Der englische Naturforscher John Dalton (1766–1844)

Grundlegende Untersuchungen zur Atomtheorie und Wegbereiter der modernen Chemie
Christof Goddemeier
John Dalton (1766–1844)
John Dalton (1766–1844) © Archivist, stock.adobe.com
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Das Verhältnis von aktueller Wissenschaft und Kultur zu den Leistungen früherer Generationen fasste Bernhard von Chartres 1120 in das Gleichnis von den „Zwerge[n], die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres als diese sehen zu können“. In diesem Verständnis können sie das nur, weil die Größe der Riesen es ihnen ermöglicht.

Was seinen Beitrag zur Atomtheorie angeht, ist John Dalton einer der Riesen, auf deren Schultern spätere Generationen mehr und weiter zu sehen imstande waren. Aber auch seine anderen Arbeiten, etwa die Formulierung der Partialdrücke von Gasen in einem Gasgemisch (Dalton-Gesetz), machen ihn zu einem Wegbereiter der modernen Chemie. Zudem beschrieb Dalton als Erster die Rot-Grün-Sehschwäche (Deuteranomalie), eine erbliche Farbfehlsichtigkeit, von der er selbst betroffen war.

John Dalton wurde als eines von sechs Kindern im Dorf Eaglesfield, Cumberland, geboren. Seine Eltern waren Quäker und wurden in den Kirchenbüchern nicht erwähnt – sein Geburtsdatum ist deshalb nur ungefähr bekannt. Der Vater arbeitete als Weber und wird als zurückhaltend beschrieben, die Mutter Deborah Greenup war von energischem und zupackendem Wesen. Ein erster Lehrer namens John Fletcher unterrichtete ihn in angewandter Mathematik, Feldmessen und Schifffahrtskunde. Bald nahm der angesehene Elihu Robinson Dalton unter seine Fittiche. Er war Mitglied der lokalen Quäkergemeinde, baute Instrumente und stellte vermutlich als Erster in Cumberland regelmäßige meteorologische Beobachtungen an. Zudem genoss er einen ausgezeichneten wissenschaftlichen Ruf und war mit Joseph Banks bekannt, dem Präsidenten der Royal Society, der James Cook bei seiner ersten Weltumsegelung (1768–1771) begleitet hatte.

Dalton erhielt bei Robinson Privatunterricht und unterrichtete bereits mit zwölf Jahren selbst. Dabei waren seine Schüler zum Teil älter als er, und es war nicht leicht für ihn, die nötige Disziplin aufrechtzuerhalten. Ein Jahr lang arbeitete er in der Landwirtschaft seines Vaters, doch mit 15 Jahren verließ er sein Heimatdorf und zog mit seinem Bruder Jonathan nach Kendal, wo er die Schule eines Verwandten besuchte. Ab 1784 leiteten die beiden Daltons die Schule. Die etwa 60 Schülerinnen und Schüler wurden in Englisch, Latein, Griechisch und Französisch sowie angewandter Mathematik und Physik unterrichtet. Neben dem Unterricht vertiefte John seine Kenntnisse in den Naturwissenschaften. In dem knapp zehn Jahre älteren Naturphilosophen John Gough fand er einen gleichgesinnten Freund. Gough konnte seit seinem zweiten Lebensjahr nicht mehr sehen und hatte sich beharrlich ein umfangreiches Wissen in Sprachen, Mathematik und den verschiedenen Wissenschaften erworben. Auch später, als er nicht mehr in Kendal lebte, präsentierte Dalton Gough seine Arbeiten und bat ihn um seine Meinung dazu.

Robinson hatte Dalton in Meteorologie unterwiesen und Dalton begann nun, eigene Untersuchungen durchzuführen. Die Instrumente, etwa Barometer, Hygrometer und Thermometer, fertigte er selbst an, eigenen Angaben zufolge waren sie jedoch unvollkommen und nur bedingt geeignet. Basierend auf seinen Beobachtungen formulierte er etwa die Hypothese, dass Regen durch einen Temperaturabfall in der Atmosphäre zustande kommt. Das erwies sich als korrekt. Bis dahin hatte man angenommen, dass Druckunterschiede in höheren Luftschichten zu Niederschlag führen. In seinen „Meteorological observations and essays“ (1791) beschrieb Dalton seine Überlegungen ausführlich.

