Aktuell umfasst die Liste der Lieferengpässe bei Arzneimitteln trotz aller Beteuerungen der Politik, daran etwas ändern zu wollen, laut BfArM immer noch 549 Einträge. Mahnende Stimmen gibt es schon lange. Die zunehmende Abhängigkeit von asiatischen Medikamentenherstellern und auch Vorproduktlieferanten ruft allmählich Sorgenfalten hervor. So zeichnet Andreas Burkhardt, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbandes Pro Generika und General Manager bei Teva, beim Blick auf die Abhängigkeiten speziell von China ein düsteres Bild. Es sei ein Problem, dass wir – ähnlich wie es beim russischen Gas der Fall war – bei lebenswichtigen Arzneimitteln in ganz erheblichem Maße abhängig von China seien. „Das ist ein Staat mit einem komplett anderem Wertesystem mit geostrategischen Ambitionen, der unsere Abhängigkeit aus ökonomischer Sicht bewusst vorangetrieben hat und sie nun politisch ausnutzen könnte. Schon während der Corona-Pandemie hat das Europa-Parlament die öffentliche Gesundheit als geostrategische Waffe bezeichnet, die einen Kontinent in die Knie zwingen kann. Und in einem offenen Brief bezeichneten die EU-Gesundheitsminister zuletzt die Medikamenten-Abhängigkeit von China als ‚Achillesferse unserer Verteidigungsstrategie‘“, so Burkhardt. „Als jemand, der politische Verantwortung trägt, sollte man sich fragen: Nehme ich es in Kauf, dass die Menschen im Deutschland im Zweifel zu Schaden kommen? Das ist eine große Verantwortung und eine staatspolitische Entscheidung.“ Und Dr. Tim Rühlig vom EU Institute for Security Studies betont: „China ist sich unserer Abhängigkeit sehr bewusst. Ein Exportstopp in Krisenzeiten ist keineswegs ausgeschlossen.“ Jahrelang galt die Devise, auch bei großen DAX-Konzernen, die sich ein gewichtiges Standbein im Reich der Mitte aufgebaut hatten: „Wandel durch Annäherung“. Doch ein Wandel ist eher nicht zu erkennen. Im Gegenteil, die Repressionen im Inneren Chinas nehmen eher zu als ab und dass Chinas Führung durchaus bereit ist, Druckmittel auch einzusetzen, ist gerade beim Thema Seltene Erden zu sehen. Ein Bereich, der dazu dient, US-Präsident Donald Trump von seinen hohen Zöllen abzubringen.
Einsatz strategischer Industriepolitik
War einst Deutschland die Apotheke der Welt, hat es China mit strategischer Industriepolitik geschafft, zum führenden Generika-Produzenten aufzusteigen. Geholfen haben dabei laut Studie von Pro Generika milliardenschwere Förderprogramme und protektionistische Wirtschaftspolitik. Damit sei es möglich geworden, nicht nur selbst unabhängig zu werden, sondern die Abhängigkeit anderer Staaten zu erwirken. Wenn man so will eine „China first“ Politik in Reinform, die jahrelang, wenn überhaupt, kaum kritisiert worden war. So hatte China laut Studie im 5-Jahres-Plan bis 2025 als Ziele ausgegeben, eine Importsubstitution zu erreichen mit 80 Prozent für inländische Firmen für medizinische Geräte und 70 Prozent für inländische Firmen für biopharmazeutische Kernkomponenten. So habe es auch günstige Kredite und Kapitalzugang insbesondere für Generikaproduzenten mit strategischer Relevanz (z.B. Antibiotika) gegeben. Gleichzeit sei der Binnenmarkt abgeschirmt worden mit Zulassungshürden für ausländische Anbieter sowie dem Zwang zur Gründung chinesischer Tochtergesellschaften.
Wann könnte es eng werden?
Die Studie führt drei Szenarien an, bei denen es ernst werden könnte:
- Im ersten Szenario gehen die Wissenschaftler von Territorialkonflikten in Ostasien (Taiwan) aus. Bei Sanktionen durch die EU könnte es demnach zu Exportbeschränkungen oder Blockaden bei sensiblen Produkten einschließlich Arzneimitteln oder ihren Vorstufen kommen. Dieses Risiko wird als hoch beziffert.
- Beim zweiten Szenario kommt es zu einem eskalierenden Wirtschaftskrieg, also eine Zuspitzung des Handelskonfliktes. Bei folgenden Exportrestriktionen könnten pharmazeutische Produkte einbezogen werden. Dieses Risiko wird als mittel bis niedrig eingeschätzt, steige aber mit wachsender Konfrontation.
- Beim dritten Szenario wird von einem gezielten Erhalt der Abhängigkeiten ausgegangen. Durch die selektive Drosselung von Vorprodukten, langen Genehmigungsverfahren, „Zufallsausfällen“ oder durch Preisinterventionen auf dem Weltmarkt könne es zur weiteren Abhängigkeit Europas kommen. Das Risiko wird als signifikant hoch eingestuft, vor allem bei einem ernsthaften europäischen De-Risking.
Wirkstoffabhängigkeit ist groß
Der Verband Pro Generika sieht vor allem eine Abhängigkeit vom Reich der Mitte bei den Generika, vor allem auf Wirkstoffebene. Bei den Generika wurden im Jahr 2020 54% der Wirkstoffe in China und Indien hergestellt und nur 33% in Europa. In einem Stresstest hat der Verband deshalb untersucht, wo ein Lieferstopp am meisten treffen würde. Bei den untersuchten 56 Wirkstoffen wird bei 20 ein hohes Risiko und bei 10 ein mittleres Risko gesehen. Bei mehr als der Hälfte der Antibiotika bestehe ein großes Risiko, wenn China ausfalle. Aber auch beim Diabetesmittel Metformin seien es 83% der Vorprodukte, bei denen ein hohes Risiko bestehe, wenn China ausfalle. Und China habe als nächstes Ziel schon die Biopharmazeutika im Visier. Dort möchten die Asiaten Marktführer werden. Dies hat bereits Auswirkungen auf die Biosimilars. So seien bis Anfang der 2010er-Jahre biosimilare Wirkstoffe für den europäischen Markt ausschließlich in Europa produziert worden. Heute werde jedoch bereits ein Drittel der Wirkstoffe, die für die Herstellung der in Europa zugelassenen Biosimilars benötigt werden, in Asien hergestellt.
Wie gegensteuern?
Als ein Grund für die zunehmende Verlagerung von Produktion wird die Preispolitik gesehen. So kritisiert Dr. Jasmina Kirchhoff, Institut der deutschen Wirtschaft: „Gesundheitspolitik wirkt auch auf Standortentscheidungen der Unternehmen. Die jahrzehntelange Fokussierung auf Einsparungen hat weite Teile der generischen Produktion aus Europa verdrängt.“ Der Generika-Verband sieht drei Handlungsfelder, um gegenzusteuern. Dazu zähle die Sicherung der noch vorhandenen Produktionsstandorte, bevor sie verschwinden, die strategische Diversifikation bei Importen und Produktion sowie die Stärkung der Innovation. Das Argument der leeren Kassen lässt Burkhardt dabei nicht gelten: „… wir geben rund 320 Milliarden Euro für Gesundheit aus und trotzdem reicht es nicht für eine verlässliche Versorgung mit Generika. Da ist doch was falsch in der Allokation der Mittel, oder? Im Übrigen würden wir keine Kostenexplosion erleben, nur weil wir ein paar Generika-Preise anheben. Unsere gesamte Branche setzt mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gerade mal 2,3 Milliarden Euro um.“
Quelle: Pro Generika
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