Multiple Sklerose: Wandel bei Diagnostik und Behandlung?

Bisheriges Modell wird infrage gestellt
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Symbolische Darstellung der Zerstörung der Myelinschicht bei MS.
© freshidea/stock.adobe.com
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Könnten sich Diagnostik und Therapie bei Multipler Sklerose bald ändern? Das legt ein neues Modell nahe, das MS als Krankheitskontinuum mit dynamischen Stadien betrachtet und nicht mehr als Krankheit mit Subtypen.

In Deutschland leben mehr als 280.000 MS-Erkrankte. Die Multiple Sklerose (MS) galt bisher als eine Erkrankung mit verschiedenen Subtypen wie „schubförmig“ oder „progredient“. Diese Einstufung könnte sich künftig ändern. Eine neue Studie unter Leitung des Universitätsklinikums Freiburg und der University of Oxford stellt nach Analyse der NO.MS Kohorte (Studiendaten der Firma Novartis) das bisherige Modell infrage. Mithilfe eines KI-gestützten Modells wurden statt der fixen Krankheitsphänotypen vier zentrale Zustandsdimensionen identifiziert. Diese sollen den Verlauf der MS wesentlich besser abbilden können: körperliche Behinderung, Hirnschädigung, klinische Schübe und stille Entzündungsaktivität. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen, dass diese Erkenntnisse die Diagnostik und Behandlung von MS-Patientinnen und Patienten grundlegend verändern könnten. Zudem könnten sie auch für andere Erkrankungen von Bedeutung sein.

Mehr als 35.000 MRT-Aufnahmen ausgewertet

„Unsere Daten zeigen eindeutig, dass MS nicht über verschiedene Subtypen wie schubförmig oder progrediente MS zu charakterisierten ist, sondern ein kontinuierlicher Krankheitsprozess mit definierbaren Zustandsübergängen ist“, sagt Prof. Dr. Heinz Wiendl, Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurologie und Neurophysiologie des Universitätsklinikums Freiburg. Die Ergebnisse basieren auf der Analyse von über 8.000 Patientinnen und Patienten sowie mehr als 35.000 MRT-Aufnahmen aus verschiedenen Studien (NO.MS Kohorte, Roche Ocrelizumab Kohorte, MS PATHS Kohorte). Das probabilistische Modell beschreibt MS als Abfolge von Zuständen („states“) mit spezifischen Übergangswahrscheinlichkeiten. Frühere, milde Zustände gehen meist über entzündliche Zwischenphasen in fortgeschrittene, irreversible Krankheitsstadien über. Dabei sei ein direkter Übergang in die schweren Stadien ohne vorherige Entzündungsaktivität praktisch ausgeschlossen – stille, symptomfreie Entzündungen oder Schübe seien zentrale Treiber der Verschlechterung.

Bisher Probleme bei Medikamentenzugang

Das bisherige Klassifikationssystem erschwere in vielen Fällen den Zugang zu wirksamen Medikamenten, da Zulassungen auf starren Subtypdefinitionen basierten. Das neue Modell erlaube dagegen eine individualisierte Risikoeinschätzung – unabhängig vom diagnostizierten Subtyp, so das Forschungsteam. „Statt Patienten zu kategorisieren, sollten wir ihren Zustand quantifizieren und dynamisch verfolgen“, so Wiendl. Gerade Patienten mit aktiver, aber klinisch stummer Entzündungsaktivität benötigten frühzeitige Therapieentscheidungen, wie das Modell eindrücklich zeige. Die zustandsbasierte Modellierung mit Methoden der künstlichen Intelligenz sei nicht nur ein wissenschaftlicher Durchbruch in der MS-Forschung. „Das Prinzip ist grundlegend und wegweisend – und es lässt sich auch auf viele andere Krankheiten anwenden, sowohl in der Neurologie als auch darüber hinaus“, sagt Prof. Dr. Lutz Hein, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg. Entscheidend sei, dass man sich von starren, festgelegten Krankheitskategorien löse und stattdessen auf datenbasierte, flexible Krankheitszustände innerhalb der Erkrankung setze.

Überführung in den klinischen Alltag

„Wichtig ist es nun, diese Möglichkeiten der individualisierten Risikoabschätzung in die klinische Praxis zu überführen und hierzu prospektive Daten zu sammeln“, betont Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Das Modell wurde bereits innerhalb der Studie erfolgreich an externen klinischen und realweltlichen Datensätzen überprüft. Der nächste Schritt soll nun die Überführung in den klinischen Alltag sein, etwa zur Therapieentscheidung oder zur besseren Patientenaufklärung. Perspektivisch könnte die dynamische Klassifikation auch die Zulassungslogik künftiger Therapien grundlegend verändern.

Literatur:
Ganjgahi H, Häring DA, Aarden P, et al.: AI-driven reclassification of multiple sclerosis progression. Nat Med, 2025, DOI: https://doi.org/10.1038/s41591-025-03901-6

Quelle: idw/Uniklinik Freiburg

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