Cochrane Deutschland: Patientenversorgung nicht sichergestellt
„Patientinnen und Patienten in Deutschland haben Anspruch darauf, auf Grundlage vertrauenswürdiger wissenschaftlicher Evidenz behandelt zu werden – also nach dem besten verfügbaren Kenntnisstand“, fordert Prof. Dr. med. Jörg Meerpohl, Direktor von Cochrane Deutschland in Freiburg. „Leider ist das aber bis heute nicht immer sichergestellt.“
Dabei sei eine evidenzbasierte Gesundheitsversorgung angesichts des Milliardendefizits der gesetzlichen Krankenkassen heute wichtiger denn je, so Meerpohl. „Wir müssen dafür sorgen, dass das knappe Geld für jene Therapien oder Untersuchungen ausgegeben wird, die erwiesenermaßen am besten helfen. Und das geht nur, wenn wir wirklich wissen, was wirkt – und was eben nicht.“
Im Alltag aber stoßen Medizinerinnen und Mediziner, Pflegekräfte und weiteres Gesundheitspersonal noch immer auf einige Hürden, wenn sie ihre Patientinnen und Patienten nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft behandeln und betreuen möchten: „Es ist nämlich aus verschiedenen Gründen oft gar nicht so einfach, überhaupt an das beste verfügbare Wissen zu gelangen“, so Meerpohl.
Hürde 1
Das weltweit aktuelle Wissen zu Medizin- und Gesundheitsfragen liegt häufig nicht gebündelt vor, sondern versteckt sich gewissermaßen verstreut in vielen einzelnen Studien. Diese Studien müssen in sogenannten systematischen Evidenzsynthesen zusammengesucht, ausgewertet und zusammengefasst werden. Für diese aufwendige Arbeit braucht es aber Expertinnen und Experten: „Es kostet viel Zeit und Geld, die internationale Studienlage in solchen Übersichtsarbeiten umfassend und wissenschaftlich exakt zu bewerten und zusammenzufassen. Deswegen brauchen Forschende dafür mehr öffentliche Fördergelder als bisher“, so Meerpohl.
„Denn ohne ausreichende Förderung gibt es für viele relevanten Fragen keine hochwertigen Evidenzsynthesen. Und ohne hochwertige Evidenzsynthesen kann es keine vertrauenswürdigen medizinischen Leitlinien für Ärztinnen und Ärzte geben – und also auch keine evidenzbasierte Gesundheitsversorgung.“
Hürde 2
Ein erheblicher Teil klinischer Studien weltweit bleibt unveröffentlicht. „Das verschwendet nicht nur knappe Forschungsgelder“, so Meerpohl, „sondern verzerrt vor allem auch die Faktenlage.“ Cochrane Deutschland fordert daher, dass neue Studien vor ihrem Beginn verpflichtend registriert und ihre Ergebnisse zeitnah veröffentlicht werden müssen. „Dazu braucht es verbindliche Regelungen, deren Einhaltung auch überprüft wird“, so Meerpohl. „Nur so kann es uns gelingen, Forschung effizienter zu machen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft zu wahren.“
Hürde 3
Und selbst wenn es verlässliche, evidenzbasierte Informationen zu Medizin- und Gesundheitsfragen gibt, die unabhängig von Interessenskonflikten sind: Längst nicht immer sind sie frei zugänglich und für jeden gut verständlich formuliert. „Eigentlich brauchen wir zu jeder relevanten medizinischen Fragestellung niederschwellige Patienteninformationen genauso wie kompakte Zusammenfassungen für Politikerinnen und Politiker sowie medizinische Leitlinien und Fachartikel für Expertinnen und Experten im Gesundheitssystem“, so Jörg Meerpohl. „Und idealerweise sollten all diese Informationen kostenfrei zur Verfügung stehen. Das ist aber heute nicht der Fall – gerade dann nicht, wenn es um Fachpublikationen geht. Denn die liegen häufig hinter den Bezahlschranken der Verlage.“
Es müssen Taten folgen
Angesichts der großen Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen reiche es aber nicht aus, evidenzbasierte Gesundheitsinformationen besser verfügbar zu machen und im Alltag stärker zu nutzen. Vielmehr müssten dann auch Taten folgen, so Meerpohl, und zum Beispiel all jene medizinischen Maßnahmen und ihre Vergütung überprüft werden, deren Nutzen fraglich sei: „Gesundheitspolitische Entscheidungen werden meist in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld getroffen, in dem Evidenz nicht das einzige Argument ist. Aber sie dürfen den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ignorieren“, so Meerpohl.
„Denn wenn die verfügbare Evidenz konsequent berücksichtigt wird, können unnötige Behandlungen oder Untersuchungen vermieden werden. Und das würde sich doppelt lohnen: Die Patienten hätten weniger Aufwand – und unser Gesundheitssystem weniger Ausgaben.“
Quelle: idw
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