Kalziumkanäle spielen bei der Signalübertragung von Haarsinneszellen auf Hörnervenzellen eine entscheidende Rolle. Trifft ein Geräusch im Innenohr auf Haarsinneszellen, geraten diese in Schwingung, je nach Intensität des Schalls. Durch diese Bewegung erfolgt eine Spannungsänderung der Haarsinneszelle, die zur Öffnung von Kalziumkanälen führt. Dadurch kann Kalzium ins Zellinnere strömen und den Botenstoff freisetzen, der zur Aktivierung der Synapse führt und damit die Zellen der Hörnerven aktiviert.
Kleine Funktionsänderung, große Auswirkungen
Der Funktionsverlust dieser Kalziumkanäle kann von leichten Hörproblemen bis hin zur Taubheit führen. Minimale Veränderungen im Erbgut können dafür sorgen, dass die Kalziumkanäle ihre Funktion verlieren. Ein Team der Universitätsmedizin Göttingen untersuchte mit internationalen Kollegen die Auswirkungen eines genetisch veränderten CaV1.3-Kanals (CaVAG). Es gibt bei diesem Kanal nur eine kleine Veränderung im Bauplan gegenüber einem intakten Kanal, sorgt aber für eine deutlich erhöhte Empfindlichkeit. Die Forschungen fanden im Tiermodell statt, doch auch beim Menschen ist diese Variante beschrieben und steht im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Autismus-Spektrums-Störungen bei Kindern.
So stellten die Forschenden fest, dass CaVAG eine niedrigere Aktivierungsschwelle hat und sich viel früher öffnet als ein intakter Kanal, bei gleichem Reiz. Im Tiermodell zeigte sich nun, dass ein CaVAG-Kalziumkanal viel aktiver ist als ein intakter, auch bei Stille. Diese erhöhte Empfindlichkeit der Haarsinneszellen beeinträchtigt direkt die nachgeschalteten Hörnervenzellen und deren Reaktion auf Schallsignale. Die Reizschwelle der Nervenzellen wird gesenkt, was wiederum die Signalweiterleitung an das Gehirn beeinflusst. „Die erhöhte Empfindlichkeit der CaVAG-Variante des Kalziumkanals hilft zwar kurzfristig, leise Töne besser wahrzunehmen, aber im Tiermodell zeigte sich, dass einige Kontaktstellen zwischen Haarsinnes- und Hörnervenzellen langfristig ihre Struktur verlieren – und zwar ganz ohne laute Musik oder sonstige Lärmeinwirkung. Allein der ‚normale’ Geräuschpegel im Tierhaus reicht dafür offenbar aus. Es sieht so aus, als würde der durch die genetische Veränderung verursachte überaktive Kalziumeinstrom das System überlasten“, fasst Prof. Moser, Letztautor der Studie, zusammen.
Somit ensteht ein versteckter Hörverlust, eine schleichende Hörschädigung, die mit regulären Hörtests nicht erfasst wird. Meist macht die Schwere der Erkrankung eine Untersuchung des Hörvermögens bei Betroffenen kaum möglich. Die neuen Erkenntnisse legen jedoch nahe, dass diese Menschen besonders empfindlich hören und dadurch anfällig für Lärmschäden sind. Betroffene sollten audiologisch begleitet werden und gegebenenfalls einen vorbeugenden Hörschutz im Alltag tragen.
Quelle: idw
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