Fortschritte bei Suizidprävention

Neues Diagnoseinstrument bei Depressionen
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Eine Person steht am Scheideweg, entweder Richtung Suicide oder Support zu gehen.
© 1STunningART/stock.adobe.com
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Der Welttag der Suizidprävention am 10. September macht jedes Jahr auf die Dringlichkeit der Suizidprävention und die Bedeutung der Aufklärung über Risikofaktoren aufmerksam. Nun könnte es Fortschritte bei Depressionen geben.

Suizide treten häufig im Rahmen von Depressionen auf. Weltweit sterben jährlich mehr als 700.000 Menschen durch Suizid. Fortschritte in Forschung, Diagnostik und Therapie sind deshalb entscheidend, um diese Zahl nachhaltig zu senken. Menschen mit schweren Depressionen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Suizid – ihre Lebenserwartung ist im Durchschnitt deutlich geringer als die der Allgemeinbevölkerung. Besonders gravierend ist dies bei bipolaren Erkrankungen. Für die behandelnden Fachkräfte bleibt es dabei eine bedrückende Erfahrung, wenn Patientinnen und Patienten trotz intensiver Betreuung plötzlich einen Suizidversuch unternehmen oder versterben. Bislang gibt es kaum zuverlässige psychologische oder biologische Marker, die eine akute Suizidgefahr rechtzeitig ankündigen.

Risiko frühzeitig erkennen

Ein Forscherteam der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB) hat jetzt in einer aktuellen Studie einen neuartigen diagnostischen Ansatz entwickelt, um das Risiko für Suizidgedanken bei klinisch behandelten Patientinnen und Patienten mit unipolarer Depression frühzeitig zu erkennen. Die Forscher konnten zeigen, dass stationäre Patientinnen und Patienten mit schwerer Depression ein umso höheres Risiko für Suizidgedanken aufweisen, je weniger sie ihren eigenen Körper als sicher und vertrauenswürdig erleben. Diese Beobachtung ist besonders bedeutsam, da es außer der Langzeittherapie mit Lithium bislang keine Medikation gibt, die das Suizidrisiko zuverlässig reduziert. Insbesondere erleben Ärztinnen und Ärzte immer wieder Fälle, in denen Betroffene kurz nach der Entlassung aus der Klinik – für die Behandelnden oft völlig unerwartet – versucht haben, sich das Leben zu nehmen. 

Patienten mit gestörter Interozeption identifizieren

Leibvertrauen ist ein Aspekt der Interozeption, also der Wahrnehmung von Signalen aus dem Inneren des Körpers – etwa Herzschlag, Atmung oder Hunger – und lässt sich mithilfe eines einfachen Schwellenwerts bereits zu Beginn eines stationären Aufenthalts erfassen. Niedrige Ausgangswerte auf der MAIA-2-Subskala „Vertrauen“ (Multidimensional Assessment of Interoceptive Awareness, Version 2), die das Erleben des eigenen Körpers als sicher und vertrauenswürdig widerspiegeln, können Suizidgedanken bei der Entlassung aus der Psychiatrie signifikant vorhersagen. Mit diesem neuen Risikomarker könnten verantwortliche Ärztinnen und Ärzte bereits frühzeitig Patientinnen und Patienten mit gestörter Interozeption identifizieren, die bei der Entlassung besonders gefährdet sein könnten. Allerdings ist der positive Vorhersagewert sehr niedrig (PPV = 24,53 %). 

Gezielte Maßnahmen zur Suizidprävention

Der Übergang von der intensiven Betreuung im Krankenhaus zurück in den Alltag gilt als kritische Phase, da Betroffene oft noch instabil sind und wenig Unterstützung erhalten. Folglich sind die ersten Wochen nach der Entlassung mit einem erhöhten Risiko für Suizidgedanken und -handlungen verbunden. Das von den Forschern entwickelte diagnostische Verfahren bietet die Chance, Betroffene frühzeitig zu erkennen und gezielte Maßnahmen zur Suizidprävention bereits während der stationären Behandlung einzuleiten. So geben die Autoren zu bedenken, dass die Stärkung des Körpervertrauens durch Interventionen, die auf die interozeptive Sensibilität abzielen, einen wertvollen, aber oft übersehenen Ansatz zur Suizidprävention bieten könnten.

Größere Studien gefordert

„Bislang standen kaum verlässliche Marker zur Vorhersage von Suizidgedanken zur Verfügung, was die Suizidprävention erschwerte“, erklärt Dr. Michael Eggart, Gastwissenschaftler am Zentrum für seelische Gesundheit des Immanuel Klinikums Rüdersdorf, Universitätsklinikum der MHB. „Unsere Ergebnisse machen zudem deutlich, dass das Leibempfinden in der Therapie stärker berücksichtigt werden sollte.“ Der an der Publikation maßgeblich beteiligte MHB-Professor Bruno Müller-Oerlinghausen ergänzt: „Es ist Zeit, dass die psychiatrische Praxis endlich die wegweisenden internationalen Befunde zur gestörten Interozeption bei depressiven und suizidalen Menschen zur Kenntnis nimmt.“ Die Autoren betonen, dass künftige Studien mit einer größeren Anzahl an Probanden nötig seien.

Literatur:
Eggart M, Valdés-Stauber J, Müller-Oerlinghausen B: Reduced Trust in Bodily Sensations Predicts Suicidal Ideation in Hospitalized Patients With Major Depression: An Observational Study. Suicide and Life-Threatening Behavior, Vol. 55, Issue 4, August 2025, DOI: https://doi.org/10.1111/sltb.70041.

Hinweis: Sie haben suizidale Gedanken? Die Telefonseelsorge bietet rund um die Uhr kostenlose und anonyme Hilfe: (0800) 1110111 und (0800) 1110222. Unterstützung ist auch per E-Mail oder Chat möglich. Weitere bundesweite Hilfsangebote finden Sie auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

 

Quelle: idw/MHB

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