Ab 1787 hielt er neben dem Unterricht öffentliche Vorträge über Mechanik, Optik, Pneumatik, Astronomie und Geografie. Die Einnahmen waren indes bescheiden, denn nur wenige Zuhörer fanden den Weg zu ihm. Zeitgenössischen Berichten zufolge gehörte es nicht zu Daltons Talenten, komplexere Sachverhalte einer breiten Hörerschaft gegenüber verständlich darzustellen. Kurz erwog Dalton, Medizin zu studieren und praktischer Arzt zu werden, doch Freunde rieten ihm ab, da sie ihn nicht für geeignet hielten. Auch Robinson war der Ansicht, dass er zur Lehrtätigkeit berufen sei. Auf Goughs Empfehlung erhielt Dalton 1793 eine Stelle als Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften an der „Warrington-Akademie“ in Manchester. Das Gehalt war zwar nicht besonders hoch, aber deutlich besser als sein bisheriges Einkommen. 1800 gab er diese Stelle auf, weil sie ihm nicht genug Zeit für seine Forschungen ließ, und finanzierte seinen bescheidenen Lebensstil nur noch durch Privatunterricht. Etwa zur gleichen Zeit kam er mit der „Literary and Philosophical Society“ in Manchester in Kontakt. Hier versammelten sich wissenschaftlich Gebildete und Interessierte der Industriestadt.

In einem Vortrag 1801 tauchte zum ersten Mal der Begriff des Teildrucks auf, den Dalton dann weiter zum nach ihm benannten Gesetz entwickelte. Demnach hat in einer Gasmischung jedes Gas unabhängig von den anderen Gasen bei jeder Temperatur einen eigenen Druck (Partialdruck). Die Summe der Drücke der einzelnen Gase entspricht dabei dem Gesamtdruck des Gasgemisches. Ein weiteres Gesetz dieser Abhandlung besagt, dass der Dampfdruck aller flüchtigen Flüssigkeiten bei gleichen Temperaturabständen vom Siedepunkt gleich groß ist. Dalton untersuchte dazu Wasser und Äther. Für diese trifft das Gesetz zu, andere Flüssigkeiten zeigen jedoch deutliche Abweichungen von seiner Annahme. Unabhängig von Joseph Gay-Lussac beschrieb Dalton hier zudem das Gesetz der proportionalen Ausdehnung von reinen Gasen bei Temperaturerhöhung und fand zwischen 0 und 100 Grad wie Gay-Lussac den Proportionalitätsfaktor 0,375. Der korrekte Wert liegt niedriger (0,365), der Fehler wurde später von Heinrich Magnus und Henri Regnault berichtigt. Zur Analyse der Luft verwendete Dalton Stickoxid. Damit fand er, dass Luft zu 79 Prozent aus Stickstoff und zu 21 Prozent aus Sauerstoff besteht, und zwar unabhängig von der Raumhöhe. Erwartet hatte er, dass der dichtere Sauerstoff eher unten anzutreffen wäre.

Die Annahme von Atomen als kleinste, unteilbare Teilchen geht auf die Vorsokratiker Leukippos und Demokritos (5. bis 4. Jahrhundert v. Chr.) zurück. Parmenides hatte postuliert, dass neben dem Seienden ein Nichtseiendes, der völlig leere Raum, existieren müsse. Auch Leukipp und Demokrit zufolge bestand die Welt aus einem raumerfüllenden Vollen, dem Seienden, und einem nicht-seienden Leeren, dem Raum. Das raumerfüllende Volle setzt sich aus winzigen, nicht wahrnehmbaren Körperchen zusammen, den Atomen (atomos = griech. unteilbar). Doch sie nahmen an, dass alle Atome aus dem gleichen, unveränderlichen und unvergänglichen Stoff bestehen.

Daltons Freund William Henry hatte zum Einfluss des Drucks auf die Löslichkeit von Gasen über einer Flüssigkeit formuliert, dass Druck und Löslichkeit sich proportional verhalten (Henrysches Gesetz). Dalton interessierte nun die Frage, wovon die Löslichkeit von Gasen in Flüssigkeiten abhängt, und er vermutete, dass sie durch das Gewicht und die Anzahl der Teilchen der verschiedenen Gase bedingt sei. Er schrieb: „Eine Untersuchung über die relativen Gewichte der letzten Teilchen der Körper ist meines Wissens eine ganz neue Aufgabe; ich habe sie letztlich mit bemerkenswertem Erfolge unternommen.“ Seine berühmte erste Tabelle der Atomgewichte reichte er 1803 bei der Literary and Philosophical Society ein. Das relative Gewicht des Wasserstoffs setzte er gleich 1. Für Kohlenstoff nahm er 4,3 an. Dalton konnte noch nicht zwischen Atomen und Molekülen unterscheiden und hielt etwa Ethanol, Wasser und Kohlenmonoxid für kleinste, atomare Teilchen.

