, ist Ouni überzeugt. „Wenn wir wissen, wer eine Insulinresistenz im Gehirn hat, können wir Interventionen deutlich gezielter und wirksamer gestalten.“ Ziel des Teams ist es nun, aus den 540 identifizierten CpG-Stellen ein standardisiertes Testpanel zu entwickeln, das in der klinischen Praxis eingesetzt werden kann. Ob die epigenetischen Signaturen im Blut auch zur Früherkennung neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer genutzt werden können, bleibe eine Frage für künftige Studien.
*CpG-Stellen sind DNA-Sequenzen, bei denen ein Cytosin (C) direkt gefolgt von einem Guanin (G) auf demselben DNA-Strang liegt – das „p“ steht für die Phosphatgruppe, die die Nukleotide verbindet. Diese Stellen sind wichtig, weil das Cytosin an CpG-Stellen oft methyliert wird. Diese DNA-Methylierung ist ein zentraler Mechanismus zur Regulation der Genexpression, ohne die DNA-Sequenz zu verändern.
Quelle: idw/DZD
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