Von-Willebrand-Erkrankung: Darm-Blutungen entschlüsseln
Bei Blutungsereignissen läuft im Körper eine komplexe Reaktion ab. Daran beteiligt sind Blutgefäße, Blutplättchen und die im Plasma vorhandenen Faktoren der Blutgerinnung. Am Ende sollte dann der Verschluss der verletzten Gefäßstelle stehen. Ein Schlüsselspieler in diesem Prozess ist der von-Willebrand-Faktor (VWF): ein Protein im Blut, das verletzte Stellen erkennt und Blutplättchen an die Wunde holt. Die von-Willebrand-Erkrankung ist die häufigste erbliche Blutgerinnungsstörung. Frauen und Männer sind gleich oft betroffen. Die große Mehrheit hat nur eine leichte Verlaufsform. Schwere Verläufe sind dagegen selten – nur in diesen Fällen kommt es zu wiederkehrenden Darmblutungen. Das zugrunde liegende Protein ist benannt nach dem finnischen Internisten und Hämatologen Erik Adolf von Willebrand. Bei der von-Willebrand-Erkrankung drohen lang anhaltende Blutungen. Besonders belastend, und im Zweifel lebensgefährlich, sind die wiederkehrenden Blutungen im Darm, verursacht durch krankhafte Gefäßveränderungen – sogenannte Angiodysplasien. Warum diese entstehen, ist bis heute wissenschaftlich nicht vollständig erforscht. Zugelassene Medikamente dagegen gibt es nicht.
Simulation des von-Willebrand-Syndroms
Genau hier setzt die Forschung von Prof. Dr. Maria Brehm, Biochemikerin an der Universität Siegen, an. Sie und ihr Team entwickeln ein hochmodernes, miniaturisiertes 3D-Darm-Modell auf einem Mikrochip mit nur wenigen Millimetern Durchmesser. Das Ziel ist die naturgetreue Darstellung der komplizierten Bedingungen im menschlichen Darm. Damit sollen dann detaillierte Untersuchungen und Experimente möglich werden. Die Siegener Biochemikerin entwickelt vorhandene 3D-Darm-Modelle so weiter, dass sie und ihr Team insbesondere die Rolle des von-Willebrand-Faktors bei der Entstehung der Darmblutungen untersuchen können. Dazu nutzen die Forscher/-innen Zellen und Blut im Modell, in denen der von-Willebrand-Faktor reduziert ist. Sie simulieren also das von-Willebrand-Syndrom auf dem Mikrochip. Die Hoffnung: Durch eingehende Forschung mit dem neuen Modell könnte im besten Fall erstmals ein vollständiges Verständnis des Krankheitsbildes möglich sein.
Medikamententests im Labor möglich
In einem solchen krankheitsähnlichen Modell könnten künftig neue Substanzen getestet werden, die die Darmblutungen stoppen oder die Gefäßbeschädigungen lindern könnten. In einer sicheren Laborumgebung ließen sich bestehende Arzneimittel sowie neu entwickelte Wirkstoffe testen – ganz ohne Tierversuche. „Die Darmblutungen sind für die Patienten verständlicherweise sehr belastend“, sagt Prof. Brehm. „Wir forschen mit dem Ziel, die Therapie von Patientinnen und Patienten langfristig effektiv zu verbessern.“ Für ihr Vorhaben hat Prof. Brehm im November in Hamburg den Günter Landbeck Excellence Award erhalten. Mit dem Preis wird herausragende Forschung zu Blutgerinnungsstörungen im deutschsprachigen Raum gewürdigt. Die Siegener Biochemikerin erhielt die Auszeichnung, die mit 25.000 Euro dotiert ist, in der Kategorie „Experimentelle Arbeiten“. Das Preisgeld fließt direkt in die Forschung – eine neue Doktorandin ist bereits eingestellt.
Bereits Erkenntnisse zur Angiodysplasie
Seit 2021 forscht Prof. Brehm an der Uni Siegen. Die Arbeiten der Gruppe konnten bereits zeigen, wie der VWF eine zentrale Rolle bei der Steuerung des Wachstums von Blutgefäßen spielt. Fehlt der VWF, wird ein bestimmter zellulärer Signalweg – der sogenannte PI3K/Akt-Signalweg – übermäßig aktiviert. Dadurch beginnen Gefäßzellen, sich stärker zu vermehren, zu wandern und fehlgebildete, blutdurchlässige Gefäße zu bilden – typische Merkmale einer Angiodysplasie. Seit 2011 beschäftigt sich Prof. Brehm damit herauszufinden, welche mechanischen Kräfte im Blut die Aktivität des VWF steuern und wie Mutationen im Protein zu Fehlfunktionen führen. Etliche vorher unbekannte Mutationen hat sie in diesem Zuge bereits entdeckt, die überraschenderweise die Blutgerinnung verstärken und so das Risiko für Herzinfarkte erhöhen könnten.
Quelle: idw/Uni Siegen
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