Pathologen warnen vor gravierenden Versorgungslücken

Kurskorrekturen gefordert
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Ohne grundlegende Veränderungen des personellen und strukturellen Status quo in der Pathologie sind in Deutschland in wenigen Jahren große Versorgungslücken zu erwarten, fürchtet die Deutsche Gesellschaft für Pathologie (DGP).

Die DGP machte vor Journalisten im Rahmen ihrer Jahrestagung in Leipzig eindringlich auf diese Entwicklung aufmerksam: „Die Pathologie analysiert Gewebeproben, die zur Diagnose und Steuerung der Therapie bei erkrankten Menschen entnommen werden. Gerade bei Krebserkrankungen ist eine Behandlung ohne pathologischen Befund kaum vorstellbar: Mehr als 95 Prozent aller bei Krebsverdacht entnommenen Gewebeproben werden von Pathologinnen und Pathologen beurteilt. Ihre Expertise entscheidet somit über die Zukunft der Betroffenen.“

Für diese verantwortungsvolle Aufgabe seien in Deutschland derzeit nur 1.753 Pathologinnen und Pathologen verfügbar, was rechnerisch einer Facharztquote von einer Pathologin oder einem Pathologen auf etwa 48.000 Menschen entspricht. Zum Vergleich: In der Radiologie liege das Verhältnis bei 1 zu 8.500. Die Situation werde zusätzlich dadurch verschärft, dass rund die Hälfte der Pathologinnen und Pathologen älter als 50 Jahre sei und somit viele aus dieser Gruppe in den nächsten fünf bis zehn Jahren in Rente gehen werden.

„Zu wenig Expertinnen und Experten und wenig Nachwuchs“

„Für die Vielzahl an Erkrankungen mit ihren Untergruppen und Subtypen, die alle eine sichere pathologische Diagnose erfordern, gibt es in Deutschland schlichtweg zu wenig Expertinnen und Experten und wenig Nachwuchs. Zudem sind Spezialisierungen, wie sie für seltene und komplexe Fälle unabdingbar sind, häufig durch das Interesse und die wissenschaftliche Tätigkeit einzelner Personen entstanden und nicht Folge einer übergeordneten Strategie – strukturell ist die Spezialisierung zum Beispiel auf ein einzelnes Organsystem in der deutschen Pathologie nicht vorgesehen. Das funktioniert auf Dauer nicht mehr“, warnt Tagungspräsident Prof. Dr. Philipp Ströbel.

„Ich möchte nicht behaupten, dass die Pathologie in den nächsten Jahren ausstirbt, aber ich betrachte die Entwicklung mit Sorge. Ohne ausreichend Personal, spezialisierte Strukturen und mehr gesundheitspolitische Aufmerksamkeit droht unser Versorgungssystem aus dem Gleichgewicht zu geraten. Ein erster wichtiger Schritt wäre eine Bedarfsanalyse im deutschen Gesundheitssystem und ein Überblick, wo welche Pathologieexpertise heute vorhanden ist. Das wissen wir alles nicht. Als nächstes stünde die Frage: Gibt es definierte und überprüfbare Qualitätskriterien für Spezialzentren? Wie werden solche Zentren finanziert? Das alles fehlt im Moment, die Versorgung mit pathologischer Diagnostik und Spezialexpertise ist derzeit noch zu wenig strukturiert und deshalb auch nicht zukunftssicher.“

Pathologie in der interdisziplinären Krebstherapie

Mögliche Versorgungslücken würden sich besonders deutlich auf die Krebsversorgung auswirken, betont der Chirurg Prof. Dr. Michael Ghadimi, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft: „Ohne fundierte pathologische Diagnostik sind bei Krebserkrankungen keine Therapieentscheidungen möglich – weder bei der Bestimmung der Krebsart, des Tumorstadiums noch bei Schnellschnitten während der Operation oder bei der molekularen Einordnung im Tumorboard.“

Gerade angesichts neuer, immer komplexerer und präziserer Krebstherapien und Medikamente, die eine aufwendige Stufendiagnostik erfordern, hat die Pathologie eine Schlüsselrolle. „Ohne Pathologie ist auch die flächendeckende und qualitativ hochwertige Krebsversorgung in Gefahr“, so Ghadimi.

