Vor allem gegen viele von Viren verursachte, auch heute noch nur symptomatisch behandelbare Infektionskrankheiten sind Impfungen die wichtigste Präventionsmöglichkeit. Das Beispiel der Masern zeigt jedoch, dass es trotz der Verfügbarkeit einer gut verträglichen Schutzimpfung und eindeutiger Impfempfehlungen immer wieder zu regionalen Ausbrüchen der Krankheit kommen kann. Der Deutsche Ethikrat nahm dies zum Anlass, nationale und internationale Impfstrategien in den Blick zu nehmen.
Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, betonte, dass es nicht darum gehe, den generellen Sinn oder die Effektivität des Impfens anzuzweifeln. Vielmehr stelle sich die Frage, ob es eine Impfpflicht geben sollte. Diese, so Dabrock, sei besonders relevant, „weil sie im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat hohe Rechtsgüter tangiert: das Persönlichkeitsrecht, das Recht auf die Integrität von Leib und Leben, aber auch die Erwartung an den Staat, Leib und Leben gegen unnötige und effektiv beherrschbare Gefahren zu schützen.“
Ole Wichmann, Leiter des Fachgebiets Impfprävention am Robert Koch-Institut, wies zunächst auf die Gruppen mit besonderem Handlungsbedarf hin. Dazu gehören neben Jugendlichen Bevölkerungsgruppen mit potenzieller Unterversorgung, wie zum Beispiel im Ausland geborene Menschen. Oft werde zu spät oder unvollständig geimpft. Die Impfakzeptanz, so Wichmann, hänge besonders von der Beratung durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ab.
Impfen in Schulen oder im Betrieb
Um die Impfraten zu erhöhen, schlug Wichmann vor, dass Krankenkassen ihre Mitglieder regelmäßig zum Impfen einladen und nicht nur Kinder- und Hausärzte, sondern auch Fachärzte anderer Disziplinen Impfungen durchführen sollten. Auch das Impfen in Schulen oder im Betrieb könne zur Steigerung der Impfquoten beitragen. Überlegenswert sei zudem, für bestimmte Krankheiten auch in Deutschland eine Impfpflicht einzuführen, wie sie in anderen europäischen Ländern bereits etabliert ist.
Claude Muller von der Infectious Diseases Research Unit des Luxembourg Institute of Health berichtete über internationale Strategien der Impfprävention. Muller stellte die in verschiedenen Ländern Europas verbreiteten Vorbehalte gegen Impfungen vor. Die aktuellen Masernausbrüche machten deutlich, so Muller, dass größere Anstrengungen in der Öffentlichkeitsarbeit nötig seien. Zudem sollte man niedrigschwellige Zugänge zu Impfungen ermöglichen. Auch Muller sieht vor allem Ärzte und das Pflegepersonal in der Verantwortung, Patienten aufzuklären. Eine Impfpflicht sei vorwiegend für Beschäftigte im Gesundheitswesen zu erwägen.
Die Politikwissenschaftlerin Katharina Paul von der Universität Wien erörterte Fragen von Steuerungsinstrumenten (Governance) im Zusammenhang mit Schutzimpfungen. Nach Paul lässt sich Vertrauen langfristig nicht durch eine Impfpflicht herstellen. Sie plädiert stattdessen dafür, die (Wissens-)Infrastruktur auszubauen und zu stärken sowie die Öffentlichkeit aktiv und gezielt in die Impfpolitik einzubeziehen. Ein zentrales Instrument der Governance seien Impfregister, die als Schnittstelle von Medizin, Politik und Gesellschaft den Menschen Transparenz und Teilhabe ermöglichten.
Impfregister als Forschungsressource
Wolfram Henn, Leiter der Arbeitsgruppe „Impfen als Pflicht?“ des Ethikrates, fasste die Vorschläge der Referenten zusammen: „Wir brauchen erstens ein Impfregister als Forschungsressource und als Möglichkeit zur gezielten Kommunikation, zweitens Zurückhaltung gegen pauschale Zwangsmaßnahmen in die Allgemeinbevölkerung hinein und drittens eine Fokussierung der Maßnahmen auf die Verantwortungsträger, insbesondere die Ärzteschaft“. Alle drei Referenten waren sich einig, dass eine Impfpflicht erst in Erwägung gezogen werden dürfe, wenn alle anderen Strategien nicht zum Ziel führten.
Die Ergebnisse dieser Anhörung werden in die Stellungnahme zum Thema „Impfen als Pflicht?“ einfließen, die der Ethikrat derzeit erarbeitet. Die Präsentationen und die Dokumentation der Veranstaltung werden in Kürze verfügbar sein.
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