Anwender von jahrtausendealten Entspannungstechniken wie zum Beispiel Yoga sind überzeugt davon, dass das Atmen durch die Nase die Konzentrationsfähigkeit und das Reaktionsvermögen verbessert und sich allgemein positiv auf das Wohlbefinden auswirkt. Ein Wissenschaftlerteam des Instituts für Physiologie und Pathophysiologie der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg unter Leitung von Prof. Andreas Draguhn und Dr. Jurij Brankačk in Zusammenarbeit mit Prof. Adriano Tort vom Hirnforschungsinstitut in Natal (Brasilien) hat nun gezeigt, dass es möglicherweise eine wissenschaftliche Grundlage für die Meditationstechniken gibt: Bei Mäusen und Ratten entsteht bei der Nasenatmung ein elektrischer Hirnrhythmus, an den schnelle Hirnwellen – sogenannte Gamma-Oszillationen – gekoppelt sind. „Gamma-Oszillationen werden mit Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozessen in Zusammenhang gebracht und der Nachweis, dass die Atmung durch die Nase diese beeinflussen kann, gibt wichtige Hinweise darauf, dass die Atmung sich auf kognitive Funktionen auswirkt“, sagt Prof. Andreas Draguhn.
Forschung steht noch am Anfang
Wissenschaftler sprechen von Oszillationen, wenn sich Gruppen von Neuronen auf einen gleichen Takt einschwingen – vergleichbar mit einem Konzertpublikum, das chaotisch beginnt, aber schließlich rhythmisch klatscht. Diese Schwingungen können mit dem EEG registriert werden und werden mit unterschiedlichen mentalen Zuständen in Verbindung gebracht. Der Sinn der Kopplung von schnellen mit langsamen Wellen könnte eine zeitliche Koordinierung der örtlich begrenzten, schnellen Wellen durch die langsamen Wellen über weite Hirnbereiche sein. „Lernen, Gedächtnis und Handlungsentscheidungen sind in verschiedenen Hirnstrukturen angesiedelt und erfordern die zeitliche Koordinierung der Aktivität mehrerer Hirngebiete. Die Forschung steht hier jedoch noch am Anfang. Wir haben nur Hypothesen davon, was die Befunde funktionell bedeuten könnten“, so Dr. Jurij Brankačk.
Schnelle Hirnwellen werden in zahlreichen Arealen ausgelöst
Bisher wurde angenommen, dass die atemsynchronen Wellen ausschließlich in Hirnbereichen auftreten, die auf Riechen und Schnüffeln spezialisiert sind. Das deutsch-brasilianische Forscherteam hat nun gezeigt, dass der durch Nasenatmung entstehende Rhythmus auch in zahlreichen weiteren Hirnarealen auftritt. Dazu gehören die präfrontale Hirnrinde, ein Gebiet, welches an Entscheidungsfindungen und anderen Funktionen beteiligt ist, sowie der Hippokampus, eine Region, die für räumliche Navigation und Gedächtnisbildung wichtig ist.
Sinneszellen reagieren auf Bewegung
Die Frage, warum nur die Nasen-, aber nicht die Mundatmung sich positiv auf das Denken auswirkt, ist noch nicht endgültig beantwortet. „Wir vermuten, dass es nur in der Nase Sinneszellen gibt, die auf Bewegung reagieren – also auf den Luftzug beim Atmen. Sie leiten den Reiz dann als rhythmisches Signal über den Riechkolben ins Gehirn weiter“, sagt Dr. Jurij Brankačk.
Nasenatmung „funkt“ in eigenem Frequenzbereich
Neben der großen Reichweite des Einflusses der Nasenatmung ergab sich noch eine zweite neue Erkenntnis aus der Analyse der Wissenschaftler: Bekannt war schon lange, dass zugleich mit den sogenannten langsamen Theta-Wellen schnelle Gamma-Wellen im Bereich von 30 bis 80 und 120 bis180 Hertz auftreten. Die neu entdeckten, ausschließlich an den Rhythmus der Atmung gekoppelten Gamma-Wellen bewegen sich hingegen in einem anderen Frequenzbereich von circa 80 bis 120 Hertz. „Zwei langsame Hirnrhythmen – Theta und atmungsinduzierte Wellen – verwenden offenbar verschiedene Frequenzkanäle innerhalb des Gammafrequenzbereiches, um Informationen zu übermitteln“, sagt Prof. Adriano Tort. „Das ist wichtig für das Verständnis der Mechanismen der Informationsübertragung innerhalb des Gehirns und deutet darauf hin, dass die spezifische Kopplung von Hirn-Rhythmen ein generelles Prinzip zu sein scheint.“
Anwendung spezieller mathematischer Analyseverfahren
Die Entdeckung wurde durch die Anwendung spezieller mathematischer Analyseverfahren ermöglicht, die von Prof. Adriano Tort in den vergangenen Jahren entwickelt wurden und mit denen es möglich war, die Frequenzbereiche einzelner Wellen exakt zu trennen. Damit gelang der Nachweis, an welche langsamen Hirnwellen welche Frequenzbereiche schneller Wellen gekoppelt werden und in welchen Hirnstrukturen diese vorliegen.
Für die Wissenschaftler eröffnen sich durch die neuen Erkenntnisse eine Fülle weiterer Forschungsfelder: So stellt sich die Frage, ob weitere Hirnaktivitäten mit der Atmung in Zusammenhang stehen, inwiefern sich die Ergebnisse von der Maus auf den Menschen übertragen lassen – und was schließlich der Sinn dieser Kopplung ist.
Dr. Jurij Brankačk vermutet eine Art „Reset-Funktion“ des Gehirns, mit der sich ein Organismus durch tiefes Einatmen beruhigen und die Gehirnwellen wieder in Einklang bringen kann: „Unsere Arbeit kann eine Anregung sein, alte Meditationstechniken stärker zu untersuchen und auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen.“ (idw, red)
Zhong W, Ciatipis M, Wolfenstetter T, et al. (2017): Selective entrainment of gamma sub-bands by different slow network oscillations. Proc Natl Acad Sci U S A. DOI: 10.1073/pnas.1617249114.
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