Wie groß ist das Potenzial zur Ambulantisierung?
Heftig wird über die künftige Aufstellung der Krankenhauslandschaft gestritten. Ein Ansatz ist die verstärkte Ambulantisierung und damit weniger teure Krankenhausbehandlungen. Doch wie groß ist dieses Potenzial? Eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) versucht nun mittels Modellrechnungen Antworten zu geben. Demnach zeigt sich ein großes Potenzial für die ambulante Versorgung von Fällen, die derzeit noch in deutschen Krankenhäusern stationär behandelt werden. Vor dem Hintergrund der anstehenden Reform der Krankenhausplanung und -vergütung quantifiziert die Studie Ambulantisierungspotenziale für die einzelnen Krankenhaus-Leistungsgruppen und beleuchtet die Frage, welche Leistungen künftig überhaupt noch stationär erbracht werden sollten. Laut der empirischen Modellrechnung, die erstmals mehrere vorhandene Ansätze zur Ambulantisierung hierarchisiert in einer Gesamtanalyse gemeinsam betrachtet, könnten etwa 60 Prozent der heute vollstationär versorgten Fälle einem Ambulantisierungspotenzial zugeordnet werden.
Ziel der Analyse war es, verschiedene Ansätze zur Ambulantisierung quantifizierbar zu machen und zu einer Gesamtanalyse auf Ebene der Leistungsgruppen zusammenzuführen. Auf Basis der Abrechnungsdaten sämtlicher vollstationärer Krankenhausfälle von AOK-Versicherten im Jahr 2024 hat das Autorenteam um den Leiter des Forschungsbereiches Gesundheitspolitik/Systemanalysen im WIdO, Dr. Robert Messerle, für jeden stationären Fall die mögliche Zuordnung zu einem der betrachteten Ambulantisierungsansätze geprüft. Um das Gesamtpotenzial zu berechnen, wurde jeder abgerechnete Krankenhausfall nur genau einem dieser Ansätze zugeordnet. Das Ergebnis zeigt, dass nach Berücksichtigung aller Optionen etwa 60 Prozent der Krankenhausfälle des Jahres 2024 einem der Ambulantisierungspotenziale zugeordnet werden könnten (Abbildung 1). Hochgerechnet wären dies über acht Millionen GKV-Fälle.
In der Analyse der Leistungsgruppen zeigten sich große Unterschiede im Ambulantisierungspotenzial: Während in der Leistungsgruppe für Herzkatheter-Behandlungen (Ablationen) und elektrophysiologische Untersuchungen (EPU) mehr als 80 Prozent der Behandlungen ambulantes Potenzial aufwiesen, gehe das Ambulantisierungs-Potenzial im Falle der Leistungsgruppe zur Schlaganfall-Behandlung in sogenannten Stroke-Units gegen Null, so die Autoren. In 15 der 21 fallzahlstärksten Leistungsgruppen seien über 50 Prozent der Fälle als potenziell „ambulantisierbar“ identifiziert worden. Für die mit Abstand fallzahlstärksten Leistungsgruppen „Allgemeine Innere Medizin“ und „Allgemeine Chirurgie“ seien jeweils etwa 60 Prozent der Fälle als ambulantes Potenzial identifiziert worden (Abbildung 2).
Bezogen auf die Belegungstage und die Ausgaben für die Behandlung liege das Potenzial zur Ambulantisierung laut der WIdO-Analyse etwa ein Drittel niedriger als bei den Fallzahlen. Es bewege sich aber mit ungefähr 40 Prozent weiterhin in einer relevanten Größenordnung. „Die erstmals durchgeführte Berechnung der Potenziale auf Ebene der Leistungsgruppen kann den Verantwortlichen für die Krankenhausplanung in den Ländern wichtige Hinweise liefern, welche Leistungsbereiche im Rahmen einer zukunftsfähigen Versorgungsstruktur zielgerichteter in anderen Bereichen versorgt werden könnten. Wenn Leistungen, die ambulant erbracht oder durch eine bessere ambulante Versorgung ganz vermieden werden können, weiterhin für stationäre Strukturen geplant werden, zementiert das strukturelle Ineffizienzen“, betont WIdO-Geschäftsführer Dr. David Scheller-Kreinsen.
Weiterentwicklung der Vorhaltevergütung gefordert
„Gerade in den Leistungsgruppen der Grundversorgung wird sich entscheiden, ob die überdurchschnittlich hohen Zahlen stationärer Behandlungen in Deutschland nachhaltig gesenkt werden können“ so Scheller-Kreinsen. Die Analyse des WIdO habe auch Relevanz für die Weiterentwicklung der Vorhaltevergütung. „Sie zeigt, dass eine simple Fortschreibung der Vorhaltevergütung auf Basis der aktuellen Leistungsmengen nicht zielführend ist. Die Analysen machen deutlich, dass für viele Leistungsgruppen eine Anpassung der Vorhaltefinanzierung entlang der Ambulantisierungspotenziale zwingend ist, die oftmals im mittleren zweistelligen Prozentbereich liegen. Hier wären stattdessen moderne und interprofessionelle, ambulante Versorgungsstrukturen die geeignetere und effizientere Lösung.“
Die sechs Ambulantisierungs-Ansätze
Die sechs in der Analyse berücksichtigten Ambulantisierungs-Ansätze sind die Hybrid-DRG-Kataloge der Jahre 2024 bis 2026 zur sektorengleichen Vergütung ambulanter Leistungen, der aktuelle Katalog ambulant durchführbarer Operationen und stationsersetzende Eingriffe in Krankenhäusern (AOP-Katalog), die in einem IGES-Gutachten von 2022 definierten zusätzlichen Leistungen zur Ergänzung des AOP-Kataloges, die potenziell auch ambulant behandelbaren stationären Notfälle mit relativ geringer medizinischer Dringlichkeit und geringem Ressourcenbedarf sowie vermeidbare Krankenhausfälle mit sogenannten „ambulant-sensitiven“ und „pflegesensitiven“ Haupt-Diagnosen.
Quelle: WIdO
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