Herausforderungen bei seltenen Erkrankungen

Der Mangel an spezialisierten Pathologinnen und Pathologen wird am Beispiel der Sarkome besonders deutlich: eine seltene Krebsform, von der in Deutschland jährlich etwa 4.800 Menschen betroffen sind und deren Diagnostik besonderes Spezialwissen erfordert. Nur etwa 20 Pathologinnen und Pathologen verfügen in Deutschland über dieses Spezialwissen, eine davon ist Prof. Dr. Eva Wardelmann: „Da seltene Tumoren im klinischen Alltag kaum vorkommen, ist die Erfahrung mit ihrer Diagnostik begrenzt“, erklärt die Expertin und Referenzpathologin. „Weniger als die Hälfte dieser Erkrankungen wird in spezialisierten, zertifizierten Sarkomzentren behandelt, und noch weniger Fälle werden referenzpathologisch, also durch eine pathologische Zweitmeinung, abgesichert. Dabei führen solche Zweitmeinungen in bis zu 30 Prozent der Fälle zu einer Diagnoseänderung – mitunter lebensentscheidend für die Betroffenen.“

Für eine sichere Diagnose und optimale Therapie seien hochspezialisierte Pathologinnen und -pathologen unerlässlich. Diese Expertise sei oft nur an wenigen Standorten mit Spezialmethoden verfügbar, so Wardelmann. „Eine Zweitbefundung in einem pathologischen Spezialzentrum für seltene Erkrankungen ist in Deutschland nicht vorgeschrieben und wird auch nicht finanziert. Für Pathologieinstitute lohnt sich der Aufbau von Spezialwissen also nicht und ist damit für viele junge Ärztinnen und Ärzte unattraktiv, weil Anerkennung, Förderung und Vergütung fehlen. Hier sind dringend Kurskorrekturen nötig, denn es drohen Versorgungslücken, die bei der Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen beginnen und dann auch in der Fläche spürbar werden.“

Pathologie als Rückgrat der Medizin

„Pathologie ist kein Nebenfach – sie ist das Rückgrat der Medizin“, appelliert Prof. Dr. Christoph Röcken, Vorsitzender der DGP, an die Gesundheitspolitik. Trotz ihrer zentralen Rolle bleibe die Pathologie im deutschen Gesundheitssystem unterfinanziert und unterbewertet. „Die aktuelle Krankenhausreform fokussiert stark auf klinische Fächer und die Allgemeinmedizin, vernachlässigt aber das Querschnittsfach Pathologie – ebenso wie seltene Erkrankungen, die hochspezialisierte Diagnostik erfordern“, kritisiert Röcken. Auch in der Öffentlichkeit werde die Bedeutung der Pathologie häufig unterschätzt: „Viele verbinden unser Fach noch immer vorrangig mit Obduktionen, dabei sind wir zu 99 Prozent mit der Versorgung lebender Patienten beschäftigt.“

Bei allen Strukturreformgedanken im Gesundheitswesen blieb die Pathologie bislang unberücksichtigt, so Röcken. Spezialexpertise werde weiterhin erwartet, aber nicht honoriert, die strukturelle Förderung hochqualifizierter Diagnostik bleibe aus. Die Trennung in ambulante und stationäre Sektoren erschwere die Profilbildung und führe zu massiven Ungleichgewichten bei der Vergütung, fasst Röcken zusammen. „Wenn wir die fachärztliche Exzellenz der Pathologie erhalten wollen, brauchen wir endlich politische Rückendeckung und verlässliche Rahmenbedingungen, die den tatsächlichen Anforderungen an das Fach gerecht werden.“

Weitere Informationen:
Im Interview mit MT Dialog betont Tagungspräsident Prof. Dr. Philipp Ströbel ebenfalls die Umbruchsituation, in der sich aktuell die Pathologie befinde. Belastend seien die Nachwuchsprobleme, auch bei den MTL, sowie die steigenden Anforderungen.

Quelle: idw

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