Wie der demografische Wandel unsere Zukunft gefährdet

Buchbesprechung
Hardy-Thorsten Panknin
Abbildung zur Buchbesprechung zu „Die Altenrepublik: Wie der demographische Wandel unsere Zukunft gefährdet“
© Hoffmann und Campe
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Zusätzlich zu den gegenwärtigen Krisen sorgt ein neues Faktum für weitere apokalyptische Stimmung: der demografische Wandel hierzulande.

Die Babyboomer aus den Jahren 1958–1971 gehen in Kürze in Rente. Dem Arbeitsmarkt fehlen dadurch jedes Jahr Hunderttausende Arbeitskräfte. Für Deutschland bedeutet das, dass wir für die nächsten 20 Jahre jährlich eine halbe Million mehr Neurentner als Menschen haben werden, die die Volljährigkeit erreichen. Deutschland ist heute nach Japan das älteste Land der Welt. 2030 wird „der Anteil der Generation 65 plus bei 26 Prozent liegen“ (Statistisches Bundesamt, Wiesbaden). Um die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15–64 Jahre) konstant zu halten, bräuchte Deutschland 24 Millionen Einwanderer bis 2050 – also knapp eine halbe Million zugezogene Beschäftigte pro Jahr. Für den medizinischen Sektor bedeutet der demografische Wandel: Es wird mehr Menschen mit Pflegestufe geben als Personen unter 30 Jahre. Die Konsequenzen sind verheerend – ja sogar apokalyptisch, nicht nur die finanzielle Situation der jungen Menschen und die Wirtschaft betreffend. Für den medizinischen Fortschritt, der in den letzten Jahrzehnten erzielt werden konnte, stellt sich die Frage, ob er für die Rentner von morgen dann auch weiterhin uneingeschränkt zur Verfügung stehen wird. Die typischen Alters- und Wohlstandskrankheiten beziehungsweise Zivilisationskrankheiten (engl. lifestyle diseases) wie Diabetes mellitus, Gefäßkrankheiten, Koronarstenosen und arterielle Hypertonie lassen sich medikamentös und interventionell gut beherrschen. Bei Gelenkverschleiß gilt es schon als selbstverständlich, dass Menschen in den Industrienationen bis in die höchsten Altersgruppen mit künstlichen Hüft- oder Kniegelenken versorgt werden. Die Zunahme operativer Eingriffe, die auch bei hochbetagten Menschen noch vorgenommen werden, hat auch das Altersspektrum intensivmedizinisch behandelter Patienten stark beeinflusst. Damit stellt sich zukünftig für die gesamte Medizin die Frage, bei welchen Erkrankungen der ältere Patient beziehungsweise Rentner überhaupt von den Therapien profitiert. Die drängendste Frage der medizinischen Versorgung für die Zukunft lautet: Können wir uns das uneingeschränkt Machbare überhaupt leisten?

Je mehr Innovationen der Medizin zur Verfügung stehen, desto größer ist die Nachfrage. Der Fortschritt der Medizin ist epochal. Für das kranke Individuum muss dabei das höchste Gebot, das Wohl des Patienten (salus aegroti suprema lex), stets im Vordergrund stehen. Dieses Dekret ist in großer Gefahr, denn die Verschiebung der Alterspyramide bedroht die finanzielle Situation der jüngeren Bevölkerung. Während die Rentner finanziell so gut gestellt sind wie noch nie und politisch an Einfluss gewinnen, werden die Jungen gegen die Auswirkungen von Klimawandel und Armut kämpfen und lernen müssen, völlig neu zu wirtschaften. Der Soziologe und Autor Stefan Schulz thematisiert in seiner sehr gelungenen und wichtigen Monografie die demografische Entwicklung in Deutschland – ohne dabei Schuldzuweisungen zu geben. Nach seinen Thesen muss das junge Volk Deutschland gesundschrumpfen mit der Gefahr eines gewaltigen Generationenkonfliktes. In dem Buch weist er auf die vielen Problemfelder, unter denen besonders die jüngeren Generationen zu leiden haben, wie Wohnungsmangel, Bildungsnotstand, Demokratien in Gefahr, unsichere Renten explizit hin. Die Problematik des demografischen Wandels ist aber hierzulande ein nicht neues Phänomen: Vonseiten der politisch Verantwortlichen wurde er in den letzten Dekaden nur partiell wahrgenommen, ohne gegenzusteuern. Hier hätten auf politischer Ebene schon frühe finanzielle Anreize für mehr Geburten und Entlastungen der Familien erfolgen müssen. Die finanzielle Situation ist für Familien schon heute mit mehr als zwei Kindern besonders desolat. Die historische Zäsur ist jetzt, und sie ist ein politischer Auftrag. Zusammenfassend: Personen, die sich für die Bevölkerungsentwicklung und ihre Strukturen interessieren, kann das Buch uneingeschränkt empfohlen werden: Es informiert in einer sehr verständlichen Art und prägnant ohne Beschönigung – aber durchaus auch optimistisch – über den bevorstehenden und bedeutenden demografischen Wandel in unserem Land.

Die Altenrepublik: Wie der demographische Wandel unsere Zukunft gefährdet
Von: Stefan Schulz, HOFFMANN UND CAMPE VERLAG, 2022, ISBN: 978–3455014686, Preis: 23 Euro

 

Entnommen aus MT im Dialog 1/2023

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