Spiegelt molekulare Signatur körperliche Fitness wider?
Um die zentralen molekularen Prozesse des aktiven Alterns zu entschlüsseln, hat ein Forscherteam um Wolfram Weckwerth von der Universität Wien und der Nankai-Universität fortschrittliche Metabolomik mit modernster künstlicher Intelligenz und einem neuartigen Netzwerkmodellierungs-Tool kombiniert. Es ist eine Binsenweisheit, dass Bewegung Mobilität schützt und das Risiko chronischer Erkrankungen senkt. Doch die genauen molekularen Prozesse, die körperliche Aktivität in gesünderes Altern übersetzen, waren bislang kaum erforscht. Die Forscher/-innen stellten sich daher eine scheinbar einfache Frage: Lassen sich die Vorteile eines aktiven Lebensstils bei älteren Menschen direkt im Blut erkennen – und welche Moleküle spielen dabei die größte Rolle?
Molekulare Signatur spiegelt körperliche Fitness
Zunächst wurde ein „Body Activity Index“ (BAI) entwickelt, indem mittels kanonischer Korrelationsanalyse die Ergebnisse aus Gehstrecke, Aufsteh-Tests, Handkraftmessungen und Gleichgewichtstests zusammengeführt wurden. Dieser zusammengesetzte Leistungswert erfasst Ausdauer, Kraft und Koordination in einem robusten Maß. Unabhängig davon wurde ein „Metabolomics Index“ aus den Blutkonzentrationen von 35 niedermolekularen Metaboliten berechnet. In 263 Blutproben älterer Erwachsener zeigten beide Indizes eine Pearson-Korrelation von 0,85 (p < 1 × 10⁻¹⁹), was belegt, dass die molekulare Signatur im Blut die körperliche Fitness widerspiegelt.
Einsatz von KI
Außerdem trainierten die Forscherinnen und Forscher fünf verschiedene KI-Modelle. Darunter waren einfache statistische Verfahren (Generalisiertes Lineares Modell, GLM) bis hin zu fortgeschrittenen Methoden wie Entscheidungsbaum-Boosting (Gradient Boosting Machine, GBM; XGBoost) und einem Deep-Learning-Autoencoder-Netzwerk. Dies hatte das Ziel, komplexe, nichtlineare Muster zu erfassen. Jedes Modell wurde mit wiederholter Kreuzvalidierung abgestimmt und an unabhängigen Datensätzen getestet. Das Forschungsteam betont, dass die Boosting-Modelle (GBM und XGBoost) eine hohe Genauigkeit erzielten und „aktive“ von „weniger aktiven“ Teilnehmern in über 91 % der Fälle (AUC > 0,91) unterschieden. Acht Metaboliten traten in allen fünf Algorithmen konsistent als Prädiktoren für das Aktivitätsniveau hervor: Aspartat, Prolin, Fruktose, Apfelsäure, Pyruvat, Valin, Citrat und Ornithin. Dabei habe Aspartat mit einem Faktor von zwei bis drei besonders hervorgestochen und habe dementsprechend seine zentrale Rolle als molekularer Marker des aktiven Alterns bestätigt.
Flexibilität in Leber- und Muskelstoffwechsel
Korrelation ist jedoch nicht Kausalität. Es wird dabei nicht erklärt, warum bestimmte Moleküle mit Fitness verknüpft sind. Um die zugrunde liegenden Mechanismen zu verstehen, nutzte das Team das datengetriebene Modellierungs-Tool COVRECON. COVRECON analysiert, wie Metaboliten gemeinsam variieren, und rekonstruiert daraus das Netzwerk biochemischer Interaktionen. Mathematisch wurde eine differentielle Jacobimatrix geschätzt – ein Verfahren zur Identifikation enzymatischer Verbindungen, die sich zwischen aktiven und weniger aktiven Gruppen am stärksten verändern. Mit diesem Verfahren wurden zwei bekannte Enzyme, Aspartat-Aminotransferase (AST) und Alanin-Aminotransferase (ALT), als zentrale Knotenpunkte im Netzwerk identifiziert. Beide sind Standardmarker in klinischen Lebertests, doch hier zeigten sie, wie Aktivität den Stoffwechsel umgestaltet. Die Vorhersagen wurden durch routinemäßige Bluttests bestätigt. Es zeigte sich über den sechsmonatigen Studienzeitraum, dass AST und ALT bei aktiven Teilnehmern deutlich stärker schwankten als bei ihren weniger aktiven Vergleichspersonen. Dies sei ein Hinweis auf größere metabolische Flexibilität in Leber- und Muskelstoffwechsel.
Zeichen neuronaler Widerstandsfähigkeit?
Aspartat ist mehr als nur ein einfacher Stoffwechsel-Zwischenmetabolit: Im Gehirn dient es auch als Vorläufer von Neurotransmittern und aktiviert NMDA-Rezeptoren, die für Lernen und Gedächtnis essenziell sind. Diese doppelte Funktion bietet eine mögliche Verbindung zwischen körperlicher Fitness und kognitiver Gesundheit. Unabhängige Studien zeigen, dass niedrige AST- und ALT-Werte im mittleren Lebensalter – oder ein erhöhter AST/ALT-Quotient – mit einem erhöhten Risiko für Alzheimer und altersbedingten kognitiven Abbau verbunden sind. Dadurch, dass gezeigt wurde, dass körperliche Aktivität dynamische Veränderungen im Aspartat-Stoffwechsel und in der Plastizität dieser beiden Enzyme bewirken kann, könnte dies auf eine molekulare Brücke zwischen Muskel-Leber-Gesundheit und neuronaler Widerstandsfähigkeit hindeuten.
Fazit:
Die Ergebnisse vermitteln eine klare Botschaft: Körperliche Aktivität trägt nicht nur zur Erhaltung von Kraft und Mobilität bei, sondern könnte auch das Gehirn vor Demenz schützen – durch messbare Veränderungen in aminosäurebasierten Signalwegen. „Körperliche Aktivität bewirkt mehr als nur Muskelaufbau“, erklärt Wolfram Weckwerth: „Sie verändert unseren Stoffwechsel auf molekularer Ebene. Indem wir diese Veränderungen entschlüsseln, können wir verfolgen – und sogar steuern – wie gut jemand altert.“
Quelle: Uni Wien
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