Rolle von Oxytocin bei Prader-Willi- und Schaaf-Yang-Syndromen?

Forschungsförderung bei seltenen Entwicklungsstörungen
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Oxytocin bei Prader-Willi- und Schaaf-Yang-Syndromen?
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Der Neurowissenschaftler Dr. Ferdinand Althammer vom Institut für Humangenetik am Uniklinikum Heidelberg untersucht Mechanismen gestörter Signalgebung im Gehirn bei Prader-Willi- und Schaaf-Yang-Syndromen. Dafür erhält er nun eine Förderung.

Die Geburtsprävalenz wird beim Prader-Willi-Syndrom (PWS) weltweit auf 1/15.000-30.000 geschätzt, so Orphanet. Es ist laut Medizinisch Genetischem Zentrum München (MGZ) durch folgende Symptome bzw. Hauptbefunde charakterisiert: Im vorgeburtlichen Zeitraum sind deutlich verminderte Kindsbewegungen, häufig abnorme Kindslagen zu beobachten. Im Säuglingsalter sind ausgeprägte Muskelhypotonie und Trinkschwäche/Gedeihstörung zu sehen. Im Kindesalter ist dann meistens die Entwicklung einer Hyperphagie, die zu einem starken Übergewicht führt, zu erkennen. Daneben gibt es aber laut MGZ auch noch weitere häufige Merkmale des PWS. Dazu gehören charakteristische Gesichtsmerkmale wie eine schmale Stirn, nach unten gebogene Mundspalte, mandelförmige Augen, häufig blaue Augen, Strabismus, blonde Haare, Kleinwuchs, kleine Hände und Füße, distal sich verschmälernde Finger, Skoliose, Hypogonadismus und Hypogenitalismus, Entwicklungsauffälligkeiten, mentale Retardierung, Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklung eines Diabetes mellitus.

Diagnostik Prader-Willi-Syndrom und Schaaf-Yang-Syndrom

Für die Diagnostik des Prader-Willi-Syndroms gibt es hier die diagnostischen Richtlinien. Beim Schaaf-Yang-Syndrom (SYS) sind laut Institut für Humangenetik am UK Essen die Indikationen muskuläre Hypotonie, Trinkschwäche, Entwicklungsverzögerung, Kleinwuchs, Intelligenzminderung, Verhaltensauffälligkeiten, Gelenkkontrakturen und faziale Auffälligkeiten. Es sind laut Institut nur Personen betroffen, die eine pathogene Variante im Magel2-Gen auf dem väterlichen Chromosom 15 haben, da Magel2 dem genomischen Imprinting unterliegt und die mütterliche Kopie durch DNA-Methylierung stillgelegt ist. Entsprechend erfolgt für die Diagnostik die Sequenzierung des Magel2-Gens. Bei einem positiven Befund erfolgt die Sequenzierung der Eltern. Benannt ist das Syndrom nach seinen Erstbeschreibern Prof. Dr. Christian Schaaf, Direktor des Instituts für Humangenetik am UKHD, und Prof. Dr. Yaping Yang vom Baylor College of Medicine in Houston, USA.

Welche Auswirkung hat Oxytocin?

Wie die genannten Verhaltensauffälligkeiten bei den zwei seltenen Entwicklungsstörungen mit einem Mangel des Bindungshormons Oxytocin im Gehirn zusammenhängen, ist nun Forschungsthema einer neuen Emmy Noether-Nachwuchsgruppe am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Team von Neurowissenschaftler Dr. Ferdinand Althammer in den kommenden sechs Jahren mit insgesamt 2,1 Millionen Euro. Die Aufklärung der zugrundeliegenden Mechanismen bei PWS und Schaaf-Yang-Syndrom ist Voraussetzung für die Entwicklung von Therapien, um Symptome lindern zu können. Weltweit gibt es rund 300.000 bis 400.000 PWS-Betroffene, beim SYS wurden bisher rund 300 Familien entdeckt.

Erste Erfolge im Tierversuch

Mäuse mit vergleichbaren genetischen Veränderungen zeigen Verhaltensauffälligkeiten, die denen von menschlichen Betroffenen ähneln: Sie haben wenig Interesse an Umwelt und Artgenossen, ihr Sozialverhalten ist beeinträchtigt und sie sind vermindert lernfähig. „Einige der Defizite in Sozialverhalten und Lernfähigkeit konnten bei den Mäusen durch die tägliche Gabe des Hormons Oxytocins abgemildert werden“, erläutert Dr. Ferdinand Althammer. „Gleichzeitig ist bei ihnen die Oxytocin-Bildung im Gehirn verringert. Das macht die Prozesse rund um dieses Hormon, von der Bildung über die Aktivierung spezieller Nervenzellen und deren Vernetzung bis zu Störungen in der Signalweiterleitung, zu einem möglichen Ansatzpunkt für neue Therapien. Ziel meiner Forschungsgruppe wird es sein, die Auswirkungen dieser Gendefekte auf die Abläufe im Gehirn und die daraus folgenden Verhaltensauffälligkeiten aufzuklären.“

Erster Einsatz von Oxytocin als Nasenspray

Obwohl beide Syndrome genetisch bedingt und derzeit nicht heilbar sind, könnten die Ergebnisse relevant für die betroffenen Familien sein. Hinweise darauf gab 2017 eine Studie der Universität Toulouse, bei der Säuglinge mit PWS über ein Nasenspray täglich Oxytocin erhielten. Bei der Mehrheit der Kinder (88 Prozent) normalisierte sich daraufhin das Saugverhalten. Die Behandlung wird derzeit in einer größeren Phase-III-Studie wiederholt. „Diese Ergebnisse wecken Hoffnung, dass auch weitere Symptome mit den Mechanismen rund um Oxytocin zusammenhängen und möglicherweise gelindert werden könnten“, so Dr. Althammer.

Neuronale Aktivität im Gehirn von Mäusen soll untersucht werden

Die neue Emmy-Noether-Gruppe am Institut für Humangenetik des UKHD wird verschiedene Methoden kombinieren, um die Verfügbarkeit und Wirkung von Oxytocin im Gehirn von Mäusen und Menschen unter die Lupe zu nehmen: Mit Hilfe von speziellen Färbemethoden und Bildgebungsverfahren (Clearmap) werden die Wissenschaftler unter anderem die neuronale Aktivität im Gehirn von Mäusen mit den entsprechende Defekten nach sozialen Interaktionen unter die Lupe nehmen. Ziel ist es herauszufinden, wie die Oxytocin-produzierenden Zellen im Gehirn vernetzt sind, ob ihre Anzahl verändert ist, wie stark sie durch Sozialkontakte aktiviert werden, ob die Aktivierung der nachgeschalteten Nervenzellen noch funktioniert, wie genau sich die Strukturen und Aktivitätslevel im Vergleich zu gesunden Mäusen unterscheiden und ob sich mögliche Störungen pharmakologisch oder gentechnisch ausgleichen lassen. In einem translationalen Ansatz sollen die Ergebnisse aus den Mausgehirnen zudem mit der Situation in menschlichen Zellen Betroffener abgeglichen werden.

Quellen: Uniklinik Heidelberg, Medizinisch Genetisches Zentrum München, Institut für Humangenetik am UK Essen, Orphanet

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