Erhöhtes Demenzrisiko bei unbehandeltem Hörverlust?

Interview mit Frau Dr. Birgitta Gabriel
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Dr. Birgitta Gabriel
Dr. Birgitta Gabriel Oticon
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Dr. Birgitta Gabriel ist promovierte Physikerin und Audiologin beim dänischen Hörgerätehersteller Oticon. Sie arbeitet seit 25 Jahren an der Entwicklung von Hörgeräten und erklärt den Zusammenhang zwischen unbehandeltem Hörverlust und Demenz.

Probleme beim Hören kommen zumeist nicht von heute auf morgen, sondern entwickeln sich über einen größeren Zeitraum. Woran kann man denn Schwerhörigkeit bereits frühzeitig erkennen?

Es ist ein schleichender Prozess; schlechtes Hören tut eben nicht weh. Ganz frühe Anzeichen sind Kleinigkeiten, wie den Fernseher lauter zu stellen, häufigeres Nachfragen oder auch, dass andere einen darauf hinweisen. Oft hat man auch selbst den Eindruck, dass das Gegenüber undeutlich spricht oder nuschelt. Ein sehr frühes Anzeichen ist zudem, wenn man anfängt, sich bei Unterhaltungen mit vielen Nebengeräuschen mehr anstrengen und deutlicher hinhören zu müssen. Etwa in einem Café, einem Restaurant, an einer befahrenen Straße, bei einer Besprechung oder einer Familienfeier. Das sind schwierige Situationen für das Gehör.

Es gibt Anzeichen, dass Schwerhörigkeit zu Demenz führen oder das Demenzrisiko erhöhen kann. Ist das richtig?

Ja. Es gibt entsprechende Studien, die von unabhängigen Wissenschaftlern über einige Jahrzehnte und mit mehreren tausend Personen durchgeführt worden sind. Sie zeigen, dass bei einer Hörminderung der geistige Abbau, welcher beim Alterungsprozess natürlich ist, beschleunigt wird. Laut dem Studienleiter Frank Lin aus Baltimore (USA) verdoppelt sich bei einer leichten Hörminderung das Demenzrisiko, bei einer mittleren Hörminderung verdreifacht es sich und bei einer stärkeren Hörminderung ist das Risiko, an Demenz zu erkranken, sogar verfünffacht. Das bedeutet nicht zwingend, dass man mit einer Hörminderung an Demenz erkrankt, es ist aber ein wesentlicher Risikofaktor. Heute weiß man, woran das liegt. Eine Untersuchung mit einer 25-jährigen Laufzeit von Hélène Amieva, Professorin an der Universität Bordeaux, zeigt, dass dieser geistige Abbau nicht so beschleunigt stattfindet, wenn man bei Hörminderung Hörsysteme trägt. Der Grund: Dank Hörsystemen bleibt man einfach aktiver und kann an Situationen teilnehmen, in denen es um Kommunikation und Unterhaltung geht. Insgesamt bleibt man geistig und sozial fitter, wenn man gut hört.

Heißt also im Klartext, ich sollte möglichst früh zu einem Hörgerät greifen?

Unbedingt! Das sind Erkenntnisse, die man in den letzten Jahren gewonnen hat. Wenn ich jetzt vielleicht denke: „Ach Mensch, ich bin jetzt Mitte 50 oder 60, ich bin doch noch gar nicht so alt und ich kümmere mich um Hörsysteme, wenn ich 70 oder 80 bin“, dann trügt das. Man hat sich möglicherweise schon – ohne es zu bemerken – aus seinen Hobbys, seinen Freizeitaktivitäten, den beruflichen Aufgaben zurückgezogen. Man weiß heute, dass Gehirnmaterie abstirbt, wenn sie nicht benutzt wird. Das sind zum Teil Prozesse, die dann im hohen Alter auf Knopfdruck nicht reparabel sind.

Vor einigen Jahren waren die Hörgeräte oft noch groß, heute sind sie meist sehr klein und mit Highend-Technik verbaut. Wie kompliziert sind denn die heutigen Hörsysteme?

Ich würde nicht das Wort „kompliziert“ verwenden. Man muss sich überlegen, was so ein Hörsystem leisten soll. Es soll das natürliche Hören, was nicht mehr so funktioniert, kompensieren. Und da ist wichtig zu wissen, wie unglaublich komplex der menschliche Hörvorgang ist. Hören ist ein ganz fantastischer Sinn, der sehr viel leistet und 24 Stunden am Tag aktiv ist. Wir können 400.000 Klänge unterscheiden und eine Dynamik verarbeiten, vom leisen Blätterrascheln bis hin zum Düsenjet. Wir können uns in einer Restaurantsituation auf einen einzelnen Gesprächspartner konzentrieren und noch den Kellner wahrnehmen, der einen von hinten anspricht oder uns auf die Musik im Hintergrund konzentrieren – das alles leistet unser Gehör, also eben maßgeblich unser Gehirn. Und wenn ich das nachbilden will, brauche ich natürlich auch eine hochwertige, schnelle, präzise Technologie. Bei Oticon führen unsere neuesten Hörsysteme „Opn“ 500 Millionen Recheninstruktionen in der Sekunde durch – das ist die Leistung, die früher ein Intel Pentium Pro-Prozessor hatte. Man hat wirklich wunderbare Rechengeräte an seinen Ohren und diese müssen eine derart komplexe, hochwertige Technologie bieten, damit sie den natürlichen Hörvorgang so gut wie möglich simulieren können.

An wen sollte ich mich denn wenden, wenn ich merke, dass ich Beschwerden habe oder ich mit dem vorhandenen Hörgerät nicht vorankomme oder es nicht richtig funktioniert? Zu wem muss ich da?

Ansprechpartner für Hörsysteme sind die Hörakustiker in Deutschland. Sie kennen die Produkte und suchen mit dem Kunden gemeinsam eine individuelle Lösung. Das ist auch wichtig, denn Hören ist ganz individuell und die Möglichkeiten, die die Geräte heute bieten, lassen es zu, die Systeme ganz persönlich einzustellen. Natürlich ist auch der HNO-Arzt ein Ansprechpartner – er muss medizinisch abklären, dass es nicht andere Ursachen hat, als eine typische Schwerhörigkeit, die eben mit dem Alter einhergeht oder ob das Innenohr betroffen ist. Zudem erstellt er dann auch die Verordnung für Hörsysteme. Ganz wichtig zu wissen, ist, dass die Hörakustiker einen Hörtest, eine Messung des Hörvermögens und eben auch eine Beratung gratis anbieten. Dieses Angebot sollte man nutzen! (Oticon, red)

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