Er nahm später zwar Verbesserungen vor, doch seine Zahlen sind von den tatsächlichen Verhältnissen noch weit entfernt. W. Ostwald zufolge lehnte Dalton fremde, vor allem nicht englische Arbeiten ab. Das habe eine Annäherung an die Werte verhindert, die zu seiner Zeit möglich gewesen wäre. 1808 veröffentlichte Dalton sein wohl berühmtestes Buch „A New System of Chemical Philosophy“. Hier formulierte er seine Atomhypothese sowie dass es ebenso viele Atome wie Elemente gibt: „(...) wir können daher schliessen, dass die letzten Theilchen aller homogenen Stoffe völlig gleich in Gewicht, Gestalt etc. sind. Mit anderen Worten, jedes Atom Wasser ist gleich jedem anderen Atom Wasser; jedes Atom Wasserstoff ist gleich jedem anderen Atom Wasserstoff usw.“ Im Unterschied zum vorsokratischen Atommodell konstatierte Dalton, dass Atome sich durch ihre Masse und ihr Gewicht unterscheiden. Seine Annahmen erklärten das „Gesetz der konstanten Proportionen“, 1794 von Joseph-Louis Proust beschrieben, sowie seine eigene Entdeckung der „multiplen Proportionen“. Sie besagt Folgendes: Wenn zwei Elemente miteinander mehrere Verbindungen bilden können, stehen die Massenverhältnisse, mit denen die Elemente in diesen Verbindungen auftreten, zueinander im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen.

Dalton sah seinen Gedanken der Atomgewichte eher als Nebenprodukt seiner Untersuchungen von Gasen und Gasgemischen. Zunächst nahm ihn lediglich der Chemiker Thomas Thomson zur Kenntnis. Doch in den folgenden Jahren stützte auch William Wollaston Daltons Hypothese. Englands berühmtester Chemiker Humphrey Davy lehnte Daltons Lehre zwar ab, doch sie setzte sich stetig durch. Dem 13 Jahre jüngeren Schweden Jöns Jakob Berzelius blieb es vorbehalten, Atom- und Molekülgewichte genau zu bestimmen und Daltons Fehler zu korrigieren. Der italienische Chemiker Stanislao Cannizarro klärte letztlich den Unterschied von Atom- und Molekulargewicht.

1798 notierte Dalton: „Ab dem Jahre 1790 zwang mich das gelegentliche Studium der Botanik, mehr als bisher auf Farben zu achten. (...) blau, purpur, rosa und karmesin erschienen mir weniger unterscheidbar, alle konnten sich nach meiner Vorstellung als blau bezeichnen lassen. Ich habe oft ernsthaft Leute gefragt, ob eine Blume blau oder rosa wäre, doch wurde dies allgemein als Scherzfrage betrachtet.“ Als Erster begann er, angeborene Farbsinndefekte systematisch zu untersuchen – „daltonisme“ ist seitdem das französische Wort für Farbenblindheit. Zu dieser Zeit war bereits aufgefallen, dass Rot-Grün-Blindheit fast nur bei Männern vorkommt. Die Genetik liefert die Erklärung: Die für die Rot-Grün-Wahrnehmung zuständigen Gene liegen auf dem X-Chromosom. Alle praktisch wichtigen Farbsinnstörungen werden rezessiv vererbt. Da Frauen zwei X-Chromosomen haben, sind sie nur betroffen, wenn beide X-Chromosomen das defekte Gen enthalten. Ist dagegen ein X-Chromosom mit dem intakten Gen ausgestattet, so dominiert dessen Wirkung über das defekte Gen, und die Besitzerin ist farbtüchtig. Männer können einen solchen Fehler nicht ausgleichen, weil sie nur ein X-Chromosom haben. Dalton nahm fälschlicherweise an, dass blaue Flüssigkeit in seinen Augen das rote Licht absorbiere, und beauftragte einen Freund, nach seinem Tod eins seiner Augen zu sezieren, um seine Hypothese zu bestätigen. A. Thackray zufolge geschah das tatsächlich, doch nicht mit dem von Dalton erhofften Resultat.

Dalton bekam zahlreiche Auszeichnungen und hielt Vorträge vor der „Royal Institution“ in London. Nach seinem Tod 1844 erwiesen 40.000 Menschen dem in der Town Hall Aufgebahrten die letzte Ehre.

Literatur

  1. John Dalton. In: wikipedia. Online.
  2. Ostwald W (Hg): Die Grundlagen der Atomtheorie. Abhandlungen von J. Dalton und W. H. Wollaston (1803–1808). Leipzig: Verlag Wilhelm Engelmann 1889.
  3. Ostwald W: Dalton. In: Bugge G (ed.): Das Buch der großen Chemiker, Bd. 1. Berlin: Verlag Chemie 1929, S. 378–85.
  4. Thackray A: John Dalton – Critical Assessments of His Life and Science. Cambridge: Harvard University Press 1972.

Entnommen aus MTA Dialog 2/2022

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